Dieselgate in den USA Hält Volkswagen Beweismittel zurück?

Die US-Handelsbehörde FTC erhebt schwere Vorwürfe gegen den VW-Konzern: Das Wolfsburger Unternehmen habe in der Dieselaffäre möglicherweise Beweismittel unterschlagen. 23 Handys von Führungskräften sind verschwunden.

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Vor dem Betrieb eines VW-Händlers in Kalifornien: Volkswagen steht in den USA vor entscheidenden Tagen im Rechtsstreit um die Dieselaffäre. Quelle: AFP

Düsseldorf In seinem Brief an die eigenen Aktionäre ist Volkswagen-Konzernchef Matthias Müller ziemlich klar und deutlich gewesen. „Wir setzen alles daran, diese Krise zu bewältigen: mit effektiven technischen Lösungen für unsere Kunden und mit einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit allen zuständigen Behörden, um die Geschehnisse vollumfänglich und transparent aufzuklären“, schreibt Müller im aktuellen Geschäftsbericht über die Dieselaffäre.

Und nicht nur dort. Beinahe gebetsmühlenartig wiederholen Müller und andere Top-Manager bei fast jedem öffentlichen Auftritt, dass der Konzern unter allen Umständen zur Aufklärung des Abgasskandals beitragen wolle und mit allen beteiligten Behörden eng zusammenarbeite.

Im jüngsten Schreiben der US-Handelsbehörde FTC in Sachen Dieselaffäre an ein US-Bundesgericht in San Francisco liest sich das jedoch etwas anders. „Die FTC untersucht glaubhafte Vorwürfe, dass die Volkswagen Group of America absichtlich Beweismaterial im Zusammenhang mit dem Dieselskandal zerstört hat“, heißt es in dem Papier, das am Donnerstag bekannt geworden ist und das dem Handelsblatt vorliegt.

Konkret geht es um den Vorwurf, dass 23 Mobiltelefone von Führungskräften der US-Tochter von Volkswagen im Zuge der Aufdeckung der Dieselaffäre verschwunden oder gar zerstört worden sein sollen. Die FTC, die in den USA auch zu den Klägern gegen den Volkswagen-Konzern in der Dieselaffäre gehört, kommentiert das Verhalten des deutschen Unternehmens extrem verärgert.

Volkswagen versuche, das Thema der verschwundenen Telefone herunterzuspielen und gebe keine ausreichenden Antworten. „Im Zusammenhang mit diesem gewaltigen Skandal sind die 23 fehlenden Mobilgeräte ein echtes Warnsignal“, schreibt die FTC. Sie könne und wolle sich nicht mit der Reaktion von Volkswagen zufrieden geben, wonach keine wichtigen Daten zerstört worden seien und es keinen Grund zur Besorgnis gebe. Die Handelskommission wolle in diesem Zusammenhang vielmehr von Volkswagen wissen, was der Konzern unternommen habe, um die mutwillige Zerstörung von Daten zu verhindern.

In dieser Frage hat die US-Handelsbehörde bereits Unterstützung vom Justizministerium in Washington bekommen. Schon im September forderte das Ministerium Volkswagen dazu auf, mehr detaillierte Angaben zu den verschwundenen Mobiltelefonen zu machen. „Bitte reichen Sie uns die Informationen sofort weiter“, heißt es in einem Schreiben an einen der VW-Anwälte in den USA.

Dem US-Justizministerium waren damals nicht nur die fehlenden Mobiltelefone aufgefallen. Die Behörde beklagte sich auch darüber, dass bei VW mehrere Dateien im Zusammenhang mit dem Dieselskandal verschwunden seien. Die Ermittler wollten wissen, welche VW-Beschäftigten Zugang zu diesen verschwundenen Dateien hatten. Aufgefallen war den Ermittlern zudem, dass E-Mails, die zwischen Volkswagen of America und dem Konzern in Deutschland hin- und hergingen, gelöscht worden waren. Auch darüber wollte die Behörde mehr von Volkswagen wissen.


