
WirtschaftsWoche: Herr Firtasch, wie ist die Lage im von prorussischen Separatisten besetzten Teil der Ostukraine im Moment?
Firtasch: Wir wissen es nicht genau. Über Kuriere versuchen wir, den Mitarbeitern vor Ort ihre Gehälter zu zahlen. Wichtig ist aber, dass der Waffenstillstand offenbar hält und es nur vereinzelt zu Schießereien kommt.
Sind Ihre Fabriken dort denn überhaupt noch unter Ihrer Kontrolle?
Ja, absolut. Wir haben zwar hier und da Probleme, Zugang zu bekommen. Separatisten lassen unsere Mitarbeiter nicht überall auf das Gelände unserer Werke. Aber juristisch sind sie unter unserer Kontrolle.
Sind die Fabriken noch in Betrieb?
Im Osten der Ukraine sind zwei Fabriken außer Betrieb. Und in Sewerodonezk im Gebiet Lugansk, wo wir Stickstoff produzieren, läuft die Produktion nur zu 30 Prozent. Dort fehlt uns der Strom.
Zur Person
Firtasch, 49, ist einer der mächtigsten Oligarchen der Ukraine. Chemie- und Titanverarbeitung sowie der dubios organisierte Handel mit Russengas in Europa haben ihm ein Vermögen von geschätzten zehn Milliarden Euro beschert. Der Physiker stammt aus der Westukraine, ist aber auch in Russland bestens vernetzt.
Die Separatisten wollten Unternehmen in ihren Gebieten "nationalisieren", sofern sie ihnen keine "Steuern" zahlen. Das ist offenbar nicht geschehen. Wie haben Sie sich mit den Rebellen arrangiert?
Wir haben mit den Separatisten nie gesprochen, ihnen keine Angebote gemacht, nicht einmal darüber nachgedacht. Die besetzten Gebiete in Lugansk und Donezk sind Teil der Ukraine, die Separatisten haben dort nichts verloren.
Befürchten Sie, Ihre Fabriken in der Ostukraine ganz zu verlieren?
Natürlich haben wir davor Angst. Wir haben viele Hundert Millionen Euro in diese Unternehmen investiert und die Produktion modernisiert. Zum Teil sind die Kredite noch nicht abbezahlt.
Wie sollen die Menschen in der Ostukraine wieder Vertrauen in Kiew gewinnen? Sie sind seit Monaten der russischen Propaganda ausgesetzt, wonach in der Hauptstadt die Faschisten am Werk sind.
Bevor die bewaffneten Kämpfe im Mai 2014 begannen, waren 80 Prozent der Meinung, dass sie zur Ukraine gehören. Jetzt ist das eher umgekehrt, die meisten wollen mit Kiew nichts mehr zu tun haben. Aber wenn wir ihnen mehr Selbstständigkeit geben, werden sie sich Kiew wieder annähern. Die Wunden werden heilen.





Wie haben Sie als Unternehmer die Maidan-Proteste erlebt?
Das war ein sehr wichtiges Ereignis, denn die Menschen haben ihrer Enttäuschung Luft gemacht. Aber sie haben dafür einen sehr hohen Preis gezahlt, Dutzende sind ums Leben gekommen. Geblieben ist die Enttäuschung. Denn eine schlechte Regierung hat eine andere abgelöst, die Korruption ist schlimmer geworden. Jetzt wissen viele Ukrainer nicht, ob es das wert war.
Was lief falsch?
Schuld sind die Führer der Opposition. Sie hätten den Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch nicht stürzen sollen. Und musste es sein, dass sie danach die russische Sprache verbieten wollten? Mit etwas mehr Geduld und Diplomatie hätte die Eskalation verhindert werden können.
Auf Ihre Initiative hin soll jetzt die „Agentur für Modernisierung“ der ukrainischen Regierung quasi als Aufsichtsrat auf die Sprünge helfen. Warum trauen Sie der proeuropäischen Regierung in Kiew nicht zu, dass sie selbst Reformen vorantreibt?
Weil sich nichts tut. Seit einem Jahr spricht die Regierung von Reformen, aber der Umbau in ein modernes europäisches Land kommt nicht voran. Die Ukraine ist in einem fürchterlichen Zustand, die Politik geht wie eh und je der Korruption nach. Als Unternehmer wollen wir zeigen, dass sich jetzt etwas grundlegend ändern muss. Der Kampf gegen Korruption ist dabei nur eine Aufgabe von vielen.