Einblick

Die Industrie muss umdenken

Die Industrie steht vor einer Umwälzung ihres Geschäftsmodells durch die Digitalisierung. Eine „digitale Sonderwirtschaftszone“ könnte der deutschen Wirtschaft auf die Sprünge helfen. Eine Kolumne.

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Bosch-Werk Quelle: dpa

Es war einmal eine Zeit, da war Industrieproduktion eine klare Sache: Unternehmen erhielten den Rohstoff von ihren Lieferanten und machten daraus ein Produkt, das sie an ihre Kunden verkaufen konnten. Ende der Geschichte.

Heute steht die Industrie wieder am Anfang einer Transformation, die viele bekannte Gesetzmäßigkeiten industrieller Produktion verwirbeln wird. Uber, weltweit größtes Transportunternehmen im Individualverkehr, besitzt kein einziges Taxi. Und der weltweit größte Anbieter von Übernachtungen, Airbnb, hat kein einziges Hotel. Das ist es, was hinter dem Begriff der Disruption steckt: die Entmaterialisierung der Geschäftsmodelle und der Bruch mit Gewissheiten, mit denen die deutsche Industrieproduktion bislang gut gefahren ist.

So wird ein Joghurt in der Industrie 4.0 hergestellt
Kühe in einem Melkkarussel Quelle: dpa
Milch Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche
Molkerei Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche
Zutaten Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche
Steuerung Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche
Abfüllung Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche
Fertig Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche

Heißt das, der Erfolg ist durch Digitalisierung gefährdet? Ein großes Nein und ein kleines Ja. Nein, weil die Wachstumschancen durch Digitalisierung immens sind. Nach Berechnungen von Accenture könnte sich die Wirtschaftsleistung in Deutschland bis 2020 um zusätzlich 82 Milliarden Euro steigern, wenn die Unternehmen den Ausbau digitaler Technologien und Kompetenzen vorantreiben.

Das kleine Ja: Es bedarf dazu nicht allein deutscher Ingenieurskunst. Es bedarf eines Umdenkens jenseits der Bestandssicherung.

Die Folgen von Industrie 4.0 für die Branchen in Deutschland bis 2025

Die deutsche Industrie ist in der Lage, diesen Wandel zu gestalten. Sie muss es auch schaffen, denn fast ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts stammt in Deutschland aus dem verarbeitenden Gewerbe. In den USA sind das beispielsweise nur elf Prozent.

In der digitalen Wirtschaft werden Industriebetriebe weiter Produkte herstellen, aber ein wachsender Teil der Wertschöpfung stammt aus dem Service rund um diese Produkte.

Das Internet der Dinge wird die Zahl der vernetzten Produkte in den kommenden fünf Jahren von fünf Milliarden auf 21 Milliarden wachsen lassen. Der Mähdrescher meldet dann seine bevorstehende Wartung, im Auto wird die neue Software zum rückwärts Einparken aufgespielt. Das einmal gefertigte Produkt ist also nicht mehr das Ende, sondern der Anfang einer langen Kundenbeziehung, die über vernetzten Service gestaltet wird.

Das alles geschieht über Plattformen, um die der Kampf längst entbrannt ist. Deutsche Unternehmen, wie Trumpf, Bosch und Siemens, zeigen, dass man nicht auf die Anbieter aus den USA warten muss, sondern heimische Kräfte bündeln kann. Wenn der 3D-Druck dann noch irgendwann für die Massenproduktion einsetzbar ist, wird das einen Schub geben für die individualisierte Produktion. Additive Fertigung in Niedriglohnländern gehört dann der Vergangenheit an. Hochlohnländer, wie Deutschland, werden zu Schwellenländern wieder wettbewerbsfähig.

Für all das ist nicht mehr, sondern weniger Regulierung nötig. Hand in Hand mit Investitionen in eine flächendeckende schnelle Netzinfrastruktur und eine groß angelegte Initiative für die Ausbildung in mathematischen und technischen Fachrichtungen. Warum probieren wir das nicht einfach einmal aus in einer „digitalen Sonderwirtschaftszone“? Es könnte der Heureka-Moment der deutschen Wirtschaft sein.

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