Chips aus Afghanistan "Kauft unsern Herrn Kartoffel"

In Afghanistan herrscht Krieg, das macht die Güterversorgung und -produktion oft schwierig. Doch das afghanisch-deutsche Produkt „Herr Kartoffel“ schlägt sich wacker durch in Richtung Gewinn.

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Manager Mohammed Sarwari Quelle: dpa

Afghanische Kinder mögen saure Chips. „An den Kiosken vor den Schulen läuft der Zitronengeschmack am besten“, sagt der Chef der Chipsfabrik. Die Chips des deutsch-afghanischen Gemeinschaftsprodukts Mr Kachaloo - sprich Mister Katschalu, zu Deutsch Herr Kartoffel - werden in der Hauptstadt Kabul gerade zum Hit. Es gibt sie in den Geschmacksrichtungen Chili, Salz, Schwarzer Pfeffer oder eben Zitrone, mittlerweile in 10.000 der etwa 100.000 typischen Tante-Emma-Läden der Stadt, sagt Mahmud Nisar. Vereinzelt liefert die Firma in fünf weitere Provinzen.

Nisar, ein deutsch-afghanischer Volkswirt von 38 Jahren, führt Mister Katschalu seit 2016. 2010 hatte er angefangen, in Afghanistan als Berater der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zu arbeiten. Privat hat er nebenher junge Unternehmer unterstützt - unter anderem vier Männer, die Chips machen wollten. Aber die vier konnten sich nicht recht zusammenraufen und die Firma lief Gefahr, zusammenzubrechen.

„Da dachte ich, das wäre doch zu schade um all die Arbeit und den tollen Markennamen“, sagt Nisar. Also hat er sich Chipswissen angeeignet und einen Mentor, den IT-Unternehmer Helmut Wörner (75), um moralische und finanzielle Unterstützung gebeten. Zusammen haben die beiden die Firma aus einem Privathaus in ein Industriegebiet umgezogen und angefangen, sie zu professionalisieren.

„Jetzt hat Mister Katschalu schon mehr Kunden, als wir bedienen können“, sagt Mahmud Nisar am Telefon. Er ist auf Reisen und hat die Besucher in der Kabuler Fabrik seinem Manager Mohammed Sarwari überlassen, einem ehrgeizigen jungen Mann im dunklen Anzug. Zwei Tonnen Herr Kartoffel kommen mittlerweile jeden Monat auf den Markt. Die Firma sei damit schon drittgrößter Anbieter in Afghanistan, wo es nach Jahrzehnten von Krieg und Bürgerkrieg nur wenig gesunde Wirtschaftszweige gibt - und eben kaum einheimische Chips. „Dabei lieben Afghanen Chips. Das hier ist ein Wachstumsmarkt“, sagt Sarwari.

Die Kartoffelherren haben einen Unternehmensberater angeheuert und Marktforschung betrieben. 60 Prozent des Marktes sind im Griff eines Importprodukts: der weltgrößten Chipsmarke Lays, die zum Lebensmittelgiganten Pepsi gehört. Zweitgrößter Anbieter sei eine afghanische Firma namens Family. „Die sind die einzigen, die noch einigermaßen ernsthaft arbeiten“, sagt Sarwari. „Viele von den anderen machen schon dicht, wenn mal die Kartoffelpreise hochgehen.“

An Kartoffeln heranzukommen, ist in Afghanistan übrigens nicht immer leicht. Die aus der Provinz Bamian sind am besten. Bamian hat allerdings lange Winter. Deshalb hatten die Kartoffelherren zuerst aus Pakistan zugekauft - aber die Grenzen zum Nachbarland sind oft dicht. Jetzt haben Chef und Manager ein Kartoffel-Versorgungssystem mit Bauern aus Bamian und einer anderen Provinz sowie dem größten Gemüsehändler von Kabul zusammengepuzzelt. „Es war eine steile Lernkurve“, sagt Sarwari.

Hilfe von der Regierung gab es nicht. Musafer Kokandi vom afghanischen Handelsministerium sagt, dass die Regierung viel tue, um Investitionen zu fördern und dass die sich 2016 fast verdoppelt hätten auf 1,7 Milliarden US-Dollar (aktuell 1,4 Milliarden Euro). Experten wie Siamuddin Pasarlai von der Handelskammer sagen aber, dass Unternehmer immer noch mit vielen Problemen zu kämpfen hätten. Der Krieg mit den Taliban behindere Produktionsketten und Lieferwege. Da sei zu viel Korruption und Bürokratie, aber zu wenig Strom. Kabul ist dieser Tage manchmal stundenlang ohne Elektrizität.

Für die Chipsfabrik ist das bisher kein großes Problem, denn die macht noch viel in Handarbeit. Die Firma hat einen Kartoffelschäler - 20 Kilo pro Schälgang - und eine Packmaschine, aber gebacken werden die Chips noch im offenen Kessel, wie er auch für das Kochen von Reis für große Hochzeiten genutzt wird. Miss Schaima, eine der sieben Mitarbeiter in der Produktion, stäubt per Backsieb die Gewürzmischung auf die Chips und mischt sie energisch mit zwei Handfegerschaufeln.

Die Chips gibt es - angepasst ans Portemonnaie der Kunden in einem der ärmsten Länder der Welt - schon in der sehr kleinen Portion von 15 Gramm zum Preis für fünf Afghani, was etwa sechs Cent sind. Zum Vergleich: Ein Fladenbrot, das Naan, kostet zehn Afghani.

Profit macht Herr Kartoffel allerdings auch deshalb noch nicht. Kosten und Gewinn gleichen sich derzeit aus - „naja, meistens“, sagt Mohammed Sarwari. „Um kostengünstig zu sein, müssten wir größere Mengen bestellen können, aber dafür ist die Halle zu klein“ - der Kartoffelkeller hat Badezimmergröße. Die Produktion müsste auch schneller gehen. Jetzt sucht Mahmud Nisar nach Investoren, die helfen, eine vollautomatische Produktionskette aus China einzukaufen - Kosten: rund 300.000 Euro.

Fernziel ist, den Chips-Giganten Lays zu schlagen. Geld für große Werbung ist nicht da, aber die Verkäufer im Team haben Ideen. Patriotismus zieht am besten im Gespräch mit Ladenbesitzern. „Was wollt ihr mit den fremden Chips?“ fragen die Verkäufer dann. „Kauft afghanisch. Kauft unsern Herrn Kartoffel.“

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