Chef der schwedischen AHK „Es braucht in Schweden keine Verbote – anders als in Deutschland“

Das schwedische Malmö am ersten Aprilsonntag. Einschränkungen durch Corona sind hier noch nicht erkennbar. Quelle: imago images

Bislang hat Schweden im Kampf gegen Corona auf strenge Verbote verzichtet – nun steigen die Fallzahlen stark an. Ralph-Georg Tischer, Geschäftsführer der Deutsch-Schwedischen Handelskammer, erklärt, was das für deutsche Firmen bedeutet und warum er nicht von einem Sonderweg spricht.

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WirtschaftsWoche: Herr Tischer, in Schweden steigt die Zahl der Infizierten mit dem Coronavirus gerade schnell an: Bei mehr als 7200 Menschen wurde das Virus inzwischen nachgewiesen, mehr als 470 sind daran gestorben. Das geht auch an den deutschen Unternehmen in Schweden nicht vorbei. Wie ist die Stimmung bei den Firmen?
Ralph-Georg Tischer: Die Stimmung ist angespannt – wie überall zurzeit. Allerdings haben die Firmen, wie die Gesellschaft insgesamt, eine hohe Akzeptanz für die Maßnahmen der Politik auf das Coronavirus.

Diese Maßnahmen werden als schwedischer Sonderweg bezeichnet. Anders als zum Beispiel Deutschland hat Schweden bislang keine Kontaktverbote oder Ausgangssperren erlassen, sondern appelliert viel mehr an die Bürger, damit diese zuhause bleiben. An den meisten Schulen wird noch gelehrt, in vielen Geschäften werden noch Waren verkauft.
Von außen betrachtet mag der schwedische Umgang mit dem Virus womöglich lax aussehen. Doch man darf nicht vergessen, dass das Land mit dieser Handlungsweise immer sehr gut gefahren ist. In der schwedischen Gesellschaft sind Konsens und Eigenverantwortung prägende Elemente. Vor diesem Hintergrund sind Hinweise und Empfehlungen zielführende Instrumente der Politik. Es braucht in Schweden keine Verbote – anders als in Deutschland.

Was bedeutet das für die Produktion Ihrer Mitglieder? Fertigen die Unternehmen einfach munter weiter?
Mitnichten. Und sie unterschätzen die Gefahr des Virus auch nicht, sondern haben der Politik schon einiges vorweggenommen. Unsere Mitgliedsunternehmen haben unheimlich schnell reagiert – und nicht nur die großen Konzerne wie Siemens, VW oder Bosch: Während das öffentliche Leben in Schweden noch nicht viel vom Virus mitbekommen hat, haben deutsche Mittelständler bereits Anliegen an uns herangetragen, die wir als Auslandshandelskammer mit ihnen bearbeitet haben – etwa die Vorbereitung von Kurzarbeitsanträgen.

Dr. Ralph-Georg Tischer ist seit September 2007 Geschäftsführer der Deutsch-Schwedischen Handelskammer (AHK Schweden). Zuvor war der studierte Betriebswirt unter anderem Gründungsgeschäftsführer und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Baltischen Handelskammer in Estland, Lettland, Litauen (AHK Baltikum). Quelle: Fredrik Hjerling

Womöglich weil die Firmen die Fallzahlen und die Einschränkungen im öffentlichen Leben aus ihrem Heimatmarkt Deutschland kennen. Wie sieht es mit schwedischen Unternehmen aus? Kriegen diese mit, dass die Lage sehr ernst ist, obwohl die Handlungen der Regierung diesen Eindruck bislang nicht erweckt haben?
Selbstverständlich, auch Volvo, Scania und Electrolux haben die Produktion bereits heruntergefahren und ganze Fabriken stilllegen müssen. Sie sind genauso globalisiert wie deutsche Konzerne und handeln in solchen Fällen marktübergreifend.

In Schweden ist die Wirtschaftsstruktur allerdings eine andere. Es gibt keinen bedeutenden Mittelstand wie in Deutschland. Vielmehr bilden unzählige Kleinst- und Kleinunternehmen das Fundament der Wirtschaft. An der Spitze stehen einige Großkonzerne. Birgt das nicht ein Risiko?
Die kleinen Unternehmen leiden gerade sehr stark – keine Frage. Insbesondere, ähnlich wie in Deutschland, Hotels, Restaurants oder der Einzelhandel. Doch die Maßnahmenpakete, die der Staat auf den Weg gebracht hat, machen keinen Unterschied bei der Unternehmensgröße, die kann jede Firma beantragen. Keiner wird hier bevorteilt, nur weil er einen bekannten Namen hat.

