Bill Gates lag daneben. Noch im Herbst vergangenen Jahres hielt der Milliardär und Philanthrop nicht allzu viel von mRNA-Impfstoffen. Zu unerprobt seien die Vakzine. Im Kampf gegen Corona setzte Gates, dessen Stiftung weltweit Krankheiten bekämpft, lieber auf bewährtere Technologien wie Vektor-Impfstoffe.
Es waren bisher eher unbekannte Unternehmen, die an den mRNA-Impfstoffen arbeiteten: Biontech und Curevac aus Deutschland, Moderna aus den USA. Die Vektor-Vakzine stammten dagegen von bewährten Konzernen, der britisch-schwedischen AstraZeneca und dem US-Unternehmen Johnson & Johnson. Auch der russische Sputnik-V-Impfstoff basiert auf der Vektortechnologie.
Einige Pandemie-Monate später ergibt sich ein ganz anderes Bild. mRNA-Impfstoffe, insbesondere Biontech, erfreuen sich großer Beliebtheit und gelten als Goldstandard bei der Bekämpfung des Virus. Die EU hat jüngst klargemacht, sich bei ihren Einkäufen künftig vor allem auf mRNA-Vakzine zu konzentrieren. Biontech und Moderna waren zudem die ersten, die ihre Impfstoffe auf den Markt brachten. Und die US-Arzneimittelbehörde FDA hat den von Pfizer und Biontech entwickelten Impfstoff Mitte Mai nun auch für 12- bis 15-jährige Kinder genehmigt. Zuvor war das Vakzin in den USA erst ab einem Alter von 16 Jahren zugelassen.
Die Vektor-Impfstoffe dagegen haben in der Gunst deutlich verloren – nach Diskussionen über Lieferprobleme und Thrombosen-Nebenwirkungen bei AstraZeneca und Johnson & Johnson. Vektor-Impfstoffe scheinen nur noch zweite Wahl zu sein. In vielen Impfzentren wurden die entsprechenden Dosen von AstraZeneca zeitweise verschmäht. Zu Recht? Und was unterscheidet eigentlich die beiden Arten von Impfstoffen?
Mediziner sind sich weitgehend einig, dass sowohl mRNA-Moleküle als auch die Vektoren gute, wirksame Mittel im Kampf gegen die Pandemie sind. Womöglich derzeit mit leichten Vorteilen für die mRNA-Fraktion.
Den Körper auf die Erreger trainieren
Die Ziel ist bei beiden Impfstoff-Klassen dasselbe: Über die Spritze wird jeweils die Erbinformation des Sars-Cov-2-Erregers in den Körper eingeschleust. So ist der Körper dann bestens vorbereitet, falls der Corona-Erreger dann tatsächlich auftaucht – und kann den Eindringling entsprechend bekämpfen. Der Körper löst eine Immunantwort aus.
Was mRNA und Vektor-Impfstoffe unterscheidet, ist die Art des Transports: Bei der mRNA wird über Nukleinsäure (RNA), die im Körper auch natürlich vorkommt, ein genetischer Bauplan transportiert, mit dessen Hilfe die Zellen des Körpers das bekannte Corona-Stachelprotein selbst herstellen. Darauf reagiert der Körper dann entsprechend und organisiert seine Abwehrkräfte.
Wie sich die Corona-Impfstoffe unterscheiden
Forscher liefern sich weltweit ein Wettrennen um wirksame Impfstoffe gegen Covid-19. Alle Impfstoffkandidaten basieren auf demselben Grundprinzip: Dem Abwehrsystem des Körpers werden Teile des Coronavirus präsentiert (Antigene), auf die die Immunzellen eine Antwort (Antikörper) herausbilden und so eine Immunität gegenüber dem Krankheitserreger aufbauen.
Dabei gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen, etwa, welche Antigen-Teile dem Immunsystem wie präsentiert werden. Hier stehen derzeit zwei Entwicklungslinien im Fokus:
- Impfstoffe mit Vektorviren, das bedeutet so viel wie "Träger-Viren"
- und die neuartigen mRNA-Impfstoffe.
