Drohender Personalabbau „Herr Tavares will Opel ausbluten lassen“

Die Mitarbeiter sind geschockt, die Fronten verhärtet: Der Personalabbau bei Opel könnte drastischer ausfallen als bislang bekannt.

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Die Fronten bei dem Autobauer sind verhärteter denn je. Quelle: dpa

Rüsselsheim Die Stimmung am Opel-Werk in Rüsselsheim passt so gar nicht zu diesem herrlichen Frühsommertag. Keine Wolke ist am Himmel, als Wolfgang Schäfer-Klug aus dem Werkstor mit der Nummer 60 und vor die Fernsehkameras tritt.

Schäfer-Klug ist der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des Autobauers, der oberste Interessenvertreter der fast 19.000 Beschäftigten bei Opel also. Die Sonne brennt auf das graumelierte Haar des hochgewachsenen Mannes, doch was er zu sagen hat, klingt düster: „Es ist ein einmaliger Vorgang, welch brutalen Druck PSA auf die IG Metall macht“, sagt Schäfer-Klug mit Blick auf den Opel-Eigentümer aus Frankreich. „Die Mitarbeiter sind geschockt.“

Seit der französische PSA-Konzern (Peugeot, Citroën) den Rüsselsheimer Autobauer im August 2017 von amerikanischen Rivalen General Motors (GM) übernommen hat, hat sich einiges zusammengebraut über den Rüsselsheimern. PSA-Chef Carlos Tavares verlangte umgehend einen Sanierungsplan. Das klare Ziel: Opel soll nach fast 20 Jahren stetiger Verluste aus den roten Zahlen kommen.

PSA hatte bislang stets die Absicht erklärt, bei der Sanierung keine Werke zu schließen und unbefristete Kündigungen zu vermeiden. Aber im Gegenzug sollten alle Opel-Beschäftigten auf 4,3 Prozent ihres Lohns verzichten. „Das haben wir unter dem großen Beifall der Beschäftigten zurückgewiesen und werden es auch weiterhin nicht annehmen“, sagte Schäfer-Klug.

Die Fronten, so scheint es am Donnerstag vor Tor 60, sind verhärteter denn je. „Ein solches Verhalten haben die Beschäftigten selbst unter General Motors nie erlebt“, sagt Schäfer-Klug. Tags zuvor hatte sich auch Kanzlerin Angela Merkel zu Wort gemeldet und von PSA gefordert, die Versprechen aus dem Vorjahr einzuhalten. Schäfer-Klug richtete daraufhin ein „Dankeschön“ an Berlin.

Die Lage hatte sich zuletzt weiter zugespitzt. Nach Informationen der Gewerkschaft will PSA die Belegschaft des Opel-Werks in Eisenach von 1800 auf knapp 1000 kürzen. Mittelfristig soll in Eisenach nur noch ein Opel-Modell produziert werden, ein Geländewagen.

Der Personalabbau könnte noch drastischer werden als bislang bekannt. Wie die „Wirtschaftswoche“ berichtet, hat der Betriebsrat den Mitarbeitern an diesem Donnerstag unterschiedliche Szenarien gezeigt. So könnte das Entwicklungszentrum in Rüsselsheim im Jahr 2020 nur noch Arbeit für knapp 4000 bis 5000 Mitarbeiter haben. Aktuell arbeiten dort 7700 Menschen.

„PSA und die Geschäftsleitung nehmen billigend den Bruch von Tarifverträgen in Kauf“ – so stand es in den Einladungen zu den Betriebsversammlungen, zu denen Betriebsrat und Gewerkschaften am Donnerstagnachmittag aufriefen. Nicht nur in Eisenach, auch im Hauptwerk in Rüsselsheim und im Motorenwerk in Kaiserslautern kamen daraufhin die Beschäftigten zusammen.

Was erwarteten die Mitarbeiter am Stammsitz? Knapp zwei Stunden vor Schäfer-Klugs Auftritt an Tor 60 des Rüsselsheimer Werks geben sich manche zerknirscht, andere gereizt. „Wir wissen nicht, was passiert“, sagte ein Mittfünfziger im kurzärmeligen Karo-Hemd in ruhigem Ton. „Keine Ahnung“, knurrt ein anderer in gelbem T-Shirt mit dem Opel-Blitz nur, bevor auch er durch das Drehkreuz in Richtung Werksgebäude verschwindet.

Seit 28 Jahren arbeite er für Opel, ruft ein Mann mit buschigem Oberlippenbart aus dem Fenster seines blauen Opel Adam. Er habe sieben Kinder, einen größeren Wagen als seinen kleinen Zweitürer könne er von seinem Gehalt aber nicht bezahlen. Die anderen Modelle seines Arbeitgebers, die könnten sich doch nur noch Reiche leisten.

Tatsächlich schwächelte Opel zuletzt beim Absatz. Nun soll auch der Vertrieb neu aufgestellt werden. Sämtliche Verträge mit seinen 1600 Händlern in ganz Europa hat Opel gekündigt. Trotzdem will Opel-Chef Michael Lohscheller erste Erfolge ausgemacht haben. Die „Erträge werden deutlich besser“, soll er nach einem Bericht der „Wirtschaftswoche“ zu Wochenbeginn bei einer Mitarbeiterversammlung gesagt haben.

Am Rande der Betriebsversammlung in Rüsselsheim richtet sich der Verdruss derweil vor allem auf die neue französische Konzernmutter PSA. Fast alle Mitarbeiter laufen anschließend wortlos an den wartenden Journalisten vorbei. Nur einer bleibt stehen, um zu reden.

Manfred Geiger arbeitet seit 1985 hier, seine Frau und er sind Opelaner durch und durch. Hinter der schwarzen Sonnenbrille und dem grauen Vollbart könnte dem ersten Anschein nach auch ein Diplomat stecken. Dann aber streckt Geiger den Rücken durch und sagt: „Herr Tavares hat Zusagen gemacht, als er den Vertrag unterschrieben hat, aber jetzt schert er sich einen Dreck darum.“

Auch er hoffe auf die Politik, sollte der PSA-Chef ernst machen, sagt Geiger. „Aber wenn das nicht hilft, können wir auch auf die Straße gehen.“ PSA, so empfindet Geiger es, wolle Opel „ausbluten lassen“.

Er selbst werde das Angebot, nach fast 35 Jahren in Altersteilzeit zu gehen, annehmen. PSA will mit solchen und anderen Schritten die Kosten bei Opel senken. „Für uns“, sagt Geiger mit Blick auf sich und Kollegen im gleichen Alter, sei das zumindest eine „gute“ Perspektive. „Aber“, ergänzt Geiger, „bestimmt nicht für Opel“.

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