Curetis US-Zulassung beflügelt deutsches Biotech-Start-up

Das deutsche Start-up hat einen Schnelltest für Lungenentzündungen entwickelt. Nun kann Curetis endlich die US-Expansion starten.

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Curetis will das Verfahren zur Identifizierung der Erreger von Lungenentzündungen deutlich beschleunigen. Quelle: picture alliance/dpa

Frankfurt Die Behandlung schwerer bakterieller Infektionen, etwa gefährlichen Lungenentzündungen, liegt vielfach noch im Argen. Etwa ein Drittel der Patienten, so gängige Schätzungen, werden mangels schneller und präziser Diagnostik zunächst falsch behandelt: Weil es zu lange dauert, die Krankheitserreger genau zu identifizieren, erhalten sie zu viel, zu wenig oder die falschen Antibiotika.

Diese Lücke will das junge deutsche Biotechunternehmen Curetis mit seinem „Unyvero“-System zur schnelleren Infektionsdiagnostik ein Stück weit schließen. Für diese in Europa bereits vermarktete Plattform hat das Unternehmen nun auch die Zulassung durch die US-Arzneimittelbehörde FDA erhalten.

Für das kleine Biotechunternehmen ist das ein extrem wichtiger Erfolg, den die Börse am Mittwochmorgen mit einem Kurssprung von mehr als zehn Prozent honorierte. Curetis wurde 2007 von früheren Diagnostik-Experten des Philips-Konzerns gegründet, hat seinen Hauptsitz in Holzgerlingen bei Stuttgart und ist seit 2015 an der Euronext in Amsterdam notiert. Dort wird die Firma derzeit mit knapp 100 Millionen Euro bewertet.

Auf den Markteintritt in den USA hat das schwäbische Start-up seit gut drei Jahren hingearbeitet und dafür bereits eine Außendienstmannschaft mit rund zwei Dutzend Mitarbeitern in San Diego aufgebaut. „Unser Ziel ist es, im ersten Jahr etwa 60 bis 80 Unyvero-Systeme in US-Kliniken zu platzieren“, sagt Curetis-Chef Oliver Schacht.

Bei den Unyvero-Analysern handelt es sich kühlschrankgroße Geräte, in denen Testkartuschen mit den eigentlichen Diagnose-Reagenzien eingesetzt werden. Wie in der Diagnostik-Branche üblich, will auch Curetis das Geschäft dabei vor allem mit dem Vertrieb dieser Kartuschen machen.

Der Vorteil des Systems besteht aus Sicht des Unternehmens vor allem darin, dass die Analyse der Erreger innerhalb von vier bis fünf Stunden erfolgen kann, während viele Kliniken diesen Nachweis bisher noch wie zu Zeiten Robert Kochs mit Bakterienkulturen auf Petrischalen erledigen – eine Prozedur, die mehrere Tage dauert. Da man bei schweren Infektionen mit einer Therapie nicht so lange warten kann, setzen Ärzte vielfach blind vielfach bestimmte Antibiotika auf Verdacht ein mit der Gefahr, dass sie gar nicht wirken und auch Resistenzen verursachen können.

In den USA hat Curetis jetzt die Zulassung für einen Test erhalten, der mehr als 30 verschiedene Erreger von schweren Lungenentzündungen diagnostizieren kann und dabei auch eine Reihe von Marker für Resistenzen identifizieren kann. Betroffen von solchen Infektionen sind nach Schätzung von Curetis jeweils etwa eine Million Patienten in Europa und den USA. Vergleichbare Diagnostika für diese Fälle sind nach den Worten Schachts bisher nicht auf dem Markt.

Curetis will das Angebot zudem weiter verbreitern. „Die Vorbereitungen für die klinischen Studien mit einem zweiten Test in den USA laufen bereits“, so Schacht. In den USA könnte das System nach Schätzung von Curetis für etwa 1000 Kliniken interessant sein.

In Europa vertreibt Curetis neben dem Lungenentzündungs-Test auch bereits Kartuschen für die Diagnose von Infektionserregern bei orthopädischen Operationen, Blutvergiftungen und schweren Infektionen des Bauchraums. Hier hat das Unternehmen inzwischen bereits rund 140 Unyvero-Systeme platziert, den Löwenanteil davon allerdings erst im zweiten Halbjahr 2017. Auch in Europa betreibt Curetis den Vertrieb in wichtigen Märkten wie Deutschland, Großbritannien und Frankreich in eigener Regie, während man in einer Reihe weiterer Länder auf Distributionspartner setzt.

Die Umsätze sind bisher noch bescheiden. Für die ersten neun Monate 2017 wies Curetis Erlöse von rund 0,8 Millionen Euro und einen operativen Verlust von 13,8 Millionen Euro aus.

Im laufenden Jahr soll das Geschäft deutlich wachsen, nicht zuletzt durch den Schub in den USA. Allerdings wird man dafür weiter kräftig investieren müssen, insbesondere in den Vertrieb. Für die nächsten Jahre sei vor allem Wachstum gefordert, sagt Schacht, was auch zu lasten des Cash-Verbrauchs gehen könne. Analysten gehen davon aus, dass das Unternehmen den Break-even-Punkt frühestens 2020 erreichen wird.

Der Curetis-Chef schließt zudem nicht aus, dass sich das Unternehmen im Laufe des Jahres weitere Finanzmittel am Kapitalmarkt holt. In welcher Form, sei aber noch offen.
Bisher hat Curetis rund 153 Millionen Euro an Risikokapital eingesammelt, wovon Ende September noch 21 Millionen Euro verfügbar waren.

Größte Anteilseigner des Unternehmens sind bisher die Venture-Capital-Firmen LSP, Calibrium Forbion und HBM. Der Pharma- und Diagnostika-Konzern Roche hält rund sechs Prozent. Rund 24 Prozent des Kapitals befinden sich im Streubesitz.

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