Dieselskandal EuGH-Anwältin stuft Abschalteinrichtungen von VW & Co. als illegal ein

Der Schutz vor Verschleiß der Motoren sei keine Rechtfertigung, bewertet die EuGH-Generalanwältin. Es droht die Stilllegung von Millionen Fahrzeugen.

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Der Autobauer erwartet keine weiteren Konsequenzen. Quelle: dpa

Im Streit um Abschalteinrichtungen bei Dieselautos zeichnet sich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine enge Auslegung von Ausnahmeregelungen ab.

EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston erklärte solche Techniken bei der Abgasreinigung in ihrem Schlussplädoyer (Az: C-693/18) am Donnerstag für unzulässig. Diese könnten ausnahmsweise nur genehmigt werden, wenn „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“.

Die Generalanwältin wies darauf hin, dass Ausnahmen eng auszulegen seien. Verbraucheranwälte rechnen mit einer Klagewelle gegen Autobauer in ganz Europa, sollte der EuGH dem folgen. Volkswagen erklärte, die rechtliche Bewertung durch die Generalanwaltschaft spiele in der Aufarbeitung des Dieselskandals keine Rolle mehr.

In ihrem Gutachten erklärte die Generalanwältin, es sei Sache der nationalen Gerichte, im Einzelnen festzustellen, ob die fragliche Vorrichtung unter diese Ausnahme falle. Das Ziel, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verzögern, rechtfertige ihrer Ansicht nach nicht den Einsatz einer Abschalteinrichtung. Für ein Urteil braucht das Gericht in der Regel einige Monate. In einigen Fällen geht es auch schneller. Meist folgen die Luxemburger Richter dem Gutachten der Generalanwaltschaft.

Volkswagen erklärte, die rechtliche Bewertung der „Umschaltlogik“ durch die EuGH-Anwältin habe für die juristische Aufarbeitung der Dieselthematik keinerlei Konsequenzen. „Diese Frage spielt in den laufenden Verfahren keine Rolle mehr.“

Zur Frage, wie die europäische Vorschrift zum Ausnahmetatbestand des Motorschutzes zu verstehen sei, habe die Generalanwältin dem Gerichtshof eine allgemeine, technische Auslegung vorgeschlagen und betont, dass es Sache des nationalen Gerichts sei, dies im Einzelfall anzuwenden. Daraus erwachse kein neues Klagerisiko.

Verbraucheranwälte rechnen indes mit einer Klagewelle. Ihrer Ansicht nach stuft die EuGH-Anwältin auch sogenannte „Thermofenster“ als illegal ein, eine weit verbreitete Art der Abschalteinrichtung. „Dadurch nimmt der Dieselskandal komplett neue Ausmaße an“, erklärte Rechtsanwalt Claus Goldenstein von der auf Dieselklagen spezialisierten Kanzlei Goldenstein & Partner.

Allein in Deutschland seien mehrere Millionen Fahrzeuge mit „Thermofenstern“ oder anderen Abschalteinrichtungen zugelassen. „Der gesamten Automobilindustrie drohen nun Rückrufs- und -Klagewellen sowie Strafen in Milliardenhöhe“, sagte Goldenstein.

EuGH könnte Beben in der Branche auslösen

Ausgangspunkt des Verfahrens beim EuGH ist eine Klage aus Frankreich, bei der es um den im Abgasskandal von Volkswagen bekannt gewordenen Dieselmotor EA 189 geht. Ein französischer Ermittlungsrichter will durch den EuGH klären lassen, wann eine nach EU-Recht verbotene Abschalteinrichtung vorliegt und in welchen Fällen Ausnahmen zulässig sind.

Während der Dieselskandal von Volkswagen juristisch als weitgehend geklärt gilt, steht für die Automobilindustrie die Frage nach den Ausnahmen im Zentrum. Als solche werden „Thermofenster“ verstanden, die nach Darstellung der Autobauer dem Schutz der Motoren in bestimmten Nutzungssituationen dienen.

Experten des deutschen Kraftfahrt-Bundesamtes und der nach dem VW-Dieselskandal eingesetzten Untersuchungskommission waren zu dem Schluss gekommen, dass die gesetzlich mögliche Ausnahme von der Abgasreinigung von allen deutschen Herstellern exzessiv genutzt wird. Mit dem „Thermofenster“ kann die Abgasreinigung bei kühlen Temperaturen gedrosselt werden.

Volkswagen hatte vor fast fünf Jahren zugegeben, millionenfach bei Dieselautos eine Software eingebaut zu haben, die dafür sorgt, dass die Wagen die Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalten. Auf der Straße stoßen sie hingegen ein Vielfaches mehr giftiges Stickoxid aus. Die Wiedergutmachung des Abgasskandals hat Volkswagen bisher mehr als 30 Milliarden Euro gekostet.

VW erklärte am Donnerstag, in Deutschland habe man sich im Rahmen des mit Verbraucherschützern ausgehandelten Vergleichs mit weiteren geschädigten Dieselkunden geeinigt und komme nun auf rund 90 Prozent Zustimmung. Kurz vor Ablauf der verlängerten Registrierungsfrist seien 235.000 Vergleiche positiv geprüft worden. An diese Kunden werde nun eine Gesamtsumme von rund 750 Millionen Euro überwiesen.

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