Daimler-Chef Zetsche „Wir müssen niemanden fürchten“

Auf dem Deutschland-Dinner stellte sich Daimler-Chef Dieter Zetsche den Fragen der Handelsblatt-Leser. Nicht alle konnten an einem Abend beantwortet werden - bis jetzt.

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Beim Handelsblatt Deutschland Dinner stellte sich der Daimler-Chef den Fragen der Leser. Quelle: Andy Ridder für Handelsblatt

400 Gäste und noch viel mehr Fragen – Ende November lud das Handelsblatt seine Leser zum Deutschland-Dinner mit Daimler-Chef Dieter Zetsche in das Mercedes-Museum in Stuttgart. Sie erlebten einen selbstbewussten Konzernchef, der Elektroautos einführen und den Konzern umbauen will. Doch nach eineinhalb Stunden Diskussion blieben immer noch Fragen unserer Leser offen. Hier nun die Antworten:

1. In Paris haben Sie mit „CASE“ vier Zukunftsfelder der Mobilität vorgestellt. Was steckt dahinter?

CASE steht bei uns für „Connected, Autonomous, Shared & Service und Electric Drive“. Jeder dieser vier Trends alleine hat die Kraft, unsere Industrie auf den Kopf zu stellen. Die wahre Revolution liegt darin, die Trends perfekt zu verzahnen und dem Kunden das überzeugendste Gesamtpaket bieten zu können. Wir haben deswegen bei Mercedes–Benz eine neue Einheit geschaffen, die sich genau darum kümmert. Wir glauben, der Wandel vom Automobilhersteller zum Mobilitätsdienstleister umfasst mehr als das reine Produkt: Das Auto der Zukunft wird sich zur Plattform für eine Vielzahl neuer Services entwickeln, die weit über Mobilität alleine hinausgehen – vom mobilen Büro über den persönlichen Fitness-Coach bis zum persönlichen Assistenten.

2. Wie weit ist Daimler beim Autonomen Fahren? Wird der autonome Mercedes-Benz ohne Pedale und Steuer kommen?

Wir haben in unseren Fahrzeugen heute schon sehr viele teilautomatisierte Fahrfunktionen auf der Straße, in denen das Auto den Fahrer beim Lenken, Bremsen und Parken unter-stützt. Die neue E-Klasse setzt hier nochmal neue Standards. In absehbarerer Zeit wird es weitere Situationen geben, in denen wir die Fahraufgabe zu großen Teilen dem Fahrzeug überlassen können. Wie konkret diese Anwendungsfälle aussehen werden, hängt von vielen Faktoren ab, die wir nicht alleine in der Hand haben: Die Diskussion über rechtliche und gesellschaftliche Themen ist beispielsweise unerlässlich. Klar ist auch: Vollautomatisiertes Fahren braucht noch intensive Entwicklungsarbeit. Und auch wenn immer mehr lästige und stressige Fahrmanöver abgenommen werden, gilt für unsere Fahrzeuge weiterhin: Der Fahrer hat die Wahl, ob er autonom unterwegs sein möchte oder selbst fährt. Daher steht fest, dass unsere Autos immer Pedal und Steuer haben werden.

3. Ist das Elektroauto eine Chance oder eher eine Bedrohung für die deutsche Automobilindustrie?

Unsere Industrie steht vor einem Wandel hin zur Elektromobilität. Wir sehen diesen Wandel als Chance: Wir legen den Schalter jetzt um und starten mit unserer neuen Marke EQ in die Elektromobilitätsoffensive. Trotzdem werden Verbrennungsmotoren, Plug-in-Hybrid-Antriebe sowie reine Elektrofahrzeuge aber noch über viele Jahre nebeneinander existieren. Die Parallelentwicklung der verschiedenen Technologien bedeutet für die nächsten Jahre einen höheren Aufwand für uns. Natürlich wird der Wandel zur Elektromobilität auch Aufgaben und Beschäftigungsprofile verändern und verschieben. Auch wird es aus heutiger Sicht in der reinen Wertschöpfungskette von batterieelektrischen Fahrzeugen eine geringere Anzahl von Produktionsschritten geben. Dafür bieten aber neue Technologien Chancen auf neue Jobs in zusätzlichen Geschäftsfeldern oder mit neuen Geschäftsmodellen.

4. Wird Daimler die Weiterentwicklung von Fahrzeugen mit Brennstoffzellen fortsetzen? Wie sieht die Strategie aus?

Die Brennstoffzellentechnologie ist weiterhin integraler Bestandteil unserer langfristig angelegten Antriebsstrategie. Sie bietet hohe Reichweiten, kurze Betankungszeiten und eignet sich insbesondere auch für größere Fahrzeuge. In diesem Jahr präsentieren wir dazu den mit einer Plug-in-Brennstoffzellentechnologie ausgestatteten GLC F-CELL. Für die großflächige Markteinführung von E-Fahrzeugen mit Brennstoffzelle muss aber noch einiges getan werden – nicht zuletzt bei der Infrastruktur. Gemeinsam mit Air Liquide, Linde, OMV, Shell und Total haben wir uns im Rahmen der Initiative „H2 Mobility“ das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2023 insgesamt 400 Tankstellen einzuführen.

