Corona-Impfstoff „In großer Menge werden Impfstoffe frühestens 2021 zur Verfügung stehen“

Derzeit werden weltweit mehr als 100 Impfstoffe gegen Corona getestet. Biontech-Aufsichtsratschef Jeggle sieht das allerdings nicht als ein Wettrennen, sondern als ein Miteinander um schnellstmöglich ein Mittel gegen das Virus bereitzustellen. Quelle: Imago

Die Welt wartet auf das Corona-Gegenmittel. Biontech-Aufsichtsratschef Helmut Jeggle spricht im Interview über Impfstoff-Tests, Aussichten für einen weiteren Börsengang und seine Kritik am Standort Deutschland.

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Jeggle, 49, begann als Controller beim Generika-Hersteller Hexal. Dort lernte er den Unternehmer Thomas Strüngmann kennen, der die Mehrheit am Mainzer Biotechunternehmen Biontech hält. Seit 2008 führt Jeggle den Aufsichtsrat von Biontech. Das Unternehmen arbeitet an Impfstoffen gegen Krebs und derzeit auch an einem Impfstoff gegen das Coronavirus.

WirtschaftsWoche: Herr Jeggle, im April hat Biontech damit begonnen, einen potenziellen Impfstoff gegen Covid-19 an Menschen zu testen. Wie laufen die Studien?
Helmut Jeggle: Die Studien laufen planmäßig und gut. Wir testen vier Varianten von Impfstoffen in unterschiedlicher Dosierung, in 250 Mikrogramm und in 25 Mikrogramm. Je geringer die finale Dosierung, umso mehr Patienten können versorgt werden. Die Ergebnisse wird Biontech Ende Juni oder Anfang Juli präsentieren. Wenn die Studien ihre Endpunkte erreicht haben, starten wir mit größeren Tests an Tausenden Probanden, um die Wirksamkeit noch genauer zu überprüfen.

Wie wahrscheinlich ist der Erfolg?
Derzeit werden weltweit mehr als 100 Impfstoffe gegen Corona getestet. Ich denke schon, dass es am Ende mehrere Impfstoffe gegen Corona auf den Markt schaffen. Wir sehen es aber nicht um ein Wettrennen gegeneinander, sondern ein Miteinander um schnellstmöglich eine Lösung für die breite Bevölkerung bieten. In großer Menge werden die Impfstoffe meines Erachtens aber frühestens 2021 zur Verfügung stehen.

Wer ist denn ihr wichtigster Wettbewerber? Das Tübinger Unternehmen Curevac, bei dem gerade der Bund eingestiegen ist und das nun auch mit klinischen Tests startet? Dabei arbeitet Curevac nach dem gleichen Prinzip wie Biontech - der Impfstoff soll den Körper dabei anregen, sich selbst einen Immunschutz gegen Covid-19 zu bauen.
In den Gesprächen mit Investoren werden wir immer wieder auf Aktivitäten und Fortschritt gegenüber Moderna angesprochen. Moderna ist wie wir in den USA an der Nasdaq gelistet und damit einer gewissen Transparenz verpflichtet. Dies ermöglicht es teilweise den Investoren, die Firmen zu vergleichen.

Mal angenommen, Biontech hat Erfolg. Wieviel wird ein Impfstoff gegen Covid-19 kosten?
Das ist heute noch nicht absehbar. Das Ziel ist eine zeitnahe, breite Versorgung. Es wird sowohl auf nationaler Ebene, wie etwa beim Bundesforschungsministerium als auch auf EU-Ebene an Förderprogrammen gearbeitet, um gemeinsam mit den forschenden Unternehmen an Lösungen zu arbeiten. Hierzu bin ich gemeinsam mit unserem CEO Ugur Sahin als auch mit unserem Finanzchef Sierk Pötting mit der Europäischen Kommission in Kontakt, die sich sehr intensiv und engagiert um das Thema kümmert. Wir reden intensiv darüber, wie sich das Covid Projekt bei Biontech entwickelt und unsere weitere Planung aussieht.

Offenbar war Ihre EU-Mission erfolgreich: Die Europäische Investitionsbank finanziert 100 Millionen Euro, damit Biontech seine Produktionskapazitäten erweitern kann.
Meine Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass sich Biontech kein zusätzliches wirtschaftliches Risiko auflädt. Falls die Studien erfolgreich sind, werden wir den Impfstoff hierzulande in großem Stil in Mainz und Idar-Oberstein produzieren.

