Energiekonzerne gegen Atomausstieg Kampfeslust in Karlsruhe

Seite heute führen die Kraftwerksbetreiber Eon, RWE und Vattenfall die Milliardenschlacht um den Atomausstieg. Die Regierung hält vor dem Verfassungsgericht dagegen. Das Endspiel um den Atomausstieg hat hitzig begonnen.

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Fünf Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima pochen die Energiekonzerne auf Schadensersatz für den deutschen Atomausstieg. Quelle: dpa

Karlsruhe Ernster Gesichtsausdruck, aufrechte Körperhaltung, leichtes Stirnrunzeln: Die Verhandlung hatte noch gar nicht begonnen, da nahm Johannes Teyssen seine ärgste Widersacherin schon ins Visier. Unentwegt starrte der Eon-Chef in Richtung von Barbara Hendricks und strafte die Umweltministerin mit bitterbösen Blicken. Die sozialdemokratische Spitzenpolitikerin konterte mal mit einem Schmunzeln, mal mit versteinerter Miene. Keine Frage, sowohl die Ministerin als auch der Dax-Manager strotzen vor Kampfeslust.

Teyssen und Hendricks sind nach Karlsruhe gekommen, um eine Schlacht um Recht und Milliarden auszufechten. Vor dem Bundesverfassungsgericht wird am Dienstag und Mittwoch über die Rechtmäßigkeit des Atomausstiegs verhandelt. Nachdem es am 11. März 2011 in Folge eines Seebebens und eines Tsunamis zu einer schweren Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima gekommen war, wurden 9000 Kilometer von der Unglücksstelle entfernt, in Deutschland, quasi über Nacht acht Atommeiler sofort stillgelegt. Von den 17 verbliebenen Kernkraftwerken hierzulande geht der letzte Reaktor 2022 vom Netz.

Das deutsche Atomkonzern-Quartett Eon, RWE, Vattenfall und EnBW ist überzeugt: Der Ausstieg aus der Kernenergie erfolgte zu hektisch, zu unüberlegt und verstößt gegen Grundprinzipien der Verfassung. Die Konzerne fühlen sich enteignet und fordern Schadensersatz in Milliardenhöhe. Angeführt wird die Atomlobby von Eon-Boss Teyssen.

„Wenn Eigentum entzogen wird, dann ist es die Aufgabe von uns allen, Entschädigungen zu zahlen“, sagte der Vorstandsvorsitzende von Deutschlands größtem Energieversorger in seinem Eingangsstatement. Es gehe darum, das „Kapitel Kernenergie mit Anstand und Fairness zu beenden“, so der Top-Manager. Teyssen hob in Karlsruhe hervor, vor dem Gericht die „vielen Tausend Eon-Anleger“ zu vertreten, die „im Vertrauen auf Rechtsschutz“, Aktien des Stromkonzerns erworben oder behalten hätten.

Die Politik griff Teyssen scharf an: „Trotz der Unbedenklichkeitserklärung für die deutschen Kernkraftwerke passierte eine Abwälzung aller Kosten auf die Anleger der Unternehmen“. Nun gehe es um eine „faire Entschädigung“. Zudem habe das Aus für Kernkraftwerke negative Folgen auf das Klima gehabt. „CO2-freie Kernenergie wurde durch Erneuerbare Energien ersetzt“, erklärt Teyssen. „Aber Kohle war weiter da.“

Der Konter von Barbara Hendricks ließ nicht lange auf sich warten. „Die Energieversorger haben ein Bild an die Wand gemalt, dass Deutschland künftig Strom importieren muss, dass die Klimaziele nicht eingehalten werden und dass die Strompreise explodieren würden – nichts von dem ist eingetreten“, sagte die Umweltministerin. Die Politikerin rechtfertigte vor den acht Verfassungsrichtern des ersten Senats das Vorgehen der Bundesregierung zum Atomausstieg.

