




Wer in diesen Tagen in München über den Wittelsbacher Platz Richtung Siemens-Konzernzentrale geht, betritt eine Großbaustelle. Überall zwischen den vielen Stahlträgern, frischen Betonfundamenten und Baugerüsten wird gefräst und geschweißt.
Die Münchner bauen sich einen neuen Unternehmenssitz, die Arbeiter in den Gruben und Gerüsten geben Vollgas. Bis jetzt liegt der Neubau voll im Zeitplan, und das soll auch so bleiben. Spätestens im Frühjahr 2016 sollen 1200 Siemensianer ihre neuen Büros beziehen.
Auch der Mann an der Spitze des Unternehmens mit seinen 360.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von zuletzt fast 76 Milliarden Euro hat den Fuß scheinbar permanent auf dem sprichwörtlichen Gaspedal. Joe Kaeser, der dem glücklosen Peter Löscher vor gut einem Jahr auf den Chefsessel folgte, hat sich daran gemacht, die Gestalt des deutschen Traditionskonzerns von Grund auf zu verändern.
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Die neun Divisionen von Siemens
Produkte und Anwendungen: Gasturbinen, Dampfturbinen, Energiegewinnung aus Schiefergas
Umsatz 2014/2015: 13,2 Milliarden Euro
Ergebnis 2014/2015: 1,4 Milliarden Euro
Marge 2014/2015: 10,8 Prozent
Angestrebte Marge: 11-15 Prozent
Zuständigkeit im Vorstand: Lisa Davis
Produkte und Anwendungen: Windkraftanlagen
Umsatz 2014/2015: 5,7 Milliarden Euro
Ergebnis 2014/2015: 0,16 Milliarden Euro
Marge 2014/2015: 2,8 Prozent
Angestrebte Marge: 5-8 Prozent
Zuständigkeit im Vorstand: Lisa Davis
Produkte und Anwendungen: Stromübertragung, Kraftwerkssteuerung, Transformatoren
Umsatz 2014/2015: 11,9 Milliarden Euro
Ergebnis 2014/2015: 0,57 Milliarden Euro
Marge 2014/2015: 4,8 Prozent
Angestrebte Marge: 11-15 Prozent
Zuständigkeit im Vorstand: Lisa Davis
Produkte und Anwendungen: Gebäudesicherheit, Brandschutz, Gebäudeautomatisierung
Umsatz 2014/2015: 6,0 Milliarden Euro
Ergebnis 2014/2015: 0,553 Milliarden Euro
Marge 2014/2015: 9,2 Prozent
Angestrebte Marge: 8-11 Prozent
Zuständigkeit im Vorstand: Roland Busch
Produkte und Anwendungen: Software zur Steuerung von Fertigungsprozessen, Industrieroboter
Umsatz 2014/2015: 10,0 Milliarden Euro
Ergebnis 2014/2015: 1,7 Milliarden Euro
Marge 2014/2015: 17,5 Prozent
Angestrebte Marge: 14-20 Prozent
Zuständigkeit im Vorstand: Klaus Helmrich
Produkte und Anwendungen: Industrieautomatisierung
Umsatz 2014/2015: 9,9 Milliarden Euro
Ergebnis 2014/2015: 0,536 Milliarden Euro
Marge 2014/2015: 5,4 Prozent
Angestrebte Marge: 8-12 Prozent
Zuständigkeit im Vorstand: Klaus Helmrich
Produkte und Anwendungen: Hochgeschwindigkeitszüge, U-Bahnen, Straßenbahnen, Zugleitsysteme
Umsatz 2014/2015: 7,5 Milliarden Euro
Ergebnis 2014/2015: 0,588 Milliarden Euro
Marge 2014/2015: 7,8 Prozent
Angestrebte Marge: 6-9 Prozent
Zuständigkeit im Vorstand: Roland Busch
Produkte und Anwendungen: Finanzdienstleistungen
Angestrebte Marge: 15-20 Prozent
Zuständigkeit im Vorstand: Ralf Thomas
Produkte und Anwendungen: Ultraschall, Computertomografen, Magnetresonanztomografen, Labordiagnostik
Umsatz 2014/2015: 12,9 Milliarden Euro
Ergebnis 2014/2015: 2,2 Milliarden Euro
Marge 2014/2015: 16,9 Prozent
Angestrebte Marge: 15-19 Prozent
Zuständigkeit im Vorstand: Prof. Dr. Siegfried Russwurm
Sektoren und Cluster werden aufgelöst, neue Divisionen geschaffen, Beteiligungen verkauft, neue Unternehmen zugekauft – nichts bleibt, wie es war. Weder in München noch in den Landesgesellschaften rund um den Globus. Nach gut einem Jahr an der Konzernspitze gefragt, was er anders machen würde, antwortet der 57-jährige Niederbayer knapp, er würde den Umbau noch schneller durchziehen. Als wenn das gegenwärtige Tempo nicht schon hoch genug wäre.
