WirtschaftsWoche: Herr Kottmann, Clariant hat soeben ein Forschungszentrum für 500 Mitarbeiter in Frankfurt-Höchst eingeweiht. Planen Sie weitere Investitionen in Deutschland?
Kottmann: Clariant besteht zu 70 Prozent aus Geschäften der früheren Hoechst AG, in Höchst arbeiten die meisten Forscher. Somit war klar, dass wir dort das Forschungszentrum eröffnen. Ansonsten: Warum sollten wir in Deutschland noch einen Cent in neue Anlagen investieren? Dafür sehe ich derzeit keinen Grund. Wir hatten zwei, drei Projekte in Deutschland favorisiert. Wir investieren nun lieber in den USA.
Sind Sie ein Energieflüchtling? In den USA liegen die Kosten deutlich niedriger.
Das ist ein Grund. Zudem sind die USA für uns im Gegensatz zu Europa nicht mehr ein reifer Markt, sondern ein Wachstumsmarkt, wo Konsum und Investitionen mächtig anziehen. Ich war neulich bei Kunden in Houston, da herrscht Goldgräberstimmung. Allein die Aussicht auf billigere Energie treibt die Investitionen nach oben und sorgt für mehr Wachstum.
Welche Mehrkosten verursacht die Energiewende in Deutschland für Clariant?
Allein am Standort Höchst zahlen wir für die Umlage auf erneuerbare Energien nächstes Jahr voraussichtlich 4,7 Millionen Euro. Die Kosten durch die EEG-Umlage haben sich damit gegenüber 2011 fast verdoppelt – ohne dass wir Kapazitäten ausgebaut haben. Wir zahlen in Deutschland 13 Cent pro Kilowattstunde, in China und den USA nur rund die Hälfte. Die explodierenden Energiekosten belasten uns doppelt – im internationalen Wettbewerb und im Vergleich zu heimischen Konkurrenten wie BASF, die weitgehend keine EEG-Umlage zahlen müssen. Um befreit zu werden, muss der Anteil der Energiekosten an der Bruttowertschöpfung mehr als 14 Prozent betragen. Das ist bei uns aber nur an einem von 18 Standorten in Deutschland der Fall.
Was wünschen Sie sich von der künftigen Bundesregierung zur Energiepolitik?
Der nationale Alleingang bei der Energiewende ist Wahnsinn. Ich halte die gesamte EEG-Förderung für falsch. Wir brauchen keine nationalen Alleingänge, sondern einen einheitlichen europäischen Ansatz.
Wie wird sich die Chemiekonjunktur in den kommenden Jahren entwickeln?
2014, 2015, 2016 werden Deutschland und Europa nicht wachsen, denn die Euro-Schuldenkrise sorgt für Verunsicherung bei Konsumenten und Industrie. Ich sehe Wachstum in Nord- und Lateinamerika und Asien. Die chinesische Regierung wird weiter Wachstumsprogramme auflegen, damit die Unterschiede zwischen Arm und Reich nicht zu sehr auseinanderdriften.
Weitere Verkäufe geplant
Als Sie 2008 antraten, galt Clariant als Pleitekandidat. Sie haben in den ersten zwei Jahren 4000 Stellen abgebaut und inzwischen ein Fünftel des Umsatzes verkauft. Trotzdem hinken Sie bei der Gewinnmarge hinter Konkurrenten zurück.
Im dritten Quartal erreichten wir eine Gewinnmarge von 14,1 Prozent vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen. Das ist für Clariant der beste Wert in der Unternehmensgeschichte, aber Industriedurchschnitt. Bis 2015 wollen wir mit einer Marge von 17 Prozent in das obere Drittel vorstoßen – wo etwa Evonik und Altana schon sind. Um das zu schaffen, setzen wir auf Wachstum, Innovationen und weitere Kostensenkungen, zum Beispiel bei der Logistik und anderen Service-Einheiten.
Ist der Clariant-Umbau abgeschlossen?
Es gibt immer noch fünf, sechs unserer etwa 50 Segmente, die ihre Ziele nicht erreichen. Bisher schwimmen die in größeren Einheiten mit, das wird sich ändern. Welche Segmente das sind, verrate ich nicht. Es wird auch weiter Verkäufe geben, aber nicht in der bisherigen Dimension.
Sie haben sich jüngst von Geschäften wie der Textil- und Lederchemie getrennt; Käufer waren Finanzinvestoren. Breiten die sich in der Chemiebranche weiter aus?
Es wird künftig in der Branche mehr Abschlüsse mit Finanzinvestoren geben. In den USA lässt sich das bereits beobachten.
Wo bleiben die klassischen Konzerne?
Es sind ja oft kleinere Kapazitäten, die auf den Markt kommen. Nehmen Sie unser Emulsionsgeschäft – also Mischungen von Flüssigkeiten –, das wir zusammen mit der Textil- und Papierchemie an die US-Beteiligungsgesellschaft SK Capital verkauft haben. Das waren zwölf verschiedene Standorte, alles eher kleinteilig. Für eine BASF oder Dow Chemical ist das uninteressant.
