Während in Brüssel Fakten geschaffen werden, schweigt die Bundesregierung in Berlin. Am Montag Abend hat der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments eine drastische Senkung des CO2-Ausstusses von Pkw bis 2030 gefordert. Um 45 Prozent sollen die Emissionen von Neuwagen im Flottendurchschnitt sinken. Die EU-Kommission hatte nur ein Minus von 30 Prozent gefordert. In Berlin haben sich die drei betroffenen Ministerien bisher nicht auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen können. Als einziger EU-Staat geht Deutschland nun ohne eigene Position in die wichtigen Verhandlungswochen. „Da wird eine Entscheidung ohne Deutschland fallen“, befürchtet man bereits in der deutschen Automobilindustrie.
Dort ist die Angst groß, dass in Brüssel scharfe Limits beschlossen werden, auch wenn es nicht unbedingt bei den nun angepeilten Werten bleibt. Die Branche ist in Aufruhr – obwohl sie gewusst hat, dass sich Kanzlerin Angela Merkel nicht wie in der Vergangenheit für die Automobilhersteller in die Bresche werfen wird. Vor fünf Jahren hatte Merkel einen fertig ausverhandelten Kompromiss aufschnüren lassen. Doch nach dem Dieselskandal und angesichts des Verdachts, dass die Branche in einem großangelegten Kartell illegale Absprachen getroffen hat, kann die Branche nicht mehr auf die Kanzlerin als Fürsprecherin zählen. Dass die Bundesregierung sich derart wenig in den Gesetzgebungsprozess einbringt, überrascht die Branche dennoch. Ohne eigene Position hat Deutschland keinen Einfluss in Brüssel.
Bisher wollen die Unions-geführten Verkehrs- und Wirtschaftsministerien bis 2030 eine Reduzierung der CO2-Werte um 30 Prozent sehen. Das Umweltministerium besteht auf einem Minus von 50 Prozent. „Keiner bewegt sich“, heißt es aus der Automobilbranche. „Und Kanzlerin Merkel hat keine Lust, moderierend einzugreifen.“ Zudem habe CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer kein Interesse an einer Einigung vor den Landtagswahlen in Bayern, heißt es.
Wie geht es weiter? Das Plenum des Europäischen Parlaments wird in der ersten Oktober-Woche über das Thema abstimmen. Es ist nicht gesagt, dass sich eine Mehrheit für die Vorgabe aus dem Umweltausschuss findet. Aber die Mehrheit der Abgeordneten wird das Ziel sicher höher ansetzen als 30 Prozent. Die EU-Mitgliedsstaaten streben in der zweiten Oktoberwoche eine Einigung an. Frankreich plädiert für CO2-Einsparungen von 40 Prozent und hat nordeuropäische Länder auf seiner Seite, aber auch Griechenland und seit kurzem auch Italien. Der Koalitionspartner Cinque Stelle fordert strenge Abgaslimits, obwohl der heimische Hersteller Fiat bisher über keine eigene Technologie für Elektroautos verfügt. „Die zerstören mit Anlauf ihre eigene Automobilindustrie“, heißt es aus der Branche.
Was würde das Limit von 45 Prozent bis 2030 für die Branche bedeuten? „Die vorgeschlagenen Ziele werden in diesem Zeitraum nicht umsetzbar sein“, kritisiert Bernhard Mattes, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). „Der Vorschlag des Umweltausschusses geht an der technischen und wirtschaftlichen Realität vorbei.“
Umweltschützer und Branchenexperten bezweifeln allerdings solche Aussagen. „Große deutsche Hersteller planen intern mit einem Anteil von 30 bis 50 Prozent Elektroautos bis zum Jahr 2030“, sagt Axel Friedrich, ehemaliger Abteilungsleiter im Umweltbundesamt und Berater für die Deutsche Umwelthilfe. Die Vorgaben seien sehr wohl zu erreichen. Zudem werde der Großteil der Autos in Mitgliedsstaaten wie Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Polen verkauft – so dass ein zögerlicher Aufbau der Infrastruktur für Elektromobilität in anderen Ländern nicht so stark ins Gewicht falle.
Umweltschutzorganisationen wie Transport und Environment halten die CO2-Einsparungen, über die derzeit im Verkehr diskutiert wird, ohnehin für zu klein, um das Klima zu retten. Eine Größenordnung von 60 Prozent sei realistischer, wenn die Ziele des Pariser Abkommens eingehalten werden sollen. Der grüne Europa-Abgeordnete Bas Eickhout weist darauf hin, dass bei Autos sehr viel leichter CO2 eingespart werden könne, als in anderen Sektoren. „Bei den Autos fallen weniger Kosten an als etwa in der Landwirtschaft.“