Stand: 11. Mai 2021
mRNA-Impfstoffe enthalten Abschnitte aus dem Erbgut des Coronavirus, die sogenannte messenger-RNA (kurz mRNA), die auch als Boten-RNA bezeichnet wird. Hiervon wird eine sehr geringe Menge dem Menschen in den Muskel injiziert. Die Körperzellen nehmen die Partikel auf und entschlüsseln die enthaltene Erbinformation. Kurzzeitig produzieren sie ein sogenanntes Spike-Protein, das an der Oberfläche des Coronavirus sitzt. Es macht vereinfacht gesagt dem Immunsystem deutlich, dass hier etwas Körperfremdes zu finden ist, das es unschädlich zu machen gilt. Für dieses Oberflächenprotein bildet das Abwehrsystem also Antikörper, die es ihm bei einer späteren Infektion mit dem Coronavirus ermöglichen, den Eindringling schnell zu erkennen und sofort eine Immunantwort parat zu haben.
Studien haben gezeigt, dass hiervon keine Gefahr für den menschlichen Körper ausgeht. Die eingeschleusten Erbgut-Teilchen werden innerhalb kurzer Zeit von den menschlichen Zellen abgebaut. Sie werden nicht in die menschliche DNA eingebaut. Sobald die mRNA des Impfstoffs abgebaut ist, findet keine weitere Produktion des Antigens statt.
Die mRNA-Impfstoffe können innerhalb weniger Wochen in sehr großen Mengen hergestellt werden. Sie bringen jedoch die Herausforderung mit sich, dass sie nach derzeitigem Forschungs- und Entwicklungsstand bei extrem niedrigen Temperaturen transportiert und dauerhaft gelagert werden müssen (-20 bis -80 Grad Celsius). Deshalb werden sie vorrangig in speziell dafür ausgerüsteten Impfzentren verabreicht. Hier soll der Moderna-Impfstoff allerdings einen Vorteil haben: Laut dem Hersteller kann er bis zu 12 Stunden bei Raumtemperatur und 30 Tage im Kühlschrank (2 bis 8°C) gelagert werden.
Für vektorbasierte Impfstoffe werden für Menschen harmlose Viren als kleine Transporter zweckentfremdet – sozusagen als trojanisches Pferd. Die Viren werden so verändert, dass sie in ihrem Erbgut auch den Bauplan für einen oder mehrere Bestandteile (Antigene) desjenigen Erregers enthalten, gegen den eine Immunität (Antikörper) aufgebaut werden soll. Das Prinzip ist immer das gleiche: Die menschlichen Zellen sollen auch hier Teile des Spike-Proteins des Coronavirus herstellen, damit das Immunsystem "weiß", wen es angreifen soll.
Auch hier werden die Viren-Erbinformationen nicht in die menschliche DNA eingebaut. Nach dem Abbau der von den Vektorviren übertragenen Erbinformation findet keine weitere Produktion des Antigens statt.
Vektorimpfstoffe wurden bereits zugelassen (zum Beispiel Ebola-Impfstoffe). Die Corona-Impfstoffe der Firmen AstraZeneca und Johnson & Johnson (J&J) sind Vektorimpfstoffe. Diese haben gegenüber den mRNA-Impfstoffen den Vorteil, dass sie bei Temperaturen von 2 bis 8 Grad Celsius transportiert und gelagert werden können. Das macht ihren Einsatz in normalen Hausarztpraxen simpler. Das J&J-Präparat hat zudem den Vorteil, dass es nur einmal verabreicht werden muss. Die drei anderen bislang in Deutschland zugelassenen Corona-Impfstoffe (von AstraZeneca, Biontech/Pfizer und Moderna) müssen zwei Mal gespritzt werden.
Quelle: RKI, eigene Recherche
Bei den Vektor-Impfstoffen dagegen bauen die Forscher das Genmaterial des Coronavirus in ein harmloses, zuvor unschädlich gemachtes Virus ein. Das Virus bringt den Körper dazu, Antikörper zu bilden. Um im Falle eines Falles eindringende Erreger abwehren zu können.
Beide Technologien lassen sich als Plattformen nutzen: Der Impfstoff muss also nicht für jede Virusart oder Mutation völlig neu konzipiert werden, sondern kann auf vorhandenen Erfahrungen aufbauen. Das beschleunigt dann die Herstellung.
