„Da gibt es nichts zu beschönigen“ Unternehmerfamilie Reimann arbeitet NS-Geschichte auf

Reimann: Unternehmerfamilie äußert sich zu NS-Historie Quelle: imago images

Die Reimanns gelten mit einem geschätzten Vermögen von 33 Milliarden Euro als zweitreichste Familie Deutschlands. Zu ihrem Imperium gehören Marken wie Calgon oder Jacobs-Kaffee. Nun öffnen sie ein dunkles Kapitel ihrer Firmengeschichte.

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Die Unternehmer-Dynastie Reimann zählt Schätzungen zufolge zu den reichsten Familien Deutschlands und steht mit zahlreichen Firmenbeteiligungen hinter weltbekannten Marken. Fast 80 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs stellt sich die Reimann-Familie mit ihrer global agierenden JAB Holding nun ihrer Nazi-Vergangenheit.

Nach Recherchen der „Bild am Sonntag“ soll es in den Werken und der Privatvilla der Firmen-Patriarchen Albert Reimann sen. und Albert Reimann jun. in Ludwigshafen während der NS-Zeit zu Gewalt und Missbrauch an Zwangsarbeitern gekommen sein. Auch sollen die beiden Unternehmer überzeugte Nationalsozialisten und Antisemiten gewesen sein, die vom Zweiten Weltkrieg erheblich profitiert hätten.

Aus dem Kreis der Reimann-Erben, die nach eigenen Angaben vor drei Jahren einen unabhängigen Historiker mit der vollständigen Aufarbeitung des NS-Kapitels der Firmengeschichte beauftragt hatten, wurden die Angaben bestätigt. „Wir sind erleichtert, dass es jetzt raus ist“, hieß es auf Anfrage. Der Vertraute der Familie und Chef der JAB Holding, Peter Harf, sagte der Zeitung: „Reimann senior und Reimann junior waren schuldig. Die beiden Unternehmer haben sich vergangen, sie gehörten eigentlich ins Gefängnis.“

Der beauftragte Wirtschaftshistoriker Paul Erker von der Uni München habe vor wenigen Wochen vier Reimann-Kindern, einem Reimann-Enkel sowie ihm einen Zwischenstand seiner Recherche präsentiert, sagte Harf. „Als Professor Erker berichtet hat, waren wir sprachlos. Wir haben uns geschämt und waren weiß wie die Wand. Da gibt es nichts zu beschönigen. Diese Verbrechen sind widerlich“.

Der Unternehmer kündigte an, zehn Millionen Euro an eine passende Organisation spenden zu wollen. Die Ergebnisse der Studie zur NS-Firmengeschichte sollen im nächsten Jahr vorgelegt werden.

Die Ursprünge der Reimann-Dynastie reichen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, als Johann Adam Benckiser und Karl Ludwig Reimann in Ludwigshafen eine Chemiefabrik aufbauten. Dadurch hält die Familie noch heute einen Anteil an dem globalen Konsumgüterkonzern Reckitt Benckiser („Clearasil“, „Kukident“, „Calgon“). Zum Portfolio gehört auch der US-Kosmetikkonzern Coty (Parfümmarken wie „Calvin Klein“ oder „Gucci“).

In den vergangenen Jahren hatte die JAB Holding Milliardensummen in Zukäufe im Lebensmittelbereich gesteckt. Auch im Kaffeemarkt mischt die Familie weltweit mit. Mit ihrer JAB Holding kontrolliert sie den Branchenriesen Jacobs Douwe Egberts mit Marken wie „Jacobs“, „Tassimo“ oder „Senseo“ und Café-Ketten wie Peet's Coffee oder Stumptown Coffee Roasters. Mit ihrer Expansion hat sich JAB in den USA zum Konkurrenten von Nestlé aufgeschwungen. Auch mit dem Kauf des Limonadenherstellers Dr Pepper Snapple mit Marken wie „Schweppes“ oder „7up“ wurde das Firmenimperium in den USA erweitert.

Die Reimann-Familie besaß laut Schätzungen des „Manager Magazins“ 2018 ein Vermögen von rund 33 Milliarden Euro, in der Liste der reichsten Deutschen lagen die Reimanns zuletzt auf Rang zwei.

Die „BamS“ beruft sich auf bisher unveröffentlichte Dokumente aus mehreren deutschen Archiven. Demnach zeigen Dokumente auch, dass die Reimanns schon 1931 Geld an die SS gespendet hätten. An Heinrich Himmler, der als Reichsführer SS den Holocaust organisierte, habe Albert Junior am 1. Juli 1937 geschrieben: „Wir sind ein über hundertjähriges, rein arisches Familienunternehmen. Die Inhaber sind unbedingte Anhänger der Rassenlehre.“

Der Wirtschaftshistoriker von der Uni Bielefeld, Christopher Kopper, der die entdeckten Akten nach Angaben des Blattes analysierte, sagte: „Vater und Sohn Reimann waren offenbar keine politischen Opportunisten, sondern Nationalsozialisten aus Überzeugung.“ Das Verhalten der Reimanns zeige einen Mangel an Mitgefühl und ihre Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Rassenideologie, sagte Kopper der „Bild am Sonntag“.

Die Familie gilt als öffentlichkeitsscheu. Auf die Frage, warum das Kapitel aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 erst jetzt bekannt werde, sagte Kopper auf Anfrage unter anderem, das Unternehmen sei während der Nazi-Zeit ein mittelständischer Betrieb gewesen und habe unter einem anderen Namen firmiert. Harf sagte der Zeitung, die Reimann-Kinder hätten in den 2000er Jahren angefangen, in Dokumenten ihres Vaters zu stöbern und sie zu lesen. Anfang 2014 sei entschieden worden, die Reimann-Geschichte vollständig und unabhängig aufarbeiten zu lassen.

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