In den USA hat Präsident Trump bereits mit ihrem Partnerunternehmen Pfizer einen Vorvertrag geschlossen…
Pfizer kümmert sich um die Produktion und die Verteilung des Impfstoffs in den USA, wir machen das für Europa.

Vor noch gut einem Jahr war Biontech nahezu unbekannt, dank des potenziellen Corona-Impfstoffs erfreut sich das Unternehmen nun weltweiter Aufmerksamkeit. Freut Sie das oder ist das eher eine Bürde?
Die Entwicklung eines Corona-Impfstoffes macht es für uns einfacher, die Power unserer Technologie-Plattformen zu beweisen. Nach dem gleichen Prinzip wie bei Corona entwickelt Biontech schwerpunktmäßig auch Impfstoffe gegen Krebs, die in einigen Jahren auf den Markt kommen könnten. Das ist unsere Vision seit der Gründung. Biontech kann als biotechnologisches Unternehmen einen ähnlichen Stellenwert in der Patientenversorgung bekommen wie SAP in der Softwarebranche. Inzwischen verstehen das auch immer mehr Politiker und Entscheidungsträger.

Die Hersteller von Impfstoffen sind in den Fokus der Politiker geraten. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier will bestimmte Gesundheitsunternehmen vor unerwünschten Übernahmen etwa aus China oder den USA schützen. Künftig müssen Sie es sich genehmigen lassen, wenn ein Erwerber von außerhalb der EU zehn Prozent und mehr an Biontech erwerben will. Wie stehen Sie dazu?
Das wäre meines Erachtens keine gute Entscheidung, eine solche Entscheidung wäre eine Limitierung für Investoren und könnte dazu führen, dass zukünftig hochinnovative Firmen nicht mehr in Deutschland gegründet würden.

Fühlen Sie sich von deutschen Politikern ansonsten ausreichend unterstützt?
Ich rede jetzt mal von der Biotechbranche allgemein. Da lässt sich bei der Standortqualität in Deutschland noch einiges verbessern. Natürlich schreiben Biotechunternehmen jahrelang Verluste, weil die Entwicklung von Medikamenten eben oft länger als ein Jahrzehnt dauert. Dies ist ein Teil vom Geschäftsmodell und muss besser verstanden werden. Für diese kapitalintensive Start-Ups sind die in Deutschland aufgesetzten Modelle nicht attraktiv, es gibt hierfür auch keinen funktionierenden Kapitalmarkt. Die schon häufig diskutierte Ungleichbehandlung durch den Wegfall der Verlustvorträge muss ich an der Stelle gar nicht erwähnen. In Ländern wie Österreich, Singapur und Israel sind diese Programme für Start-up Unternehmen besser zugeschnitten.

Ist die Finanzierung ein Problem?
Sie müssen immer wieder neue Geldquellen erschließen und Investoren finden. Deutsche Investoren brauchen viel mehr unternehmerischen Mut und Leidenschaft, um in innovative, disruptive Unternehmen, in die Zukunft, zu investieren. Das heißt aber auch, dass über Jahre Verluste geschrieben werden, dass wir Verluste schreiben und die Umsätze rückläufig sind. Das kann ja auch nicht anders sein, wenn wir, wie bei Biontech, jahrelang ein Medikament entwickeln und kaum Einnahmen haben. Bei Finanzierungsrunden sind deutsche Kapitalgeber, wenn überhaupt, nur mit vergleichsweise kleineren Beträgen dabei, etwa im einstelligen Millionenbereich. Unsere neuen Kapitalgeber finden wir vor allem in den USA.

Dort sind Sie auch an der US-Technologiebörse Nasdaq notiert. Ist es völlig ausgeschlossen, dass Biontech-Aktien einmal an einer deutschen Börse gehandelt werden?
Ich kann mir durchaus vorstellen kann, dass Biontech einmal sowohl in den USA als auch in Deutschland gelistet ist. Aber dafür müssen wir erst Produkte auf den Markt bringen, damit unser Geschäftsmodel besser verstanden wird.

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