Einzelgänger der Chemiebranche Die risikoreiche BASF-Strategie

Die ganze Chemiebranche wälzt sich um, fusioniert und spezialisiert sich. Nur BASF nicht. Die Königin der Chemie setzt auf ihre Tradition. Doch damit wird es dem Konzern schwer fallen, neue Herausforderer abzuwehren.

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Kurt Bock kennt sich aus mit den Traditionen und der Geschichte von BASF. Der heutige Konzernchef begann sein Berufsleben hier, bis auf einen kurzen Abstecher zu Bosch hat er seine ganze Karriere bei der "Badischen Anilin- und Soda-Fabrik" verbracht, dem größten Chemiekonzern der Welt.

Doch wohl kaum ein Jahr war so turbulent wie das vergangene: Umwälzungen in der Branche, wirtschaftliche Schwierigkeiten und ein Unglück, bei dem vier Menschen starben, durchrüttelten das Unternehmen.

Konzernchef Bock reagiert darauf wie immer: Ruhig, besonnen, abwartend. Nur keine übereilten Entscheidungen. BASF hat seine Strategie, und der bleibt man treu.

Dabei spricht wenig dafür, dass die kommenden Jahre weniger turbulent werden. Der Chemiesektor steht vor gewaltigen Umwälzungen. Und langfristig müssen Bock und seine Vorstandskollegen mit neuen Herausforderungen und Herausforderern rechnen.

Die BASF

Fusionswelle rollt an BASF vorbei

Der Chemiesektor hat eine beispielslose Übernahmewelle hinter sich, vor allem in der Agrarchemie. Vor einem Jahr hatte BASF noch fünf große Mitbewerber, die sich um das Geschäft mit Unkrautvernichter und Pflanzenschutz stritten. Bald sind es nur noch drei: Bayer übernimmt Monsanto, Syngenta geht an Chemchina, und Dow und Dupont fusionieren, um sich dann in drei einzelne Konzerne aufzuspalten.

BASF ging bei der Fusionswelle leer aus. Nur einmal hat Konzernchef Bock in den vergangenen Jahren zugekauft, den Lackspezialisten Chemetall für 2,8 Milliarden Euro. Der Deal steht weit hinter den Dimensionen der Konkurrenz zurück. Vor allem aber löst er die Probleme der Aniliner im Pflanzenschutzgeschäft nicht.

Durch die Zusammenschlüsse haben die Wettbewerber BASF abgehängt. Die Ludwigshafener müssen sich nun mit einem abgeschlagenen Platz 4 auf der Weltrangliste zufrieden geben. Hinzu kommt: Als einziger Spieler im Markt verkauft BASF seine Pestizide ohne darauf abgestimmtes, genverändertes Saatgut.

Der Vorstand hofft nun auf die Strenge der Kartellwächter: Die könnten den Wettbewerbern Auflagen bei ihren Übernahmeplänen machen. Wenn sich die Konkurrenz dadurch von Geschäft trennen muss, will Konzernchef Bock zugreifen. Nur: Noch ist völlig unklar, welche Geschäftsbereiche auf den Markt kommen könnten - und wie viel Nutzen die für BASF tatsächlich haben.

Angesichts der Umwälzungen in der Branche müssen sich Vorstand und Aufsichtsrat die Frage stellen: Stimmt die Strategie? Zwar ist das Konzept von BASF über 150 Jahre erprobt und ausgereift. Doch die Branche verändert sich schneller als jemals zuvor. Und es ist nicht klar, ob das Ludwigshafener Imperium die nötige Flexibilität besitzt, um mitzuhalten.

Alte Strategie trotz neuer Umstände

Die Ludwigshafener sind die einzigen auf der Welt, die so gut wie jede Chemikalie in ihrer Wertschöpfungskette am liebsten selbst herstellen. BASF fördert mit der Tochter Wintershall selbst Öl, verarbeitet es zu Grundchemikalien, aus denen dann Kunststoff, Styropor oder Lacke hergestellt werden. Aus einem Produkt entsteht so das nächste und übernächste.

Sinnbild dafür sind die silbernen Rohrbrücken, die sich in vier Metern Höhe durch das Werk in Ludwigshafen schlängeln. 2700 Kilometer Rohrleitungen sind es insgesamt, erzählen Mitarbeiter stolz. Sie transportieren die Chemikalien von Anlage zu Anlage. Verbund nennen die Anliner ihr Konzept, es geht bis auf den Firmengründer Friedrich Engelhorn zurück, der die Badische Anilin- und Sodafabrik vor fast 153 Jahren erschuf.

