Das Risiko der Hinweisgeber Deutsche Dax-Konzerne schätzen Whistleblower – offiziell

Die größten börsennotierten Unternehmen schätzen Whistleblower Quelle: Fotolia

Viele Konzerne verpflichten sich, interne Hinweisgeber vor Nachteilen zu schützen. Aber nur wenige sprechen sich für einen Schutz per Gesetz aus. Whistleblower zahlen häufig noch immer einen hohen Preis.

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Clarissa E. versucht tapfer zu wirken und einen Moment lang gelingt das auch. „Ich würde es jederzeit wieder tun“, sagt sie. Es ist der einzige Satz, den sie mit kraftvoller Stimme hervorbringt bevor das Zittern wieder durchkommt. Das Zittern hat mit früher zu tun. Mit der Episode, in der ihr Leben aus der Spur geriet. Zehn Jahre lang arbeitete Clarissa für einen der größten deutschen börsennotierten Konzerne, dessen Produkte fast jeder schon mal gekauft hat. Offenbar war man mit ihr zufrieden. Sie wurde befördert. Clarissa mochte ihren Job. Den Umgang unter Kollegen empfand sie als vertrauensvoll. Deshalb sitzt die Sache auch so tief. Ein paar Tage vor Weihnachten bat sie den Leiter der Compliance-Abteilung um Rat. Es ging um ihre Chefin, die Scheinrechnungen abzeichnete. Sie wollte wissen, was zu tun ist. Es ging nicht um Millionen, aber immerhin um einen sechsstelligen Betrag, den ihre Firma zahlen sollte, obwohl sie keine Leistung erhalten hatte. Die Revision leitete nach Clarissas Hinweis eine Untersuchung ein. Das Ergebnis wurde in einem Bericht festgehalten: Das Verhalten der Vorgesetzten sei „fragwürdig und möglicherweise „strafrechtlich relevant“ hieß es darin.

Sie hatte alles richtig gemacht. Und trotzdem: Clarissa E. wurde gefeuert.

Eigentlich dürfte es einen Fall wie den von Clarissa E. gar nicht geben. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) meint, dass sich in Deutschland eine „offene Diskussionskultur über Missstände im Betrieb entwickelt“ habe. Die Furcht, „Arbeitnehmer müssten bei Anzeigen mit Sanktionen rechnen“, gehe an der Realität vorbei.

Das deckt sich mit der Haltung der Unternehmen. Fast alle der 30 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland sagen, dass sie interne Hinweisgeber positiv sehen. Fast alle geben umfangreich Auskunft über den Umgang mit Whistleblowern. „Ein gutes Hinweisgeber-System ist notwendig, um Fehlverhalten und Missstände zu erkennen und zu beheben“, sagt etwa Thomas Kremer, Vorstand für Compliance bei der Telekom. Mit dem Baustoffkonzern HeidelCement und dem Zahlungsabwickler Wirecard äußerten sich lediglich zwei Unternehmen nicht zu diesem Thema.

Fast alle der 30 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland erklärten auch, dass sie interne Hinweisgeber schützen. Von Siemens heißt es: Bei dem Mischkonzern sei es verboten, „Mitarbeiter, die im guten Glauben beobachtetes Fehlverhalten melden, in irgendeiner Weise zu benachteiligen. Jede Verletzung dieser Vorschriften zum Schutz von Hinweisgebern wird als Compliance-Verstoß untersucht und gegebenenfalls disziplinarisch geahndet.“

Thyssen Krupp berichtet: „Die Interessen der Hinweisgeber schützen wir unter anderem durch die Zusage, eingehende Hinweise vertraulich zu behandeln und Hinweisgeber mit allen gebotenen Mitteln gegen etwaige aus einer Meldung resultierende Nachteile zu schützen.“

Dennoch gibt es Fälle wie den von Clarissa E. Bei allen Anstrengungen der Unternehmen: Hinweisgeber, die sich outen, zahlen in vielen Fällen einen hohen Preis. Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin sagt: „Zwar dürfen Whistleblower, die Verstöße intern melden, deswegen nicht gefeuert werden,“ aber dann wird die Kündigung eben anders begründet.“

In vielen Fällen gelinge es Whistleblowern zwar, eine Abfindung zu erstreiten, „aber an ihren Arbeitsplatz kommen die Betroffenen fast nie zurück.“ Wer dieses Risiko nicht tragen wolle, „dem kann ich als Anwalt nicht raten, einen Fall anzuprangern“, sagt Bredereck.

Fliegt ein Whistleblower auf, wird es fast immer unangenehm. Beim Jobverlust muss es nicht bleiben. Das hängt damit zusammen, dass Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber eine Treuepflicht haben. Das bedeutet, in den meisten Fällen darf ein Arbeitnehmer nicht gleich zur Staatsanwaltschaft rennen, wenn er einen Verdacht hat. Er muss erst einmal versuchen, die Sache intern zu klären. Es gibt Ausnahmen, wenn etwa Straftaten von Kollegen mit schweren Folgen für Einzelne oder die Allgemeinheit verbunden wären. Das dürfte in den meisten Fällen jedoch nicht der Fall sein. In allen anderen Fällen darf ein Mitarbeiter erst zu einer Behörde gehen, wenn interne Meldungen erfolglos geblieben sind.