Mit welchen Einbußen rechnen die Unternehmen jetzt?
Die erwarteten Umsatzeinbußen sind teilweise sehr dramatisch: Eine aktuelle Umfrage unter unseren Mitgliedern zeigt, dass von den deutschen Unternehmen, die auf dem schwedischen Markt aktiv sind, mehr als 30 Prozent mit einem Umsatzverlust von 10 bis 25 Prozent rechnen. Im Handel gehen hingegen 38 Prozent der Unternehmen von einem Umsatzverlust von über 50 Prozent aus.

Deshalb fährt etwa Deutschland massive Hilfen auf, um Unternehmen vor dem Aus zu bewahren und die Wirtschaft zu stützen: Etwa 1,4 Billionen Euro sind die Maßnahmen bislang schwer. Kein Vergleich mit den schwedischen Initiativen, oder?
Es ist nicht so, dass die schwedische Politik keine Entscheidungen trifft: Die Kurzarbeit wird etwa erleichtert und kann rückwirkend zum 16. März beantragt werden. Außerdem wurden Steuerstundungen möglich gemacht, Kreditvergaben erleichtert und Staatsgarantien ausgesprochen. Weitere Maßnahmen können folgen, je nach Verlauf der Krise. Es ist schwierig, eine Prognose zu wagen. Der nächste Schritt in eine weitere Verschärfung ist durchaus möglich.

Die Regierung soll nämlich am Wochenende mit der Opposition über Notstandsbefugnisse zur Eindämmung des Virus verhandelt haben– etwa zu Ausgangssperren. Auf wirtschaftlicher Seite wären auch Direktzahlungen denkbar. Damit könnten drohende Pleiten zumindest zum Teil abgefedert werden. Was halten Sie davon?
Allerdings kennt die schwedische Wirtschaft solche Unterstützungen gar nicht und fordert sie deshalb auch nicht ein. Natürlich verfügt der schwedische Staat über eine ausreichende Finanzkraft, um noch mehr für die Unternehmen zu tun. Auch für die kleinen. Eine Unterstützung von 9000 Euro einmalig für Solo-Selbstständige und kleine Betriebe mit bis zu fünf Personen gibt es hier – anders als in Deutschland – allerdings nicht. Die Unternehmen vertrauen mehr darauf, dass die Regierung eines Tages mit einer Lösung kommt, wenn auch später als in anderen Ländern. Das schwedische Grundverständnis ist: Der Staat hilft mir und darauf warte ich geduldig.

Ein weiterer Teil des schwedischen Sonderweges?
Schweden geht gar keinen ökonomischen Sonderweg: Wir haben hier die gleiche Betroffenheit und erkennen die teils drastischen Auswirkungen des Virus an den fehlenden Aufträgen, den sinkenden Umsätzen und den Lagerbeständen. Die Herangehensweise ist nur etwas anders. Bei aller berechtigten Nervosität verfallen die Schweden nicht in Panik, sondern zeigen Gelassenheit. Sie wissen: Wir können nicht alles planen, aber wir finden eine Lösung – alles fügt sich.

Wie zeichnet sich diese Herangehensweise etwa in Stockholm aus, wo Sie als Auslandshandelskammer sitzen?
Gerade bei dem tollen Wetter haben viele Cafés geöffnet, die Leute sitzen draußen. Doch trotzdem bewahren sie eine natürliche Distanz oder bleiben zuhause, wenn es ihnen nicht gut geht, wie die Gesundheitsbehörde es ihnen zum Beispiel in Zeitungsanzeigen nahelegt. Das Leben ist hier zwar angemessen heruntergefahren samt einiger geschlossener Läden, aber es findet noch statt.

In anderen europäischen Ländern ist das anders, dort sind etwa Schulen und Kindergärten seit Wochen geschlossen. Warum ist das in Schweden noch nicht passiert?
Wenn die Schulen und Kitas dicht machen, dann bricht das System zusammen und wir haben in Schweden tatsächlich ein gewaltiges Problem.

Warum?
Die schwedische Gesellschaft lebt gerade in Großstädten wie Stockholm, Malmö oder Göteborg davon, dass die Kinder betreut werden und beide Elternteile Vollzeit arbeiten können. Es sieht zurzeit noch nicht danach aus, dass es so weit kommen wird und etwa auch Schulen geschlossen und Ausgangssperren verhängt werden. Soziale Kontrolle greift hier tatsächlich noch stärker als staatliche. Übrigens: Auch das Arbeiten von zu Hause aus klappt hier hervorragend. Die Schweden als digitale Vorreiter haben die nötige Infrastruktur für Homeoffice, Online-Handel und entsprechende Bank- und Bezahlsysteme – das Leben von zu Hause ist keine große Umstellung.

Für Sie in der Auslandshandelskammer auch nicht?
Nicht wirklich, nein. Wir haben lediglich eine Notbesetzung in der Kammer, die die Post einscannt – sonst sind alle der 65 Mitarbeiter im Homeoffice. Und es funktioniert. Es ist noch Bewegung im Geschäft, das liegt natürlich auch am wirtschaftsfördernden Auftrag einer AHK – gerade in Krisenzeiten.

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