Clariant hat 2011 die Süd Chemie vom Finanzinvestor One Equity Partners für etwa zwei Milliarden Euro erworben. Was hat der Kauf gebracht? Der große Wachstumssprung ist ausgeblieben.
Es ging uns bei der Akquisition nicht um starkes Wachstum, sondern um Kosteneinsparungen und margenstarke Innovationen. Die Süd Chemie verfügte über einige erstklassige Produkte wie das Geschäft mit Katalysatoren. Und über ein bahnbrechendes Verfahren, um Bioethanol aus Stroh herzustellen. Die industrielle Biotechnologie werden wir ausbauen.
Durch die Süd Chemie sind noch einmal etwa 1000 deutsche Mitarbeiter zu Clariant kommen. Wie vertragen sich Schweizer und Deutsche?
Als Clariant Ende der Neunzigerjahre im Wesentlichen aus der Schweizer Sandoz und der deutschen Hoechst AG entstand, gab es richtige Machtkämpfe. Die damaligen Manager haben das noch geschürt.
Und dann haben Sie für Ruhe gesorgt?
Es sind nun ausgeglichenere Charaktere am Werk. Clariant beschäftigt inzwischen in Basel mehr Deutsche als Schweizer. Ich bin selbst ehemaliger Hoechster, aber ich habe ein ganz klares Verständnis: Das Unternehmen heißt Clariant, die Zentrale liegt in der Schweiz, in Muttenz bei Basel.
Wo müssen die Mitarbeiter umdenken?
Clariant hatte keine sehr kommunikationsorientierte Kultur. Viele Mitarbeiter sind lieber ein bisschen für sich, haben ihr Silo und machen die Türe zu. Wir brauchen Leute, die Probleme selbstständig angehen, aufstehen und ihre Meinung vertreten. Wir müssen anders denken und arbeiten. Das sage ich den Mitarbeitern seit vier, fünf Jahren, es ist ein langer Prozess.
Zu wenig Frauen in der Chemie
Im Clariant-Vorstand sitzen nur Deutsche. Das sorgt doch sicher für böses Blut?
Ich bin vom Verwaltungsrat, der mehrheitlich aus Schweizern besteht, bestellt worden. Ich hatte dann freie Hand bei der Auswahl meines Führungsteams. Finanzvorstand Patrick Jany ist zwar dem Pass nach Deutscher, hat aber französische Wurzeln. Die anderen beiden Vorstandskollegen kenne ich noch von der Hoechst AG.
Im Vorstand und im Verwaltungsrat findet sich keine Frau. Wann ändert sich das?
Wenn es eine geeignete Kollegin gibt, können wir darüber reden. Unserem Verwaltungsrat würde es sicher gut tun, ein oder zwei Frauen im Gremium zu haben.
Dem Vorstand nicht?
Ich würde mich freuen, wenn sich mehr Frauen für die Chemiebranche entscheiden würden. Wir haben nicht genügend junge Kandidatinnen, die wir entwickeln können. Ich habe mal unsere Leiterin Personalentwicklung gebeten, eine Liste mit den 30 Top-Frauen bei Clariant anzulegen. Es sind nur 20 zusammengekommen.
Das ist wenig bei rund 22.000 Mitarbeitern. Arbeiten Sie daran, den Talentpool für Frauen zu vergrößern?
Nein, da gibt es keine Initiativen. Ich bin auch gegen eine Frauenquote in Unternehmen. Eine solche Quote würde selbstbewussten Frauen, die beruflich ihren Weg gehen, eher schaden.
2012 haben Sie 7,4 Millionen Schweizer Franken verdient. Das ist mehr als die Chefs von BASF und Bayer jeweils erhalten. Sind Sie so viel Geld wert?
Diese Frage müsste unser Verwaltungsrat beantworten. Der Betrag liegt sicher am oberen Ende der Spannbreite, die ich mir selbst zusprechen würde. Darin enthalten ist allerdings eine Einmalzahlung von 1,5 Millionen Franken für Leistungen im Zusammenhang mit der Integration der Süd Chemie. Und große Teile meiner Vergütung habe ich noch gar nicht bekommen – die sind an die Erreichung eines Gewinnziels geknüpft. Wenn wir das nicht schaffen, ist das Geld weg. Mein Grundgehalt liegt bei einer Million Franken, umgerechnet etwa 800.000 Euro.
Am 24. November stimmt die Schweiz darüber ab, ob Vorstände künftig nur noch das maximal Zwölffache des niedrigsten Arbeiterlohns im Unternehmen verdienen sollen. Wie stehen Sie dazu?
Ablehnend. Ich habe den Eindruck, dass da eine Gruppe von Jungsozialisten die Schweiz rocken will.