Medizintechnik-Sparte im Fokus
Derzeit richtet sich Kaesers Augenmerk hauptsächlich auf das Siemens-Geschäft mit der Medizintechnik, eine Sparte, die im Konzern immerhin für einen Umsatz von knapp 14 Milliarden Euro sorgt und verlässlich dicke Margen abliefert. Kaeser hat – wohl richtig – erkannt, dass sich das Geschäft mit der Ausrüstung zur Gesundheitsversorgung in den kommenden Jahren verändern wird.
Sicherlich wird es immer noch den Computertomographen und das Ultraschallgerät geben. Doch werden Molekulardiagnostik, Datenanalyse mittels Software, vor allem eine dezentrale Heimversorgung, auch kostengünstige Pay-per-Use-Modelle, eine viel wichtigere Rolle auf dem Gesundheitsmarkt spielen. Das ist dann aber nicht mehr der Kern der Siemens-Aktivitäten, die Kaeser „entlang der Kette der Elektrifizierung“ ausrichten will, wie er erklärt.
Kaeser will der Medizintechnik darum deutlich mehr Eigenständigkeit verschaffen, damit die Sparte in Zukunft auf Veränderungen schneller reagieren kann, etwa bei möglichen Akquisitionen oder Verkäufen. Die Medizintechnik wird künftig nur noch an wenige konzernübergreifende Funktionen angebunden bleiben. Die Rede ist bei Siemens vom „Unternehmen im Unternehmen“. Selbst einen Börsengang der Division hat Kaeser in der Vergangenheit nicht ausgeschlossen. Der Analyst Andreas Willi von J.P. Morgan in London spekuliert sogar über eine komplette Abspaltung der Medizintechnik im Jahr 2016. Das aber würde Siemens von den attraktiven Renditen der Division abschneiden.
Die Hörgerätesparte will Siemens schon lange versilbern. Nun ist der Verkauf beschlossene Sache: Siemens verkauft die Hörgerätesparte für 2,15 Milliarden Euro an den Finanzinvestor EQT und die Hexal-Gründerfamilie Strüngmann.
Die wichtigsten Fakten zum erwarteten Hörgeräte-Verkauf bei Siemens
Die Siemens-Hörgerätesparte (Audiologische Technik) gehört neben Sonova aus der Schweiz und William Demant aus Dänemark zu den großen Anbietern der Branche. Das Geschäft hat eine lange Tradition im Konzern: Bereits vor gut 100 Jahren brachte Siemens das erste industriell gefertigte Hörgerät auf den Markt. Heute sind bei dem Tochterunternehmen mit einem Umsatz von rund 700 Millionen Euro weltweit etwa 5000 Menschen beschäftigt, davon fast 700 in Deutschland an den Standorten Erlangen und Herford (Nordrhein-Westfalen). Die Profitabilität machte Siemens-Chef Joe Kaeser zuletzt durchaus Freude - die Sparte dürfte noch besser dastehen, als die ohnehin renditeträchtige Medizintechnik von Siemens insgesamt.