VW will Verhandlungen vor dem Amtsantritt Trumps beenden

VW weist die Verdächtigungen zurück. „Diese Anschuldigungen stehen im Zusammenhang mit einem bereits lange laufenden Rechtsstreit, der sich auf die Offenlegung von Material bezieht und dessen Lösung nun Sache des Gerichts ist“, sagte ein Konzernsprecher in Wolfsburg.

Anwälte von Volkswagen sind laut Gerichtsunterlagen vom November der Meinung, es sei nicht ungewöhnlich, dass Mobiltelefone verlorengingen oder deren Daten versehentlich gelöscht würden. Volkswagen könne auch keine weiteren technischen Angaben machen. Dadurch würde das Unternehmen Schaden nehmen, weil Volkswagen dann nämlich vertrauliche technische Daten herausgeben müsste. Davon könnten Wettbewerber profitieren – oder sogar Daten-Hacker.

Das sehen die FTC-Ermittler anders. Um den Dingen auf den Grund gehen zu können, hat die Behörde beim Gericht die nochmalige Befragung eines von Volkswagen benannten Zeugen beantragt, der bislang „unsinnige oder ausweichende“ Antworten gegeben habe. Der Mann habe in ersten Befragungen mehr als 250-mal mit „ich weiß nicht“ geantwortet. In einem Punkt hat sich die FTC bereits durchsetzen können: Kurz vor Weihnachten wird es vor dem Bundesgericht in San Francisco eine neue Anhörung zum Verschwinden möglicher Beweismittel geben.

Volkswagen steht in den USA vor bedeutenden Tagen in der rechtlichen Auseinandersetzung um die Dieselaffäre. Am kommenden Freitag dürfte die Entscheidung darüber fallen, inwieweit der VW-Konzern auch die Käufer von rund 80.000 Autos mit manipuliertem Drei-Liter-Motor entschädigen muss. Im für VW schlechtesten Fall wird der Konzern dazu gezwungen, alle Autos zurückzukaufen. Das dürfte zwischen zwei und drei Milliarden Euro kosten.

Ungeklärt ist auch die Höhe der Strafgelder, die Volkswagen in den USA wegen der Abgasaffäre zahlen muss. Darüber entscheidet das US-Justizministerium, auch dafür könnten weitere drei Milliarden Euro fällig werden. Der Wolfsburger Konzern hatte gehofft, dass alle wesentlichen rechtlichen Fragen in den USA bis zum 20. Januar geklärt sind. Bis zu dem Tag, an dem der neugewählte US-Präsident Donald Trump sein Amt antritt. Volkswagen befürchtet, dass dann in der US-Administration viele Posten neu besetzt werden und dass die Verhandlungen über die Dieselaffäre zu großen Teilen wiederholt werden müssten.

Der jüngste Vorstoß der Handelsbehörde FTC wird von Beobachtern als Versuch gewertet, die ausstehenden Verhandlungen mit dem VW-Konzern möglichst schnell zu Ende zu bringen. „Ich denke, dass wir insgesamt im Moment mehr Druck sehen“, sagte Arndt Ellinghorst vom Investmentberater Evercore ISI in London. Volkswagen solle dazu gedrängt werden, die von den Behörden geforderten Informationen zügig zu liefern.

Die Strafen für Volkswagen könnten höher ausfallen, wenn der Konzern Beweismittel zurückhalte, warnte Erik Gordon, Rechtsprofessor an der Universität von Michigan gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg. „Die US-Regierung könnte bald zu dem Schluss kommen, dass VW die Justiz behindert“, sagte Gordon. Die FTC könnte Volkswagen vorhalten, dass der Konzern stets nach außen seine Kooperationsbereitschaft bekunde, in diesem konkreten Fall aber ganz anders agiere.

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