Daimler-Hauptversammlung Aktionäre kritisieren Zetsches mangelnden Durchblick im Dieselskandal

Kein Dax-Konzern schüttet so viel Geld an seine Aktionäre aus wie Daimler. Aber die Dieselaffäre und der Konzernumbau verunsichern die Anleger.

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Berlin Für Daimler-Chef Dieter Zetsche ist die Sache klar: Sein Konzern ist spitze. Der Stuttgarter Auto- und Lkw-Hersteller habe nicht nur mehr erreicht, als „uns viele zugetraut hatten“, sagte der 64-Jährige am Donnerstag auf der Hauptversammlung des Konzerns in Berlin.

„Wir haben in manchen Bereichen sogar mehr erreicht, als wir uns selbst vorgenommen haben“, resümierte Zetsche sichtlich zufrieden in schneeweißem Hemd und Mini-Mercedes-Stern auf dem Revers. Tatsächlich blickt der Manager nach zwölf Jahren als Daimler-Chef auf das erfolgsreichste Jahr der Konzerngeschichte zurück.

Absatz, Umsatz und Gewinn sind auf einem Allzeithoch. Noch nie verdienten die Schwaben mehr Geld. Unter dem Strich waren es 2017 fast elf Milliarden Euro, bei einem Erlös von mehr als 164 Milliarden Euro.

Der Grund: Der Konzern verkaufte im vergangenen Jahr mehr Autos denn je, konkret rund 3,3 Millionen Fahrzeuge. Aber: „Der Erfolg des Autos ist seine größte Herausforderung“, mahnt Zetsche. „Dieses Paradox zu lösen, ist unsere Aufgabe“. Er will vorausgehen bei autonomem Fahren, Carsharing und Elektroantrieb. Autos sollen so etwas wie Smartphones auf Rädern werden. Und noch viel mehr: Zetsche will Daimler vom reinen Hardwarehersteller zum führenden Anbieter von Mobilität wandeln.

Seine Vision: Vor mehr als 130 Jahren haben die Gründerväter des Konzerns, Gottlieb Daimler und Carl Benz, das Auto erfunden. Zetsche will es jetzt neu erfinden. Er preist die Chancen, die sich dadurch ergeben. Doch im Auditorium der Messehalle Citycube sehen viele vor allem die Risiken, denen Daimler ausgesetzt ist – im hier und jetzt: der Gegenwart.

„Lkw-Kartell, Abgasaffäre, Affenskandal – was läuft hier eigentlich falsch?“, will Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) von Vorstand und Aufsichtsrat wissen. All diese Vorwürfe würden nicht nur den Aktienkurs belasten, sondern auch auf die Stimmung drücken, sagt Tüngler.

Das sei „sehr tragisch“. Schließlich gibt es ja auch Positives. Daimler schüttet fast vier Milliarden Euro an seine Aktionäre aus. Damit sind die Schwaben der Dividendenkönig im Dax.

Dennoch appelliert der Aktionärsschützer an das Management: „Machen Sie es besser als Volkswagen. Seien Sie transparent“. Sein Wunsch: „Wolfsburg ist weit weg von Stuttgart. Schauen Sie, dass das so bleibt, auch imagemäßig“.

Doch genau hier hakt es. „Bei uns wird nicht manipuliert“, erklärte Daimler-Chef Zetsche 2015. In der Dieselaffäre ermittelt aber die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen seinen Konzern, in den USA klagen Autobesitzer auf Schadensersatz. In Europa verlangen Speditionen Entschädigungen wegen zu hoher Preise, weil Daimler mit anderen Herstellern ein Lastwagen-Kartell unterhalten hatte.

Zudem haben die Stuttgarter wegen gestiegener Rechtsrisiken die Rückstellungen um 2,1 Milliarden auf insgesamt 14 Milliarden Euro erhöht. „Diese Ungewissheit, ob nun betrogen wurde oder nicht, die verunsichert uns“, erklärt ein Daimler-Aktionär. Der Berliner zweifelt daran, ob Daimler auch bei neuen Antrieben die Nase vorne haben wird. „Da haben wir jahrelang geschlafen“, sagt er.

Auch vor der Halle regt sich Widerstand gegen den Kurs des Daimler-Managements. „CO2-Reduktion und autonomes Fahren: Statt Spitze nur noch Mittelmaß“, heißt es auf einem Plakat der Gewerkschaft IG-Metall. „Raus aus Diesel und Benzin – sonst Ende Dividende“, skandiert Greenpeace auf schrill-gelben Fahnen.

Die Ökoaktivisten fordern von Daimler eine Zukunft ohne Öl als treibenden Brennstoff für Autos. Denn nur so könnten die Aktionäre des Konzerns auch „morgen und übermorgen“ noch mit einer Dividende rechnen.
Zetsche hält dagegen: „Wir haben bei der E-Mobilität längst den Schalter umgelegt“. Er will bis 2022 vom Kompaktwagen bis zum SUV jedes Segment elektrifizieren.

Doch das kostet. Daimler muss für das Elektrozeitalter mit Milliarden in Vorleistung gehen. 2018 und 2019 sollen knapp 15 Milliarden Euro in Sachanlagen und fast 18 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung fließen.

Die Folge: Dieses Jahr erwartet Daimler bei einem leichten steigenden Umsatz nur ein Betriebsergebnis auf dem Niveau von 2017. Übergangsweise leidet die Profitabilität. „Mehr Elektroautos sind gut für die CO2-Bilanz. Aber nicht so gut für unsere Konzern-Bilanz“, gibt Zetsche zu. Er will dem drohen Margenverfall mit Effizienzgewinnen zuvorkommen.

Viele Anleger sind freilich skeptisch, ob ihm dieses Kunststück gelingt. Diese Zurückhaltung zeigt sich auch am Aktienkurs. Während der Dax-30-Index im vergangenen Jahr um insgesamt 13 Prozent zulegte, stagnierte das Papier von Daimler im selben Zeitraum bei mageren 70,80 Euro.

Aktuell liegt der Kurs sogar unter 70 Euro. „Wo bleibt der Rekordstand beim Aktienkurs“, fragt Winfried Mathes von der Deka Investment. Es sei zwar erfreulich, dass Daimler mehr verdiene als je zuvor, sagt der Investor, aber die „Rekordzahlen verdecken die eigentlichen Probleme, vor denen Daimler und die deutsche Autoindustrie stehen“.

Für Mathes ist klar: Am Ende müssten für etwaige Manipulationen die Aktionäre die „Zeche zahlen“. Er hofft daher, dass „Dr. Zetsche“ bei all den rechtlichen Verfahren noch den Durchblick habe. „Wir brauchen keine Menschen und keine Affen, die Abgase einatmen müssen, um zu zeigen, wie sauber angeblich Dieselmotoren sind“, sagt Mathes.

Er spricht ein Anliegen aus, das wohl alle rund 6.000 im Saal anwesenden Daimler-Aktionäre teilen: „Wir brauchen einfach abgasfreie Autos“.

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