Siemens konzentriert sich unter Kaesers Führung zunehmend auf das Projektgeschäft mit Großkunden. Als vielversprechende Geschäftsfelder hat der Siemens-Chef die Elektrifizierung, Digitalisierung und Automatisierung ausgemacht. Im Energiegeschäft will Kaeser zudem vom Öl- und Gasboom in den USA profitieren und hatte erst kürzlich die Milliarden-Übernahme des US-Kompressorenherstellers Dresser-Rand auf den Weg gebracht. Produkte für Verbraucher wie auch die Hausgeräte, die Siemens dem langjährigen Joint-Venture-Partner Bosch überlässt, passen da nicht mehr recht hinein. Eine Trennung von den Hörgeräten wäre nun für die Münchner der endgültige Abschied vom Endkundengeschäft mit seinen speziellen Spielregeln und Vertriebswegen. Auch in der restlichen Medizintechnik setzt Siemens auf Geschäftskunden: Röntgengeräte, Computertomographen, Ultraschallgeräte und Labordiagnostik-Systeme etwa finden ihre Abnehmer vor allem bei Kliniken, Forschungseinrichtungen und großen Labors.
Die Nase vorn soll der skandinavische Finanzinvestor EQT haben, aber auch andere Interessenten waren in Medienberichten genannt worden, darunter auch der dänische Hörgerätehersteller GN Resound. Ein anderer Spieler aus der Branche dürfte aus Kartellgründen kaum infrage kommen, hieß es in Industriekreisen.
Arbeitnehmervertreter sähen eine mögliche hohe Schuldenlast im Falle eines größtenteils fremdfinanzierten Deals mit Sorge und haben Standort- und Beschäftigungsgarantien gefordert. Sie fürchten, dass ein entsprechender Käufer einen harten Sparkurs einschlagen könnte. Dem Vernehmen nach könnte es aber auch Absprachen zwischen Siemens und einem Käufer zur Zukunft der Arbeitsplätze geben. Damit könnte Siemens auch versuchen, Negativmeldungen zu vermeiden, hieß es im „Handelsblatt“.
Nicht nur die Konjunktur, auch die Börsen erleben im Moment unsichere Zeiten. So liefen beispielsweise die Börsendebüts von Zalando und Rocket Internet eher mau, und die Zalando-Aktie notiert noch immer deutlich unter ihrem Ausgabepreis. Zuletzt hatte beispielsweise das Schweizer Biotechnologie-Unternehmen Molecular Partners seinen Gang aufs Parkett wegen eines „ungünstigen Börsenumfelds“ vorerst abgesagt.
Wachsen im Energie-Geschäft
Wachsen soll Siemens nach Kaesers Vorstellungen in Zukunft vor allem mit dem Geschäft zur Energieerzeugung, und das vor allem in den USA, wo der Schiefergasboom für eine Re-Industrialisierung des Landes sorgt. „Dort spielt bei Öl und Gas die Musik“, pflegt der Vorstandschef wohl nicht zu unrecht zu sagen.
Um hier gewappnet zu sein, griff er sich den amerikanischen Ausrüster der Öl- und Gasindustrie Dresser-Rand. Der soll zusammen mit der ebenfalls frisch erworbenen Gasturbinensparte von Rolls-Royce die neue Division Power and Gas entscheidend stärken. Weitere Zukäufe dürften folgen. Denn um in Amerika wirklich ganz vorne mitspielen und auch gegenüber mächtigen Konkurrenten wie General Electric (GE) bestehen zu können, braucht Siemens eine kritische Größe.
Um solche Akquisitionen finanzieren zu können, dürfte Kaeser sich von weiteren Geschäften, die er nicht mehr zum Kern des Konzerns zählt, trennen. Kürzlich etwa gab er die Beteiligung an der BSH Bosch Siemens Hausgeräte ab.