„Fukushima hat eine Neubewertung der Kernenergie auch in Deutschland nötig gemacht“, erläuterte Hendricks. „Die Entscheidung des Gesetzgebers war und ist richtig.“ Gerade auch vor dem Hintergrund der jahrzehntelangen Kontreversion um die Kernenergie „konnte es ein ‚Weiter so‘ nicht geben“, so die Ministerin. Hendricks ist davon überzeugt, dass der Gesetzgeber „nicht für alle Zeit an Vereinbarungen mit Energieversorgen gebunden werden kann“. Sie hält die Klagen der Stromkonzerne für unzulässig und unbegründet.


Beide Seiten geben sich siegessicher

Die Kontrahenten lieferten sich ein hitziges juristisches Duell. Beide Seiten werden von Top-Anwälten beraten. Beide Seiten geben sich siegessicher. Und für beide Seiten geht es letztlich um enorm viel.
Seit Fukushima durchleben die Energieversorger einen nicht enden wollenden Niedergang. Eon und RWE sind nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die einstigen Gewinn-Garanten sind schwer angeschlagen, hoch verschuldet und sehen in ihrer Not nur noch einen Ausweg: Sie spalten sich auf. Einerseits in neue, grüne Gesellschaften, die mit der Energiewende Geld verdienen. Andererseits in Unternehmen, die im konventionellen Energiegeschäft nach Rendite suchen.

Um die tiefen Löcher in ihren Bilanzen zu stopfen – Eon meldet für 2015 einen Verlust von sieben Milliarden Euro, RWE von 170 Millionen Euro – käme den schrumpfenden Energieriesen ein Richterspruch zu ihren Gunsten nur allzu gelegen. Zwar entscheidet das Bundesverfassungsgericht nicht über Entschädigungszahlungen. Aber auf Basis eines für die Atomkonzerne positiven Urteils in Karlsruhe könnten die Energieversorger weitere Klagen anstrengen.

Sollten die Konzerne Recht zugesprochen bekommen, wäre das nicht nur eine Ohrfeige für die Politik. Es wäre auch eine Katastrophe für die Steuerzahler. Denn die Konzerne wollen insgesamt Schadensersatzansprüche in Höhe von rund 20 Milliarden Euro einklagen. Allein Eon fordert acht Milliarden Euro Entschädigung für entgangene Gewinne durch den Atomausstieg.

Fraglich ist allerdings, ob etwa Vattenfall überhaupt vor dem Bundesverfassungsgericht deutsche Grundrechte einklagen kann. Das Unternehmen befindet sich zu hundert Prozent im Besitz des schwedischen Staates. Und Staaten sind im Gegensatz zu Privatpersonen und privaten Firmen eigentlich nicht grundrechtsfähig. Vattenfall macht dafür schon jetzt von einem anderen juristischen Mittel Gebrauch: Der Energiekonzern versucht vor einem internationalen Schiedsgericht in Washington, 4,7 Milliarden Euro Schadensersatz von Deutschland zu erwirken.

Die Drohkulissen der Energiekonzerne könnten aber schon bald in sich zusammenfallen. Parallel zu den Atomausstiegsklagen verhandelt gerade eine Kommission im Auftrag der Bundesregierung mit Eon, RWE, Vattenfall und EnBW darüber, wie die Rückstellungen der Stromkonzerne für Abriss und Endlagerung des Atommülls von rund 38,5 Milliarden Euro langfristig gesichert werden können.

Der Staat zeigt sich prinzipiell bereit, den angeschlagenen Konzernen entgegenzukommen und das Risiko der Endlagerung des Atommülls zu übernehmen. Allerdings nur unter einer Bedingung: Die Energieversorger müssen all ihre Klagen gegen den Bund und die Länder zurückziehen. Ob sich die Stromkonzerne auf diesen Deal einlassen, hängt ganz wesentlich davon ab, wie die Richter in Karlsruhe entscheiden. Mit einem Urteil wird in einigen Monaten gerechnet.

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