Diese Unternehmen befürworten die EU-Whistleblower-Richtlinie

„Der Arbeitnehmer sollte dokumentieren können, dass er versucht hat den Vorgang intern aufzuklären“, sagt Anwalt sagt Gero von Pelchrzim, Fachanwalt für Strafrecht in Frankfurt. „Er sollte seinen Verdacht am besten schriftlich, etwa per E-Mail melden und auch schriftlich noch einmal nachfassen.“

Geht der Mitarbeiter dann zur Polizei, sollte er sich immer noch sehr sicher sein, dass sein Verdacht auch stimmt. „Liegt er nämlich falsch oder kann der angezeigte Vorfall nicht bewiesen werden, kann der Arbeitgeber ihn für die Folgen haftbar machen“, sagt Pelchrzim. Und das kann teuer werden: Liegt beispielsweise gegen einen Restaurantbesitzer eine Strafanzeige wegen Hygienemängeln vor und bleibt sein Restaurant deshalb leer, kann der Arbeitnehmer zu Schadenersatz verurteilt werden, wenn sich die Vorwürfe später als falsch herausstellen. Zwar muss der Mitarbeiter dafür leichtfertig gehandelt haben, aber das zu bewerten, ist nicht ganz einfach. Wenn der Arbeitgeber ein Chemiebetrieb ist, und der Chef seine Mitarbeiter anweist nachts Fässer in einem Waldstück zu leeren, darf der Arbeitnehmer dann davon ausgehen, dass dort etwas Illegales passiert? „Eigentlich sollte ein Arbeitnehmer erst zur Polizei gehen, wenn er den Fall selbst ermittelt hat. Er kann das nicht den Behörden überlassen“, sagt Arbeitsrechtler Bredereck. Ansonsten sei der Arbeitnehmer immer einem hohen Risiko ausgesetzt.

Neue Gesetze sollen die Risiken für die Whistleblower mindern. Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments hat sich am Dienstag für eine Richtlinie ausgesprochen, die unter anderem einen besonderen Kündigungsschutz für Whistleblower vorsieht. Im nächsten Schritt wird es Gespräche zwischen EU-Parlament, dem Europäischen Rat und der EU-Kommission geben. Wird die Richtlinie dann erlassen, muss sie von den einzelnen Mitgliedsstaaten immer noch in eigene Gesetze umgewandelt werden.

Nach einer Umfrage der WirtschaftsWoche sind vier der im Dax30 notierten Unternehmen dafür, dass die EU den Schutz für Whistleblower verbessert: der Reifenhersteller Continental, der Chemiekonzern Covestro, die deutsche Airline Lufthansa und die Deutsche Telekom. Der Energiekonzern E.On begrüßt zumindest, dass das Thema bei der EU eine hohe Priorität genießt.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA) als Stimme der gesamten deutschen Wirtschaft spricht sich allerdings gegen die Richtlinie aus. Nach Ansicht der dortigen Experten sind Whistleblower bereits ausreichend geschützt. So verhindere das Maßregelungsverbot bereits heute, dass einem Angestellten gekündigt werden könne, weil er in zulässiger Weise Hinweise auf Rechtsverstöße gegeben habe, erklärt die BDA. Wenn der Arbeitgeber andere Gründe für die Kündigung vorbringt, müsse er diese schon jetzt belegen. Die geplante EU-Richtlinie gehe hingegen zu weit. Sie sehe eine Verschärfung dieser Regeln vor, die dem Arbeitgeber nicht zuzumuten seien, heißt es beim BDA. „Demnach soll ein Arbeitgeber bei der Entlassung eines Mitarbeiters konkret belegen müssen“, dass er dem Mitarbeiter nicht gekündigt habe, weil er Whistleblower war, sondern die Kündigung „ausschließlich auf anderen Gründen basiert.“ Das sei kaum möglich.

Die BDA stört sich ebenfalls daran, dass die EU-Richtlinie den Hinweisgebern einen breiteren Spielraum geben soll ohne Umweg über den Arbeitgeber direkt auf Behörden zuzugehen. Die BDA fürchtet, dass dadurch „eine Kultur des Anschwärzens“ innerhalb der Unternehmen entstehen könnte. Mitarbeiter würden so ermuntert, sich wechselseitig anzuzeigen. Dadurch könnte der Betriebsfrieden gestört werden. „Eine solche gesetzliche Regelung ist überflüssig und gefährlich“, heißt es in einer Stellungnahme.

Derweil wartet Clarissa E. auf das Bewerbungstraining, das ihr das Arbeitsamt verordnet hat. Mit Ende 50 steht sie vor den Trümmern ihrer wirtschaftlichen Existenz – weil sie als Whistleblowerin ihr Unternehmen schützen wollte.

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