5. Wie gehen Sie das Thema Digitalisierung an und welches Potential sehen Sie in dem Thema Industrie 4.0?

Auch wenn manche die Digitalisierung als Bedrohung für unsere Branche betrachten – wir sehen sie als größte Bereicherung seit der Erfindung des Automobils. Die alles entscheidende Frage lautet: Wie schaffen wir es auf Dauer, disruptive Veränderungen selbst zu treiben und nicht Getriebener der Digitalisierung zu sein? Das Premium-Auto ist bereits heute das wohl komplexeste IT-Produkt. Neu ist nur, in welchem Umfang die Digitalisierung unsere gesamte Branche durchdringt: Sie erfordert neue Denk- und Handlungsweisen. Sie revolutioniert unsere Arbeit über alle Bereiche der Wertschöpfungskette hinweg. Wenn sich Mensch, Maschine und industrielle Prozesse intelligent vernetzen, können schneller individuelle Produkte in hoher Qualität entstehen. Die Produktion muss dafür stets flexibler und effizienter werden. Das Ziel ist die intelligente Fabrik („Smart Factory“), die sich durch Wandlungsfähigkeit, Ressourceneffizienz und Ergonomie sowie die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse auszeichnet.

6. In den Medien ist häufig von einem Kulturwandel bei Daimler zu lesen. Worum geht es?

Aktuell entwickeln wir unsere Unternehmenskultur mit „Leadership 2020“ gezielt weiter. Dabei geht es nicht um die Frage, ob „Krawatte: ja oder nein“, sondern um mehr unternehmerischen Mut und mehr Eigenverantwortung bei jedem einzelnen. Insgesamt fanden dazu an verschiedenen internationalen Standorten Workshops mit mehr als 140 Führungs-kräften statt. Die einzige Vorgabe war, dass es keine Vorgaben gab. In den Workshops wurden zum einen Führungsprinzipien festgelegt, die das einheitliche Fundament und Koordinatensystem für unser Führungsverhalten darstellen. Zum anderen wurden sogenannte Game Changer festgelegt, die unsere Führungskultur maßgeblich verändern sollen, beispielsweise das Arbeiten in Schwarmorganisationen. Diese Ideen werden jetzt ins Unter-nehmen gebracht und umgesetzt.

7. Muss Mercedes-Benz neue Wettbewerber aus dem Silicon Valley fürchten?

Nein. Wir müssen niemanden fürchten. Wir haben ein über 130-jähriges Know-how im Automobilbau und wissen um die Herausforderungen. Wir blicken auf eines der erfolgreichsten Jahre unserer Unternehmensgeschichte zurück, die Weichen auch für künftigen Erfolg sind gestellt. Wir müssen niemanden fürchten, aber wir müssen uns des Wettbewerbs bewusst sein und ihn ernst nehmen. Für uns sind die vielfältigen Aktivitäten der Wettbewerber rund um die Themen Connectivity, Autonomous Driving, Shared & Service und E-Mobility die Bestätigung, dass unsere Branche eine attraktive Wachstumsbranche ist. Und dabei ist uns jeder neue Wettbewerber willkommen.

8. Welche Maßnahmen trifft Daimler an Tagen mit Feinstaubalarm?

Bei Daimler greifen an Feinstaubtagen zahlreiche Maßnahmen, zum Beispiel informieren wir alle Daimler-Mitarbeiter über die bei Feinstaub-Alarm vergünstigten und teilweise auch kostenlosen Tarife unserer Mobilitätsplattform moovel und car2go. Zudem regen wir die Bildung von Fahrgemeinschaften an und weisen auf Telefon- und Videokonferenzen hin, um den Pendelverkehr im Großraum Stuttgart zwischen unseren Standorten zu reduzieren. Unsere Unternehmensleitung und der Betriebsrat haben zudem eine erweiterte Regelung zum mobilen Arbeiten vereinbart. Damit wird die bereits bestehende Möglichkeit für Daimler-Beschäftigte, mobil oder von zu Hause zu arbeiten noch weiter gestärkt und gefördert. Zusätzlich ordnen wir während Feinstaubphasen an, dass keine Testfahrten innerhalb Stuttgarts durchgeführt werden. Wir sind im engen Dialog mit der Stadt Stuttgart, um mit unserem Know-how und unserer Technologie eine Verbesserung der Situation zu erreichen.

9) Mercedes-Benz hat sein Portfolio in den letzten Jahren stetig vergrößert. Wie sehen die Pläne für die Zukunft aus?

Vor gut fünf Jahren bestand unser Produktportfolio noch aus rund 20 Modellen, aktuell zählen wir schon 34 Modelle und in naher Zukunft werden es über 40 sein. Im Jahr 2017 bringen wir unter anderem die neue S-Klasse Limousine, das neue E-Klasse Coupé und Cabrio sowie den neuen GLA auf den Markt. Unsere Kompaktwagenfamilie besteht aktuell noch aus fünf Modellen, in Zukunft werden es acht Modelle sein. Und auch die Hybrid-offensive ist bei Mercedes-Benz in vollem Gang: Mit aktuell acht Modellen bieten wird die breiteste Auswahl im Premiumsegment. Mit „EQ“ bauen wir zudem eine eigene Produktmarke für Elektromobilität auf. Bis 2025 wollen wir mehr als zehn reine Elektro-Pkw auf den Markt bringen: In allen Segmenten von smart bis zum großen SUV.

10) War es richtig, die Beteiligung an Tesla abzustoßen?

Daimler hat 2009 als Erster und noch vor dem Börsengang in Tesla investiert. Dabei haben wir Tesla über viele Jahre als Start-up-Unternehmen unterstützt und viel voneinander gelernt. Der Wert des Investments hatte sich über die Jahre um ein Vielfaches erhöht. Wir haben uns daher dazu entschlossen, unsere Anteile an Tesla im Jahr 2014 zu verkaufen.

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