Daimler vernetzt Lkw Das Ende der Elefantenrennen

Der einsame Brummi-Fahrer ist Geschichte: Lkw sollen auf der Autobahn zu Herdentieren werden. Autobauer Daimler setzt auf die Vernetzung der Trucks – und investiert eine halbe Milliarde Euro in der Bereich.

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Eine halbe Milliarde Euro will Daimler bis 2020 in vernetzte Systeme investieren. Quelle: Daimler

Düsseldorf Eine Zukunftsvision kann einem schon mal schwer im Magen liegen. Die Menschheit, so erklärt es der amerikanische Zukunftsforscher Jeremy Rifkin auf dem „Campus Connectivity“ von Daimler, stehe vor der Frage, ob man überleben wolle. Selbst ein simpler Hamburger könne am Ende ein kleiner Beitrag zum Klimawandel und damit zum Untergang der Menschheit sein.

Viele seiner rund 300 Zuschauer im Areal Boehler in Düsseldorf standen noch vor wenigen Minuten an einer Burgerbar im Foyer. Doch allzu schlechtes Gewissen mussten sie nicht haben, versichert Rifkin. Der Ökonom hatte seinem Plenum schließlich auch einen Ausweg aus der Misere mitgebracht: Die Menschheit müsse es schaffen, die verfügbare Energie der Welt effektiver zu nutzen. Damit das gelingt, müsse sie sich vernetzen.

Das ist der Moment, in dem Wolfgang Bernhard auf die Bühne tritt. „Der Vorstand der Daimler-Nutzfahrzeugsparte will dem Publikum zeigen, warum der vernetzte Truck gebraucht wird. Vernetzte Trucks haben enormes Potential: sie werden den Transport grundlegend verändern“, sagt der Lkw-Vorstand des Konzerns. Denn bis zum Jahr 2050 werde sich der weltweite Güterverkehr auf der Straße verdreifachen. Um dem Verkehrskollaps zu entgehen, muss die Branche sich effizienter organisieren.

Denn der durchschnittliche Laster verbringt nur ein Drittel seiner Zeit auf der Straße. Die meiste Zeit steht er still und wartet, be- oder entladen zu werden, Zugang zum Firmengelände zu bekommen, auf eine Reparatur oder steckt einfach im Stau fest. Einer von vier Lkws sei außerdem mit wenig oder völlig ohne Ladung unterwegs, so Bernhard. „Das führt zu einer Vergeudung von Ressourcen“.

Noch ist der Lkw quasi der Hamburger unter den Transportmitteln. Das soll sich ändern. Eine halbe Milliarde Euro will Daimler bis 2020 in vernetzte Systeme investieren. Schon heute seien damit 300 Mitarbeiter beschäftigt, sagt Bernhard. Künftig wolle man einen neuen Bereich „Future Mobility Solutions“ einrichten.

Erste Ergebnisse zeigt Daimler auf dem „Campus Connectivity“. In der Vision von Daimler sollen Lkw in Zukunft nicht mehr vereinzelt, sondern in der Gruppe unterwegs sein – in einer vernetzten Kolonne. „Platooning“ nennen Fachleute die Technologie, „Highway Pilot Connect“ heißt sie bei Daimler.

Wie das funktioniert, zeigen die Schwaben in einer beeindruckenden Live-Präsentation. Auf fünf miteinander vernetzten großen Leinwänden sehen die Gäste drei Trucks auf der A52 bei Düsseldorf, gefilmt aus einem Helikopter. Eine Szene wie aus der Fernsehserie „Alarm für Cobra 11“.

Der Strategiechef der Daimler-Nutzfahrzeugsparte, Sven Ennerst, funkt live ins Führerhäuschen. „Bereit, die Hände vom Lenkrad zu nehmen?“ Natürlich ist der Fahrer bereit. Die Fahrzeuge vernetzen sich über Wlan, gelbe Lichter leuchten auf. Man sieht, wie sich die Lkws näher kommen. Auf 15 Metern verringern sie den Abstand, wenn sie im vollautonomen Modus unterwegs sind. Von oben sieht das aus wie eine Elefantenherde auf der Autobahn.


Goldene Zeiten für Spediteure?

Möglich wird der geringe Abstand durch eine kürzere Reaktionszeit. In nur 0,1 Sekunden können die Fahrzeuge automatisch bremsen – 14 Mal schneller als ein menschlicher Trucker. Als ein fremdes Auto sich einfädelt, um eine Ausfahrt zu nehmen, wird der Sicherheitsabstand automatisch angepasst. 400 Sensoren haben alles unter Kontrolle.

Das ist die schöne neue Truckerwelt: Werden Lkws stärker vernetzt, können sie Staus frühzeitig erkennen und umfahren. Und an Bord können die Trucker in der gewonnenen Zeit neue Aufträge disponieren, sich die Zeit mit Entertainment-Systemen vertreiben oder über die sozialen Netzwerke Kontakt zur Familie halten. Dass der selbstfahrende Lkw am Ende auch den Trucker überflüssig machen könnte, glauben sie bei Daimler nicht. „Der Job der Truckers wird weniger eintönig sein“, sagt Lkw-Chef Stefan Buchner im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Für andere Fahrer auf der Autobahn hat das Kolonnenfahren auch Vorteile: Die Elefantenrennen sollen künftig seltener werden. Die Lkw-Unfälle, die oft eine Autobahnsperre nach sich ziehen, ebenfalls.

Und auch für Spediteure brechen in Daimlers Vision goldene Zeiten an. Derzeit erwirtschafte ein Unternehmer etwa zwei bis drei Prozent Rendite, weil die Fahrten nicht effektiv organisiert werden. Künftig würden beispielsweise Anhänger selbst erkennen, ob sie ausgelastet sind – und Überkapazitäten an „Cargo-Mitfahrzentralen“ vermieten. Auf unrentablen Strecken könne ein System automatisch die Preise anpassen, wo bisher noch die Erfahrung des Disponenten gefragt sei. In Zukunft könnten die Trucks rund um die Uhr im Einsatz sein. „Es vollzieht sich eine Revolution mit dem Lkw im Zentrum“, so Bernhard.

Daimler will bei den digitalen Geschäften mit der Mobilität vorne mitspielen. Seit 15 Jahren betreiben die Schwaben darum mit „Fleetboard“ und „Detroit Connect“ zwei eigene Telematikdienste, die heute schon an Bord von 365.000 Nutzfahrzeugen verbaut sind.

Künftig, so kündigt es Bernhard an, sollen noch weitere Dienste folgen, die erst durch vernetzte Fahrzeuge möglich werden: Versicherungstarife, die sich am Fahrstil orientieren. Zusätzliche PS-Leistung, die per Funk freigeschaltet werden kann, wenn die Umgebung hügelig wird. Systeme, die sich automatisch an geltende Geschwindigkeitsbegrenzungen. Oder am Ende sogar ein Truck, der seinem Fahrer anzeigen kann, auf welchen Parkplätzen noch ein Platz frei ist, damit er eine Pause einlegen kann. Und er sich vielleicht sogar doch noch einen Burger gönnen kann.

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