Eine Branche im Umbruch Papierfabriken setzen auf Verpackungen

Papier wird aus Holz gemacht, besser gesagt aus Zellstoff. Für viele Fabriken der deutschen Papierbranche stimmt die Antwort. In einer schwäbischen Produktionsanlage setzt man hingegen auch auf ein anderes Material.

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Die Geschäftsführer der Papierfabrik Scheufelen, Ulrich Scheufelen (l) und Stefan Radlmayr, stehen vor einer Papiermaschine, auf der Graspapier aufgerollt wird Quelle: dpa

Lenningen Die Fabrik ist riesig, die Hallen sind endlos lang. Wie groß die Anlage ist? „Mehr als 13 Hektar“, sagt der Chef. 2000 Menschen haben hier, in der Papierfabrik Scheufelen in Lenningen bei Stuttgart, mal gearbeitet. Das ist lang her, nach einer Insolvenz und mehreren Eigentümerwechseln sind es nur noch 330. Die Anlage wirkt stellenweise wie ein Industriemuseum - eine 60 Meter lange Produktionsmaschine, Baujahr 1905, steht verstaubt und unbenutzt in einer Halle. Museum? Scheufelen-Chef Stefan Radlmayr ist anderer Ansicht - er will die altehrwürdige Firma auf Innovationskurs trimmen. Seine Geschäftsidee: Papier aus Gras.

2016 stiegen Finanzinvestoren ein, die nach eigenen Angaben langfristig bleiben wollen. Seither sitzt Radlmayr - Mitgesellschafter des Investors Radial Capital - auf dem Chefsessel des 1855 gegründeten Traditionsunternehmens. Im Jahr zuvor, 2015, hatte Scheufelen einen Umsatz von 110 Millionen Euro und ein Minus von 23 Millionen Euro gemacht. Inzwischen laufe es besser und der Verlust sei verringert worden, sagt Radlmayr. „Aber wir müssen noch deutlich zulegen.“ Zahlen für 2016 verrät der Manager nicht.

Neben ihm stehen riesige Papierrollen in der Fabrik, die meisten weiß, einige gräulich grün. Letztere sind seine große Hoffnung: Es ist besagtes Papier aus Gras. „Die Qualität des Papiers ist sehr hoch, die Belastung für die Umwelt sehr gering“, sagt der Firmenchef. Man brauche nur halb so viel Chemie, Wasser und Energie wie bei der Herstellung von Papier aus konventionellem Material. Das Heu kommt von der Schwäbischen Alb.

Scheufelen ist ein Beispiel für die angespannte Lage in der deutschen Papierbranche. Seit Jahren geht die Nachfrage nach grafischem Papier - also vor allem Druckpapier, etwa für Zeitungen - wegen der Digitalisierung zurück. 2016 sank der Absatz von grafischem Papier deutscher Fabriken um 3,6 Prozent auf 8,35 Millionen Tonnen, wie aus dem Jahresbericht des Verbands Deutscher Papierfabriken (VDP) hervorgeht.

Also düstere Perspektiven? Überhaupt nicht, meint Arne Kant von dem auf die Papierbranche spezialisierten Beratungsunternehmen Pöyry. „Zu denken, dass die Papierbranche ein sterbender Schwan ist, ist völlig falsch.“ Die Branche sei zwar in einem radikalen Umbruch, aber insgesamt seien die Aussichten positiv. Dabei verweist Kant auf die steigende Nachfrage nach Hygiene- und Verpackungspapier, etwa durch den boomenden Online-Handel samt Paketbestellungen.


Hoffnungsträger Verpackungssparte

Tatsächlich zog 2016 der Absatz in der Sparte „Papier, Karton und Pappe für Verpackungszwecke“ laut VDP um 1,8 Prozent auf 11,38 Millionen Tonnen an. Insgesamt - also inklusive kleinerer Sparten für Spezial- und Hygienepapiere - blieb der Papierabsatz bei einem Mini-Minus von 0,2 Prozent annähernd stabil. Allerdings: Der Umsatz der Branche sank um 1,7 Prozent auf 14,2 Milliarden Euro. Vereinfacht gesagt: Für etwa die gleiche Menge haben die in Deutschland ansässigen Firmen weniger Geld bekommen. Das lag auch an scharfer Konkurrenz auf dem Weltmarkt, wodurch manch eine Fabrik Preise senken musste.

Die Branche ist im Wandel, allmählich verschiebt sich die Gewichtung: weg vom Druckpapier, hin zu Verpackungspapier. Genau diesen Weg will auch Scheufelen gehen. „Wir kommen aus dem grafischen Markt etwas raus und gehen in den Verpackungsmarkt rein“, sagt Scheufelen-Chef Radlmayr. Gründernachfahre Ulrich Scheufelen, 73, ist als Mitgesellschafter an Bord. Der Senior schwärmt von der Möglichkeit zur Heu-Nutzung. Allerdings bestehe das Papier noch zur Hälfte aus Holzfaser-Zellstoff von Eukalyptus-Bäumen, das sei zur Festigkeit des Papiers nötig, so Scheufelen. „Aber wir arbeiten daran, dass der Anteil von Holzfaser-Zellstoff an unserem Papier weiter sinkt.“

Deutschlands Papierbranche ist kleinteilig, es gibt rund 200 Betriebe, Tendenz sinkend. Eine wichtige Rolle spielen Konzerne aus Nordeuropa wie zum Beispiel UPM und Stora Enso mit ihren Firmensitz in Finnland. „Besonders im grafischen Segment steigt der Wettbewerbsdruck“, sagt Experte Kant. Immer mehr Fabriken steuerten um und setzten auf Verpackungen statt Druckpapier - Scheufelen sei da nur eins von vielen Beispielen.

Und wie schätzt die Branche ihre Aussichten ein? Der VDP blickt „mit gedämpftem Optimismus“ auf dieses Jahr. Der Wettbewerb in der ganzen Branche sei „erheblich“, Sorgen bereiteten hohe Rohstoffpreise. Der Verband erwartet, „dass sich der Strukturwandel weiter fortsetzen und somit nur ein Teil der Branche an den guten konjunkturellen Rahmenbedingungen partizipieren wird“.

Papier aus Gras - was sagt denn der Branchenverband dazu? Neu sei das nicht, so ein VDP-Sprecher - es gebe längst Firmen, die alternatives Material wie Gras als Beimischung einsetzten. Oft geschehe dies aus Marketinggründen. Grundsätzlich stehe die Papierindustrie solchen Möglichkeiten aber offen gegenüber.

Unterstützung kommt aus der Politik: Die Firma Scheufelen stellte ihr Konzept den Grünen vor, in Baden-Württemberg Regierungspartei. Das sei innovativ, findet deren Fraktionschef im Stuttgarter Landtag, Andreas Schwarz. „Graspapier kann eine echte und vor allem nachhaltige Alternative zu herkömmlichem Papier werden.“

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