Chemieindustrie Klimakiller CO2 soll zum Super-Rohstoff werden

Der Konzern forscht intensiv an weiteren Anwendungen und will die Nutzung zum Geschäft im größeren Stil machen. Quelle: Covestro

Die Industrie will Kohlendioxid recyclen. Die Vision: CO2 soll Rohöl als neuen Super-Rohstoff ablösen. Deutsche Firmen sind vorn dabei.

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In Marl im nördlichen Ruhrgebiet soll die Chemie revolutioniert werden. Im dortigen Industriepark startet in den nächsten Monaten das Projekt Rheticus: Der Chemiekonzern Evonik und Siemens wollen die Natur kopieren, es geht um ein Verfahren zur künstlichen Photosynthese. Kohlendioxid und Wasser werden in neue chemische Substanzen umgewandelt – so, wie es im Kern das Prinzip der Pflanzen ist.

Bis 2021 soll die erste Versuchsanlage im riesigen chemischen Komplex von Evonik in Marl fertiggestellt sein. Hinter dem Projekt steht eine Vision, die die Industrie schon länger umtreibt: Statt Kohlendioxid nur die in die Luft zu pusten, soll der Klimakiller eingefangen und wiederverwertet werden. Weltweit treiben Industrie und Forscher die Entwicklung voran, an deren Ende CO2 das Öl als neuen Super-Rohstoff ablösen könnte.

Das Potenzial ist groß: Im CO2 steckt Kohlenstoff – die Substanz also, die seit langem Grundlage für Benzin, Kerosin, Kunststoff oder Chemikalien ist. Bislang wird Kohlenstoff aus Rohöl gewonnen, praktisch die gesamte Chemieproduktion baut auf dem fossilen Brennstoff auf. Doch die Erdölquellen werden einmal versiegen, zudem gelangt bei der Nutzung jede Menge des schädlichen Treibhausgases CO2 in die Erdatmosphäre.

Stickoxide und CO2

Das Recycling von CO2 erscheint da als geniale Idee – und es ist längst keine Vision mehr. Weltweit entstehen immer mehr Anlagen zur ersten kommerziellen Nutzung, beobachtet Michael Carus, Chef des auf Bioökonomie spezialisierten Nova-Instituts aus Hürth bei Köln. Der Wissenschaftler und Berater ist überzeugt: „In 50 Jahren werden wir Chemikalien und Treibstoffe komplett ohne Öl herstellen können.“ Evonik und Siemens haben in 20 Wissenschaftler auf das Projekt Rheticus angesetzt. In dem Verfahren im Chemiepark Marl sollen CO2 und Wasser mit Hilfe von erneuerbarer Energie und Bakterien in Basischemikalien verwandelt werden. Die wiederum werden zu Spezialchemieprodukten und Nahrungsergänzungsmitteln weiterverarbeitet. „Wir entwickeln eine Plattform, mit der chemische Produkte wesentlich günstiger und umweltfreundlicher produziert werden können“, sagt Günter Schmidt, Manager bei Siemens Corporate Technology.

Covestro sucht nach neuen Anwendungen

Hundert Kilometer südlich von Marl ist die kommerzielle Nutzung von CO2 als Rohstoffs bereits Realität. Am Standort Dormagen bei Köln produziert Covestro Kunststoffe auf Basis von Kohlendioxid. Die frühere Bayer-Tochter liefert Weichschäume, die in Polstern und vor allem in Matratzen verwendet werden. Üblicherweise werden diese Schäume nur aus fossilem Rohstoff hergestellt. Covestro ersetzt Öl mittlerweile zu mehr als einem Fünftel durch CO2.

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