Direktreduktionsanlage Thyssenkrupps grüne Offensive – und wie wichtig sie wirklich ist

Thyssenkrupp will das Kunststück grüner Stahlproduktion schaffen Quelle: Presse

Es hat gedauert. Jetzt aber lässt Thyssenkrupps Stahlsparte in Duisburg ihre erste klimaneutrale Direktreduktionsanlage bauen. Wie sinnvoll ist das?

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Es ist ein wichtiger Schritt in der Transformation des „Stahls“, wie sie bei Thyssenkrupp Steel Europe in Duisburg sagen: hin zu einer grünen, zu einer klimaneutralen Produktion. Am Freitag hat die Stahlsparte von Thyssenkrupp verkündet, dass die erste wasserstoffbetriebene Direktreduktionsanlage (DRI) sowie zwei Einschmelzer auf dem Gelände ihres Werks in Duisburg von dem Anlagenbauer SMS-Group gebaut werden sollen. Es sei dann die größte Direktreduktionsanlage in Deutschland. 2026 soll die Anlage, so heißt es in bisherigen Plänen, ihren Betrieb aufnehmen. Das Auftragsvolumen dürfte bei mehr als zwei Milliarden Euro liegen. Der größte Teil davon dürfte auf die SMS-Gruppe entfallen.

Im vergangenen Herbst hatte das Land Nordrhein-Westfalen Hilfen in Höhe eines „mittleren dreistelligen Millionenbetrags“ für den Bau der Anlage zugesichert, dazu kommt massive Unterstützung vom Bund. Dafür steht allerdings noch die Genehmigung der EU-Kommission aus, wie die Nachrichtenagentur DPA am Freitag berichtete. Dass Thyssenkrupp Steel Europe den Auftrag nun ohne das formale Okay aus Brüssel erteilt, zeigt, wie sehr die Zeit drängt. Angekündigt hatte der Konzern die Auftragsvergabe schon für den vergangenen Herbst. Mit Hilfe der Anlage will Thyssenkrupp Steel Europe jährlich 3,5 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid weniger ausstoßen.

Großer Auflauf mit politischer Prominenz in Duisburg

Am Mittwoch nächster Woche will Thyssenkrupp weitere Details der Auftragsvergabe erläutern – und wohl auch feiern, mit hochrangigem Besuch: Neben Konzernchefin Martina Merz sollen auch Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU), die Düsseldorfer Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) und Burkhard Dahmen, der Chef der SMS Group, dabei sein.

Alle eint das Ziel, den Bau der Direktreduktionsanlage als Schritt hin zu einem neuen, erfolgreichen Geschäftsmodell für die Stahlproduktion bei Thyssenkrupp zu inszenieren – als einen Schritt, der für den Konzern elementar ist, aber auch für die Beschäftigung in der Region. Die Stahlsparte hatte zuletzt zwar gute Zahlen geliefert, steht aber konjunkturell vor einem Abwärtszyklus. Martina Merz war in den vergangenen Monaten von verschiedenen Seiten erheblich kritisiert worden, weil es ihr nicht gelingt, die Stahlsparte wie versprochen selbstständig werden zu lassen. Ende März soll das auch Thema bei einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung des Konzerns sein. Die Direktreduktionsanlage soll zeigen: Die Sparte ist wertvoll, die hat Zukunft.

Was ist der Unterschied zur Hochofenroute?

Bisher produziert Thyssenkrupp Rohstahl über die sogenannte Hochofenroute. Die klassischen Hochöfen nutzen Koks und Einblaskohle, um dem Eisenerz Sauerstoff zu entziehen. Der Kohlenstoffdioxid-Ausstoß in dem Verfahren ist immens, so groß, dass allein Thyssenkrupp Steel Europe für 2,5 Prozent der deutschen CO2-Emissionen verantwortlich ist. Daher setzt der Konzern künftig auf die Technik der Direktreduktion. Dabei wird das Eisenerz mit Erdgas oder Wasserstoff reduziert. Wenn der Wasserstoff grün sein soll, muss er mit grünem Strom hergestellt werden. Der Charme daran ist: Bis der Wasserstoff verfügbar ist, lässt sich so eine Anlage auch mit Erdgas betreiben.

Allerdings wird in einer DRI-Anlage nicht flüssiger Rohstahl hergestellt, sondern fester Eisenschwamm, der dann in einem weiteren Schritt in einem Einschmelzverfahren weiterverarbeitet werden muss. Daher baut die SMS Grupp auch zwei Einschmelzer in Duisburg. Gemeinhin wird von einem gesamten Investitionsvolumen von mehr als zwei Milliarden Euro ausgegangen. Das Land fördert, aber 70 Prozent der Gesamtförderung sollen  vom Bund kommen.