Erfahrungen mit Ebola
Mit Vektor-Impfstoffen gab es bereits vor Corona Erfahrungen. So basiert ein Vakzin gegen Ebola auf genau dieser Technologie. mRNA-Impfstoffe waren dagegen bislang nahezu unbekannt. Geforscht wurde zwar seit den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts – unter anderem von der ungarischen Biochemikerin Katalin Kariko, die inzwischen für Biontech arbeitet und in den USA forscht. Doch bis zur Produktreife dauerte es dann doch mehrere Jahrzehnte. Bis zu den Corona-Impfstoffen von Biontech und Moderna gab es kein einziges mRNA-Präparat auf dem Markt. Entsprechend gab es auch keine Langzeituntersuchungen. Aufgrund ihrer Beschaffenheit müssen mRNA-Präparate zudem kühl gelagert werden, was in vielen Entwicklungsländern zum Problem werden kann. In sehr seltenen Fällen traten zudem im Zusammenhang mit einer Biontech-Impfung Herzmuskelentzündungen auf.
Die Vektor-Impfstoffe sind dagegen zwar besser untersucht, haben aber einen anderen Nachteil: Bei Menschen, die dem Trägervirus zuvor schon durch eine andere Infektion ausgesetzt waren und bei denen damit bereits eine Immunantwort erfolgte, kann sich die Wirkung der Impfung abschwächen.
Nebenwirkung: Hirnvenenthrombosen
Zudem wurden die Vektor-Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson kürzlich mehrfach in Verbindung mit Hirnvenenthrombosen und Blutplättchen-Mangel gebracht – einer zuweilen tödlichen Kombination.
Zwar fanden Forscher der Universität Oxford kürzlich heraus, das Hirnvenenthrombosen bei mRNA-Impfstoffen in etwa gleicher Zahl vorkommen wie bei Vektor-Impfstoffen – in vier beziehungsweise fünf Fällen pro eine Million Erstimpfungen. Allerdings ist der Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) bei mRNA-Impfstoffen bislang so nicht zu beobachten. Kommt es – in seltenen Fällen – sowohl zu Hirnvenenthrombosen als auch zu einem Mangel an Blutplättchen, kann dies zuweilen tödlich enden. Wie der Mechanismus genau funktioniert, darüber rätseln die Forscher noch.
Das für die Sicherheit von Impfstoffen zuständige Paul-Ehrlich-Institut meldete vor einigen Wochen in Deutschland zwar 89 Fälle von Thrombosen nach einer Biontech/Pfizer-Impfung. In keinem dieser Fälle jedoch wurde ein Mangel an Blutplättchen beobachtet. Ebenso wenig bei Moderna. Beim AstraZeneca-Vakzin trat hingegen die Kombination von Thrombosen und Blutplättchen-Mangel in 102 Fällen auf. 21 Betroffene starben – 13 Frauen und acht Männer.
Pfizer sieht „dramatisches Potenzial"
Solche wissenschaftlichen Daten favorisieren damit leicht die mRNA-Impfstoffe gegenüber den Vektor-Impfstoffen. Eine Technologie, die bis vor etwa anderthalb Jahren so gut wie unbekannt war. Nun könnte den mRNA-Impfstoffen eine große Zukunft bevorstehen – auch im Kampf gegen andere Krankheiten. So testet Biontech etwa Krebs-Impfstoffe auf Basis von mRNA. Pfizer-Chef Albert Bourla erkennt in der Technologie ein „dramatisches Potenzial“. Pfizer sei zuversichtlich, nun auch alleine mRNA-Vakzine entwickeln zu können – womöglich auch ohne den bisherigen Partner Biontech.
Auch der Biotech-Unternehmer und Curevac-Aufsichtsrat Friedrich von Bohlen prophezeit der mRNA noch eine große Zukunft: „Ich wäre nicht überrascht, wenn in dreißig Jahren mRNA-basierte Arzneimittel und Impfstoffe die am weitesten verbreitete Therapieform sein werden.“
Wahrscheinlich sieht auch Bill Gates die mRNA-Impfstoffe mittlerweile in einem anderen Licht.
Mehr zum Thema: Seit Beginn der Coronapandemie sind weltweit Mutationen des Virus aufgetaucht. Neben der britischen, südafrikanischen und brasilianischen Mutation, macht nun die indische Variante Schlagzeilen. Wie wirksam sind die bisherigen Corona-Impfstoffe gegen sie? Ein Überblick.