Früher war BASF damit Vorbild, selbst Bayer baute sein Werk in Leverkusen nach den Ludwigshafener Modell nach. Mittlerweile ist die Strategie einmalig, alle anderen haben sich längst spezialisiert. Bayer hat bereits 2004 seine Chemie- und Polymersparte ausgegliedert - das heutige Lanxess. 2015 trennte sich Bayer auch von seinem Lack- und Schaumstoffgeschäft und begründete so die Geschichte von Covestro.

Noch radikaler ist das Konzept von Dow und Dupont. Die beiden US-Konkurrenten hätten gemeinsam BASF leicht den Titel "Königin der Chemie" stehlen können. Stattdessen teilen sich die beiden nach ihrer Fusion wieder in drei Einzelteile auf. Jeder einzelne davon fokussiert auf seine Produkte und deshalb besonders schlagkräftig, so wollen es die Aktionäre. Damit verfolgen Dow und Dupont das Gegenmodell zum Ludwigshafener Verbund.

BASF ist bei solchen Manövern schwerfällig. Während sich andere Konzerne innerhalb von Wochen von unprofitablem Geschäft trennen, kann BASF nicht einfach so einen Teil seiner Produktion aus dem Verbund herausschneiden - schließlich hängt alles zusammen.

Neue Herausforderer im Nahen und Fernen Osten

Das könnte für BASF noch zum Problem werden. Denn im Nahen und Fernen Osten bilden sich neue Herausforderer, die dem europäischen Chemiekonzernen sehr bald gefährlich werden können - vor allem in der ohnehin schon angeschlagenen Petrochemie. 

In Saudi-Arabien verfolgt das Königshaus einen ehrgeizigen Plan: Die Monarchen wollen den größten Börsengang aller Zeiten stemmen, in dem sie fünf Prozent der Aktien von Saudi-Aramco verkaufen. Der Konzern ist der größte Ölförderer der Welt, das Kronjuwel der saudi-arabischen Wirtschaft. Allerdings verblasste sein einzigartiger Schein zuletzt: Der niedrige Ölpreis der vergangenen Jahre hat Saudi-Aramco zugesetzt.

Der weltgrößte Ölkonzern soll sich deshalb wandeln, das erklärte Ziel: Ein moderner, integrierter Chemiekonzern zu werden. So hat Saudi Aramco gerade erst ein Chemiewerk der ersten Güteklasse hochgezogen, für über 20 Milliarden Dollar.  Auch nach Deutschland haben sich die neuen Konkurrenten von der arabischen Halbinsel bereits gewagt: Saudi Aramco ist über ein Joint Venture an der Kautschukproduktion von Lanxess beteiligt.

Der Konzern verfolgt ehrgeizige Ziele: Bis 2030 will Aramco seine Produktion von Grundchemikalien verdreifachen. Einen wesentlichen Vorteil werden die Saudis dabei immer haben: Sie kommen günstig an das benötigte Öl heran, den Grundstoff für die moderne Chemie. BASF mit ihrer Tochter Wintershall nicht. 

Eine noch größere Bedrohung für das Geschäftsmodell der BASF lauert in China. Dort schmiedet die Regierung gerade an einer Vereinigung von Sinochem und Chemchina - sobald Chemchina die Übernahme von Syngenta abgeschlossen hat. Gemeinsam kämen die beiden Giganten auf circa 95 Milliarden Euro Umsatz. Konzernchef Bock hingegen wird im Februar wahrscheinlich verkünden müssen, dass der Umsatz von BASF auf rund 60 Milliarden Euro geschrumpft ist. 

Es wird kein einfaches Unterfangen, die beiden chinesischen Konzerne zu einem Imperium zu vereinen. Doch die Chinesen genießen einen gewaltigen Standortvorteil: Sie haben einen riesigen Absatzmarkt direkt vor ihren Werkstoren. Sie können günstiger produzieren als die europäischen Konkurrenten, haben niedrigere Energiekosten. Vor allem aber haben sie keine Aktionäre, die sich an zwanzigprozentige Margen gewöhnt haben. In China ist man auch zufrieden, wenn man nur 4,5 Prozent Gewinn erwirtschaftet. „Die Chinesen holen auf, dass die die höherwertigen Produkte nicht herstellen können, stimmt nicht mehr“, sagt ein Branchenkenner, der auch BASF berät. Die neuen chinesischen Konkurrenten könnten einen gewaltigen Preisdruck auf dem Markt erzeugen, warnt er.

In Ludwigshafen scheint das noch niemanden zu beunruhigen. Konzernchef Bock, intern durchaus als stur bekannt, hält an seiner Strategie fest. „Ich kann nicht erkennen, dass wir einen radikalen Umbau brauchten“, sagte er gerade in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Fünf Jahre hat Bock noch, um zu beweisen, dass er mit dieser Meinung Recht hat. 2021 endet sein Vertrag planmäßig. Das ist viel Zeit, um die Branche noch mal umzuwälzen.

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