Deutscher Adel Reich erben reicht nicht mehr

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Statt Karriere bei Philips

Graf von Oeynhausen hat sich zum Gespräch in die Lobby seines Hotels zurückgezogen. Auf weichem Sofa in Leo-Muster, gestaltet wie alles Interieur hier von Gattin Annabelle, plaudert es sich vorzüglich, während livriertes Personal Kaffee und Wasser ausschenkt. Beschäftigte, die hier allen Gästen zu Diensten sind. Niederungen des modernen Grafen-Alltags. Das Hotel ist Kern eines 60 Hektar großen Parks, der die Keimzelle der gräflichen Geschäfte ist. Vor mehr als 20 Jahren bat der Vater seinen Sohn, auf die Karriere bei Philips zu verzichten und stattdessen die Geschäfte derer zu Oeynhausen-Sierstorpff zu übernehmen.

Bad Driburg war damals das letzte noch im Privatbesitz befindliche deutsche Kurbad, mit eigener Klinik und Heilbrunnen. Als Graf Marcus im Teutoburger Wald ankam, traf ihn fast der Schlag. Oder besser: die Gesundheitspolitik. Auf einmal waren Kuren kein kassenärztliches Standardrezept mehr. Der Graf schaute auf seinen weiteren unternehmerischen Besitz, entdeckte die Kliniken, die Mineralwasserquellen und beschloss, mit deren Erträgen, das Kurbad so lange querzufinanzieren, bis sich eine Lösung fand. Schließlich investierte er 20 Millionen Euro, modernisierte den Park, vergrößerte die Zimmer, hob den Standard des Hotels auf „4 Sterne superior“.

Heute hat die Unternehmensgruppe 1500 Mitarbeiter und ist der größte Arbeitgeber der Region. Gesamtumsatz: 81 Millionen Euro jährlich. „Wir sind in der siebten Generation. Das zeigt die Nachhaltigkeit dessen, was wir tun. Aber man muss da auch aufpassen, dass einen das nicht erdrückt, dass nicht zu viel auf den eigenen Schultern lastet“, sagt Graf Marcus und findet, dass er das Erbe so neu organisiert hat, sei eine solche Vereinfachung. Gleichzeitig hat er gerade die Führung der Geschäfte umorganisiert. Aus Prokuristen wurden eigenständige Geschäftsführer.

Er möchte sich nun mehr um das große Ganze kümmern, Schließlich, findet er, braucht es weitere strategische Überlegungen, um seinem wichtigsten Auftrag nachzukommen: „Mein größter Albtraum wäre, wenn am Ende meiner aktiven Zeit meine Tochter oder meine Söhne meinen Generationenbericht sehen und mich dann fragen: Vater, was hast du all die Jahre gemacht?“

Damit dieser Bericht günstig für ihn ausfällt, bedient sich der Adelige längst der Rezepte, mit denen auch bürgerliche Dynastien in Deutschland große Industriereiche entwickelten: Halte die Zahl der Entscheider klein (bei den Oeynhausens erbt grundsätzlich nur ein Nachfolger), halte Banken und fremde Investoren raus (alle Unternehmensteile sind fast ausschließlich in Hand des Grafen), suche dir eine Nische und bringe es dort zur Perfektion (die Kliniken fokussieren sich auf Spezialgebiete des Gesundheitssystems; die Wasserwerke machen nichts außer, genau, Wasser), denke nicht in Quartalen, sondern Generationen und: Kompetenz schlägt Familienzugehörigkeit.

Auch Michael Prinz von Sachsen-Weimar hat sich deutsche Familienunternehmen angeschaut, die Henkels, die Oetkers, diese Liga. Was ist besser: Beirat oder Geschäftsführung, Teilung oder Primogenitur – also der Erbverzicht aller Zweit- und Drittgeborenen zugunsten des Ersten? „Im besten Fall“, sagt Prinz Michael, „gibt es zwischen einem Familienunternehmen und einem Adelshaus keinen Unterschied.“ Das deutet sich schon bei den Werten an, die der Ost-Prinz für sich reklamiert: Disziplin, Verantwortung, Nachhaltigkeit. Dazu hat er einen Beirat, der seine Firma regelmäßig durchleuchtet.

Braungebrannt empfängt der Prinz von Sachsen-Weimar im Garten seines Ferienhauses in Kampen auf Sylt. Rote Hose, weißes Hemd, zwei Knöpfe offen und Pilotenbrille auf der Nase. Den ganzen Juli haben er und seine Frau sich hier einquartiert. Er ist jetzt 70. Es gilt, das Erbe der Firma zu planen. Seine Tochter soll übernehmen. Einziges Kind, schnelle Auffassungsgabe, bringt alles mit. Aber: Will sie auch? Der Vater jedenfalls sieht sein Haus bestellt: „Ich bin im Wald. Aus wirtschaftlichen und aus emotionalen Gründen.“ Die Familie betreibe das Geschäft jetzt ein paar Hundert Jahre. Das wische man nicht so beiseite, auch wenn damit keine großen Sprünge möglich sind.

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