Ist Schweden nicht der besser Standort?

Die SMS-Group unter Konzernchef Burkhard Dahmen erschien schon länger als der fast natürliche Kandidat. Die Expertise des Unternehmens steht außer Zweifel. Im vergangenen Jahr erst hatte das Unternehmen mit Sitz in Düsseldorf den Zuschlag für den Bau einer Anlage in Nordschweden bekommen – von Thyssenkrupps Konkurrenten H2 Green Steel, an dem Mercedes-Benz beteiligt ist. Auch BMW will ab 2025 dort Stahl kaufen. Auf seiner Webseite warb die SMS-Goup am Freitag mit dem Projekt und den Worten, die Gruppe baue in Schweden „das erste grüne Stahlwerk der Welt“. Eine beachtliche Erfolgsgeschichte für SMS.

Die Probleme Thyssenkrupps zeigt aber genau dieser geografische Spagat der SMS-Group: Die Zukunft der Rohstahlerzeugung könnte nicht mehr in Nordrhein-Westfalen liegen, sondern eher dort, wo es günstigen grünen Strom für den elektrifizierten Prozess gibt, für die Produktion von Wasserstoff und etwa von Lichtbogenöfen zum Einschmelzen. Zwar hat Thyssenkrupp erst im Dezember eine Pipeline des Industriegaseunternehmens Air Liquide eröffnet, die das Stahlwerk mit dem Wasserstoff-Netzwerk von Air Liquide im Ruhrgebiet verbindet. Ab 2024 soll über die Pipeline Wasserstoff geliefert werden. Aber das kann nur der Anfang sein, denn der Bedarf ist gewaltig – vor allem an Strom. 

Thyssenkrupps Stahlchef Bernhard Osburg hat einmal gesagt, alleine um den Wasserstoffbedarf für das Werk in Duisburg zu decken, seien 37 Terawattstunden Strom nötig, viermal der Strombedarf Hamburgs. Das entspreche der Leistung von 3700 Offshore-Windrädern. Es gibt viele Branchenbeobachter, die angesichts dieses Bedarfs sagen: Dann produzieren wir die Stahlschamm-Pellets doch dort, wo der grüne Strom günstig ist oder günstig sein wird: eben in Schweden zum Beispiel oder in Kasachstan oder in den Golfstaaten. Der preisliche Druck auf eine geografische Verlagerung der Rohstahlproduktion jedenfalls ist gewaltig.

Thyssenkrupp rüstet sich für die Zeit danach

Und daher mag sich herausstellen, dass für die Zukunft der Stahlsparte Thyssenkrupps Investitionen in andere Anlagen als die DRI-Anlage eine viel wichtigere Rolle spielen – nämlich in Anlagen, die einmal gefertigten Rohstahl weiterverarbeiten, vor allem für den wichtigsten Abnehmer Thyssenkrupps, die Autoindustrie und ihr großes Projekt, die Transformation hin zu Elektroautos.

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Man kann gegen die Trägheit des Konzerns viel sagen, aber hier hat das Unternehmen im vergangenen Jahr einige Erfolge vorzuweisen: So wurde – ebenfalls in Anwesenheit von Hendrik Wüst – in Dortmund auf dem Gelände der Westfalenhütte die neue „FBA 10“, die Feuerbeschichtungsanlage 10, in Betrieb genommen. Dort wird besonders korrosionsgeschützter Stahl erzeugt. In Duisburg wurde ein Hubbalkenofen gestartet, der Brammen, das Vormaterial für Bleche und Bänder, auf Walztemperatur bringt, eine Veredelungsanlage für Verpackungsstahl in Andernach ist auch neu in Betrieb. Und in Bochum entsteht ein Werk, das hauchdünne Bleche produzieren wird, vor allem für Elektroautos.

Das klingt alles sehr viel kleinteiliger als das symbolisch wichtige Megaprojekt der Direktreduktionsanlage. Aber für Thyssenkrupp – und auch im Sinne der Arbeitsplatzsicherung in der Region – wäre es ebenso gut möglich, dass der Stahl nicht mehr vor Ort hergestellt wird, dass der Konzern also den für die Autoindustrie entscheidenden Mehrwert liefert, indem er sich ganz auf die Weiterverarbeitung verlegt.

Lesen Sie auch, welche Schwierigkeiten die Konzernchefin von Thyssenkrupp hat, ihre Strategie umzusetzen – und warum die Stahlsparte als das größte Problem gilt.

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