
Bei vielen deutschen Unternehmen macht sich Defätismus breit – das Gefühl der Machtlosigkeit, nachdem der Bundesnachrichtendienst (BND) möglicherweise dem US-Geheimdienst NSA bei der Ausspähung deutscher Firmen geholfen hat.
„Wenn Geheimdienste kooperieren, um mit riesigem Aufwand bestimmte Daten oder Dokumente zu finden, werden sie das nach heutigem Stand der Sicherheitstechnik auch schaffen“, sagt Oliver Winzenried, Chef des mehrfach ausgezeichneten Verschlüsselungs- und Sicherheitstechnik-Spezialisten Wibu-Systems in Karlsruhe.
Der neue Skandal um BND und NSA
Der BND soll dem US-Geheimdienst NSA jahrelang geholfen haben, Ziele auch in Europa auszuforschen. Es geht dabei um große Datenmengen, die der BND an seiner Abhörstation in Bad Aibling abgreift und die die NSA nach europäischen Unternehmen und Politikern durchforstet haben soll. In Bad Aibling belauscht der BND internationale Satellitenkommunikation, angeblich vor allem aus Krisenregionen wie Afghanistan oder Somalia. Es ist aber nicht ganz klar, was dort tatsächlich alles abgefischt wird.
BND und NSA vereinbarten vor Jahren, dass die Amerikaner nach bestimmten Suchmerkmalen (Selektoren) Zugriff auf diese Daten bekommen - zur Terrorbekämpfung und unter Einhaltung deutscher Interessen. Die Amerikaner hielten sich aber wohl nicht an diese Vereinbarung, sondern nutzten die Daten keineswegs nur für den Kampf gegen den Terror, sondern möglicherweise auch zur Wirtschaftsspionage und für andere Zwecke, die deutschen und europäischen Interessen zuwiderlaufen.
Um aus den großen Datenmengen relevante Informationen herauszusuchen und die Kommunikation von Verdächtigen aufzuspüren, filtern sie diese nach bestimmten Suchmerkmalen - zum Beispiel E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern. Die NSA hat dem BND massenhaft solche Suchkriterien übermittelt, damit dieser die Daten aus Bad Aibling danach maschinell durchkämmt und anschließend an die USA weitergibt. Wie viele Selektoren die Amerikaner geliefert haben, ist unklar. Die Rede ist von mehreren Hunderttausend oder mehr als einer Million. Sie werden ständig überarbeitet und ergänzt.
Der BND prüft nach eigenen Angaben durchaus, was die NSA an Daten anfragt und welche Suchkriterien sie übermittelt. Und der Geheimdienst beteuert, dass er Selektoren, die deutschen Interessen widersprechen, aussortiert und keine Daten dazu liefert. Angesichts der riesigen Mengen an Daten und Selektoren sind die Prozesse aber computerbasiert. Der Grünen-Obmann im NSA-Ausschuss, Konstantin von Notz, geht deshalb davon aus, dass alles grundsätzlich automatisiert und ohne Prüfung der einzelnen Suchmerkmale abläuft. „Dieses System ist unkontrollierbar“, sagt er. „Und der BND wusste das auch.“
Der BND bemerkte schon 2005, dass die NSA in dem Wust an abgehörten Daten auch nach europäischen Zielen suchte - nach den Firmen EADS und Eurocopter und nach französischen Behörden. Nach den Enthüllungen der NSA-Affäre 2013 schaute sich der BND die Suchanfragen noch genauer an und stieß auf rund 2000 kritische Selektoren der NSA. Insgesamt hat der BND über die Jahre rund 40 000 solcher Suchkriterien der USA abgelehnt. Nach eigenen Angaben fischten die BND-Mitarbeiter diese heraus, gaben den Amerikanern dazu also keine Daten.
Doch die Linke-Obfrau im NSA-Ausschuss, Martina Renner, glaubt nicht an diese Version. „Wir gehen davon aus, dass ein Teil der Selektoren auch eingesetzt wurde.“ Wen genau die Amerikaner alles ausforschen wollten und bei welchen Stellen ihnen das in welchem Umfang gelang, ist noch unklar. Das Kanzleramt erfuhr angeblich erst vor ein paar Wochen von der ganzen Sache - nachdem der NSA-Untersuchungsausschuss nachhakte.
Für den weltweit tätigen Ventilatorenbauer ebm-papst im baden-württembergischen Mulfingen enthält die Affäre eine verheerende Botschaft. „Wenn es der BND und andere Geheimdienste können, ist das für kriminelle Subjekte fast eine Einladung, es auch zu versuchen“, sagt Firmenchef Rainer Hundsdörfer.
Die Mehrzahl der deutschen Firmen schweigt zu der BND/NSA-Affäre. Zu sehr gefährden kritische Kommentare das US-Geschäft, vor allem, wenn es sich um Rüstungsaufträge der US-Regierung handelt.
Eine Sonderrolle spielt der europäische Rüstungs- und Luftfahrtkonzern Airbus, dessen früherer Name EADS zu den Begriffen gehört, nach denen die NSA suchte. Für Vorstandschef Tom Enders sei es „schlimm“, heißt es in Unternehmenskreisen, dass „auch nach zwei Wochen Spekulationen keiner aus der Bundesregierung es für nötig hielt, Airbus als Unternehmen von nationalem Interesse zu informieren“. Zurück bleibe der Eindruck: „Da war etwas, selbst wenn das Ausspähen keinen Erfolg hatte.“
Eine Konsequenz der Affäre: Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) schob in den vergangenen Tagen Einwände von US-Mitgliedsfirmen wie Cisco und IBM beiseite und fordert nun die „digitale Souveränität“ Europas. Die Bundesregierung müsse „Unabhängigkeit von einzelnen Wirtschaftsräumen, Staaten und Unternehmen bei der Nutzung digitaler Technologien herstellen“, steht in einem neuen Positionspapier. Bitkom wolle sich selbstbewusster als „deutscher IT-Dachverband“ profilieren, heißt es aus dem Präsidium.
Die EU-Kommission, selbst Ziel der BND/NSA-Schnüffeleien, hofft auf schnelle Aufklärung. „Wir werden die Suchbegriffe hoffentlich auf den Tisch bekommen“, sagte EU-Kommissar Günther Oettinger der WirtschaftsWoche. „Wir werden sehen, ob da EU-Kommission darauf steht oder die Wettbewerbsbehörde. Und ob es um Wirtschaftsspionage im strafrechtlichen Sinn ging.“ Die richtigen Fragen seien gestellt. „Es wird wenige Wochen dauern, um darauf kompetente Antworten zu bekommen.“