Chefwechsel bei Evonik Alles gut – außer Tiernahrung

Mitten in einer Phase der Expansion wechselt Evonik die Chefs aus. Der bisherige Strategievorstand Christian Kullmann übernimmt den Posten von Klaus Engel. Er hinterlässt einen soliden Konzern – mit einer Ausnahme.

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Der Aufsichtsratschef will, dass der neue Evonik-Chef weitere Zukäufe tätigt. Quelle: dpa

Essen Das Thema, mit dem sich der bisherige Firmenchef verabschiedete, wird auch den Neuen an der Spitze von Evonik beschäftigen: der Ausbau durch weitere Akquisitionen. Den entsprechenden Arbeitsauftrag formulierte Aufsichtsratsvorsitzender Werner Müller im Vorfeld der Hauptversammlung im Interview mit der „Westdeutsche Allgemeinen Zeitung“: Er erwarte, dass auch Herr Kullmann, ähnlich wie Engel, an dem Thema Akquisitionen arbeite und „den Aufsichtsrat mit entsprechenden Erwerbsvorschlägen konfrontiere“. Den Aufsichtsrat würden dabei auch vor größeren Vorhaben nicht zurückschrecken, so Müller weiter.

Dabei muss der Essener Konzern noch die beiden Zukäufe verdauen, die der scheidende Firmenchef Engel in seinem letzten Jahr besiegelte.

Mit der etwa 3,6 Milliarden Euro teuren Übernahme des Spezialadditiv-Geschäfts des US-Konzerns Air Products zum Jahresbeginn 2017 und dem vereinbarten, aber noch nicht vollzogenen, Kauf der Silica-Sparte des amerikanischen Familienunternehmens Huber vollzieht der Essener Konzern einen deutlichen Ausbau seiner Spezialchemie-Aktivitäten. Sie bringen zusammen gut 1,2 Milliarden Euro zusätzlichen Umsatz und zeichnen sich aus Sicht des Evonik-Managements durch stabile und hohe Margen aus.

Vor allem die Bewertung des Air-Products-Geschäfts gilt in den Augen vieler Branchenkenner als sehr hoch.

Das ungebrochene Akquisitions-Interesse des Aufsichtsratsvorsitzenden war auf dem Aktionärstreffen selbst aber kein größeres Thema. Engel zeichnete in seiner Abschiedsrede ein Bild, das den Konzern in einer langfristiger positiver Entwicklung darstellt. „Das Unternehmen ist strategisch und operativ sehr gut aufgestellt“, sagte er. „Evonik erfüllt alle Voraussetzungen, um die Zukunft aktiv und erfolgreich zu gestalten und attraktive, nachhaltige Wachstumschancen zu nutzen.“ Vor allem für die Produktentwicklung wolle man bis 2025 insgesamt vier Milliarden Euro für Innovationen zur Verfügung stellen.

Was den Ausblick für das laufende Jahr angeht, blieb der scheidende Evonik-Chef dagegen vorsichtig und bestätigte lediglich den bisherigen, eher verhaltenen Ausblick.  Der sieht bei wachsendem Umsatz einen Anstieg des bereinigten Betriebsgewinns vor Abschreibungen (Ebitda) auf 2,2 bis 2,4 Milliarden Euro vor. Zum Vergleich: Vergangenes Jahr erzielte Evonik 2,165 Milliarden Euro. Zum operativen Ertragsanstieg dürfte damit ausschließlich die Einbeziehung der Air-Products-Aktivitäten beitragen, während das angestammte Geschäft offenbar noch nicht vom Fleck kommt.

Gebremst wird der Essener Konzern weiter vom deutlichen Preisverfall beim Tierfutterzusatz Methionin, der auch im ersten Quartal 2017 die Bilanz belastete. Zwar konnte Evonik den Umsatz dank kräftiger Absatzsteigerungen und der Einbeziehung der Air-Products-Sparte um knapp ein Fünftel auf 3,7 Milliarden Euro steigern. Doch das bereinigte Ebitda legte dagegen nur um acht Prozent auf 612 Millionen Euro zu. Der Nettogewinn lag als Folge der Methioninschwäche und akquisitionsbedingten Sonderaufwendungen mit 160 Millionen Euro sogar um ein Drittel unter Vorjahresniveau.


„Sie haben noch zwei wirklich gute Akquisitionen getätigt“

Engel zeigte sich zuversichtlich, dass im zweiten Quartal die Talsohle in der Methionin-Preis-Entwicklung erreicht wird. Die Performance in diesem, für Evonik wichtigen Geschäft könnte sich damit im Jahresverlauf wieder bessern. Andererseits dürfte sich die sehr starke Entwicklung im Bereich Performance-Materialien, dessen Betriebsgewinn sich im ersten Quartal vervierfachte, nicht fortsetzen. Engel verwies auf neue Kapazitäten im Bereich Plexiglas, mit denen Konkurrenten im zweiten Halbjahr den Wettbewerb in diesem Segment verstärken dürften.

Aufsichtsratsvorsitzender Werner Müller würdigte Engels hartnäckige Arbeit beim Umbau des Essener Konzerns. „Sie haben noch zwei wirklich gute Akquisitionen getätigt und einen Zeitpunkt gewählt, wo sie auf einem wunderbaren Fundament aus dem Unternehmen ausscheiden können“, sagte Müller an den scheidenden Firmenchef gewandt. 

Ähnlich stellten auch Sprecher der Aktionäre vor allem die Leistungen Engels bei der Neuordnung des Essener Konzerns und dessen Fokussierung auf die Spezialchemie heraus.

„Stellen Sie sich vor, wir hätten die Energieversorgung nicht verkauft“, sagte Ulrich Hocker der Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und spielte damit auf den Verkauf des Stromerzeugers Steag an, den Evonik 2010 für 3,8 Milliarden Euro (inklusive Verbindlichkeiten) verkaufte – ein Preis, den der Konzern heute wohl nicht mehr erzielen würde. 

Mit dem Verkauf von Steag und der Trennung von den Immobilien-Aktivitäten wurde Evonik zum reinen Chemiekonzern. Diese Ausrichtung gilt auch aus Sicht der Kleinaktionäre als wichtigstes Verdienst Engels. „Sie haben dafür gesorgt, dass Evonik kein Gemischtwarenladen blieb“, rief einer der Sprecher, „ Dafür gebührt Ihnen Dank.“ 

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