Dieselgipfel in Stuttgart Mit dem Fuß auf der Bremse

Carl Benz hat einst in Baden-Württemberg das Auto erfunden. 130 Jahre später richtet Ministerpräsident Kretschmann auf dem Autogipfel über dessen Zukunft. Über Fahrverbote für Dieselfahrzeuge schweigt er lieber.

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Daimler-Chef Dieter Zetsche (l.) im Gespräch mit Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, vor dem Neuen Schloss in Stuttgart. Quelle: dpa

Stuttgart Vor 130 Jahren wurde in Baden-Württemberg das Auto erfunden. Seither ist das Ländle der Motor der Autoindustrie in Deutschland – zumindest was Verbrennungsmotoren betrifft. Doch die Vorreiterrolle der Schwaben ist bei der Transformation der Industrie zum selbstfahrenden Elektroauto gefährdet. „Es steht viel auf dem Spiel“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) am Freitag im Marmorsaal des Neuen Schlosses in Stuttgart.

In die alten Gemäuer hatte Kretschmann die Autobosse geladen. Zu Gast waren unter anderen Daimler-Boss Dieter Zetsche, Bosch-Chef Volkmar Denner, Stefan Sommer von ZF und EnBW-Chef Frank Mastiaux. Insgesamt 40 Spitzen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik kamen in Stuttgart zusammen. Es soll der erste Schritt zu einer strategischen Partnerschaft sein, mit der das Ländle die Zeitenwende hin zur Elektromobilität als Klassenbester in der Bundesrepublik angehen will. Rund 230.000 Menschen arbeiten hier in der Autoindustrie. „Wir müssen schnell und zielführend sein“, sagte Ministerpräsident Kretschmann. „Der Wandel vollzieht sich in rasendem Tempo.“

Gas gibt vor allem die Stuttgarter Politik mit dem geplanten Fahrverbot für Dieselfahrzeuge, die die Abgasnorm Euro VI nicht einhalten. Über das heikelste Thema diskutierten die Teilnehmer allerdings nur am Rande. Zwar sind sich fast alle einig, dass für die technische Transformation viel Teamgeist zwischen Industrie, Wissenschaft und Politik gefragt ist, doch die Zusammenarbeit ist noch ungewiss. Wie belastbar das Experten-Team ist, wird sich bald bei der Frage der Nachrüstung alter Dieselfahrzeuge durch die Autohersteller zeigen.

Dabei geht um sechs Millionen Autos und um Hunderte Millionen Euro. Kretschmanns Verkehrsminister Winfried Hermann fordert, ebenso wie der grüne Oberbürgermeister von Stuttgart Fritz Kuhn, dass die Nachrüstung der Diesel mindestens soviel Luftverschmutzung einsparen muss wie Fahrverbote. Nur dann wolle er auf letztgenannte verzichten. Kretschmann weiß um die Explosivität des Themas und klammerte es deshalb aus. Auf die Frage nach Fahrverboten sagte er: „Wir brauchen da möglichst schnell eine Lösung.“

Ein Fahrverbot wäre Gift für die Hersteller von Dieselautos. Bosch-Chef Denner mahnte kürzlich: „Es darf nicht passieren, dass der Umbruch der Branche durch nachteilige Regulierung zeitlich beschleunigt wird, ohne dass es schlüssige Antworten auf diese Fragen gibt.“ Bosch beschäftigt weltweit 50.000 Mitarbeiter in der Dieseltechnologie.

Es gibt jede Menge Zündstoff in der neuen Allianz zwischen Politik und Wirtschaft. Daimler-Chef Dieter Zetsche sagte: „Es ist besser man redet miteinander als übereinander.“ So gesehen war das Gipfeltreffen ein erster Schritt.

„Aber jetzt müssen Taten folgen, sonst ist der Zauber schnell verflogen“, warnte Autoprofessor Willi Diez. Wie schnell konkrete Lösungen aus den Arbeitskreisen kommen, hängt von der Besetzung ab. Die Autobosse haben angekündigt, ihre jeweiligen Autobosse schicken zu wollen. Doch Firmengeheimnisse werden sie sicherlich nicht mit den Konkurrenten teilen. Also wird es um die Themen Bildung, Ladeinfrastruktur und Projekte für Elektromobilität gehen.


Daimler-Boss: „Wir stellen uns der Neuerfindung des Autos“

„Es ist sehr komplex, wir müssen das schnell angehen“, sagte Kretschmann, als er sich von ZF-Chef Sommer verabschiedete. Und Daimler-Chef erklärte: „Wir stellen uns der Neuerfindung des Autos mit Begeisterung“. 10 Milliarden Euro investiert die Marke mit dem Stern in den Ausbau ihrer Elektroflotte. Viel Geld wird mit Sicherheit gebraucht.

Wie wichtig die Details sind, macht EnBW-Chef Frank Mastiaux deutlich. Es müssten gewaltige Summen in den Netzausbau investiert werden. „Das heutige Stromnetz ist auf das gleichzeitige Aufladen großer Mengen von Elektroautos nicht ausgelegt“, sagte der Chef des drittgrößten deutschen Energieversorgers. In jedem fünften Haushalt um 18 Uhr ein Elektrofahrzeug daheim zu laden, schaffe das Netz nicht. Auch die Leitungen in Parkhäusern könnten nicht mehr als fünf Ladestationen gleichzeitig mit Strom versorgen.

Bis Herbst will EnBW 120 Schnelladestationen auf den Autobahnraststätten in Baden Württemberg bauen. Wenn 100.000 Elektroautos im Jahr 2020 auf schwäbischen Straßen fahren, könnten diese dann auch geladen werden. Das sei ein realistisches Ziel der Energiewirtschaft, erklärte Mastiaux. Notwendig seien dafür seiner Ansicht nach erhebliche Investitionen.

Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) ist um eine Bemerkung nicht verlegen. „Es fehlt nicht an Ladestationen, es fehlt an Elektroautos.“ Vielleicht ändern diesen Zustand ja die Schwaben mit ihrer Allianz.

ZF-Chef Sommer sagte: „Die Transformation zur Elektromobilität ist ein Thema, das weit über die Landesgrenzen hinaus geht – sehr weit, denn es ist global. “ Und Porsche-Finanzchef Lutz Meschke erklärte: „Die Welt wartet nicht auf uns.“´

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