Erneuerbare Energien Kostenwende beim Offshore-Wind

Lange war fraglich, ob Windräder auf hoher See jemals ohne Subventionen Strom produzieren können. Nun steht die Meerwindindustrie aber kurz davor, voll wettbewerbsfähig zu werden – und hofft auf einen Wachstumsschub.

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Die europäische Offshore-Windbranche könnte bis 2040 in etwa so groß werden, wie die europäische Eisenbahnindustrie. Quelle: obs

Düsseldorf Teuer, unkontrollierbar, nutzlos – Offshore-Windenergie gilt unter ihren Kritikern noch immer als verrücktes Wagnis, das Firmen wie Volkswirtschaften tunlichst meiden sollten. Klaus Müller, Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, wettert beispielsweise gerne gegen die „kostspieligen Hochseeabenteuer“, die den Preis für die Energiewende unnötig in die Höhe treiben. Manuel Frondel, Energieökonom am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, hält ebenfalls nicht viel von Meerwindanlagen. Die Mühlen, die teils höher als der Kölner Dom (159 Meter) aus dem Wasser ragen, seien „nicht steuerbar“ und wären letztlich nichts anderes als „Subventionsruinen“.

Die unrühmliche Historie von Offshore-Windenergie in Deutschland scheint Mahnern und Zweiflern wie Müller und Frondel Recht zu geben. Über Jahre hinweg prägten Planungschaos, explodierende Kosten und mysteriöse Pannenserien das Bild der Meerwindbranche. Alleine Siemens versenkte fast eine Milliarde Euro im Meeresgrund, weil der Münchner Paradekonzern sträflich unterschätzte, wie schwierig es in der Praxis ist, die Hochseemühlen ans Stromnetz am Festland anzubinden. Doch diese leidvollen Erfahrungen sind mittlerweile überwunden.

In der deutschen Nord- und Ostsee drehen sich bereits 835 Windräder, die mit einer Kapazität von 3,5 Gigawatt rein rechnerisch mehr als zwei Millionen Haushalte mit Strom versorgen können. Die allermeisten Anlagen laufen dabei übers Jahr hindurch ohne Probleme. Einzig die Kosten von Offshore-Wind sind noch immer ein Ärgernis – zumindest bis jetzt. Denn laut einer Marktanalyse der Unternehmensberatung Roland Berger, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt, hat die Offshore-Windindustrie einen Wendepunkt erreicht.

„Offshore-Windenergie wird wettbewerbsfähig und hat sich einen Platz im künftigen Mix der Energieträger gesichert“, schreiben die vier Autoren in ihrer 16-seitigen Einschätzung zur Lage der Meerwindbranche. Ausgangspunkt für den Optimismus der Roland-Berger-Experten ist der neue Offshore-Windpark „Borssele“ in den Niederlanden, den der dänische Energieversorger Dong errichten wird. Mit Gesamtkosten von 87 Euro pro erzeugte Megawattstunde Strom sei das Projekt ein Meilenstein, der beweist, dass die Branche ihre Kosten binnen sechs Jahren mehr als halbiert habe. Der Abstand zu den anderen Energieerzeugungsarten schwindet dadurch im Eiltempo.

„Das Borssele-Projekt zeigt deutlich, dass Offshore-Windenergie schon bald zum ernstzunehmenden Wettbewerber für alle anderen Stromerzeugungsmethoden wird“, erklärt Manfred Hader, der für Roland Berger von Hamburg aus Firmen aus dem Windenergiemarkt berät und beobachtet. Zum Vergleich: Bei fossilen Kraftwerken (Kohle, Gas, Atom) liegen die durchschnittlichen Kosten pro Megawattstunde derzeit zwischen 40 und 60 Euro, bei Windkraft an Land zwischen 40 und 70 Euro und bei Strom aus Photovoltaik zwischen 70 und 130 Euro. Hader sieht Borssele als „Wendepunkt hin zu einem starken Wachstum und einer internationalen Verbreitung der Offshore-Windenergie“.


„Vor fünf Jahren war die Industrie noch in der Steinzeit“

Bis jetzt ist Offshore-Windenergie zwar eine rein europäische Veranstaltung, aber das dürfte sich rasch ändern. In Asien prophezeit die Markforschungsfirma Make der Branche ein gigantisches Wachstum. Stehen heute in fernöstlichen Gewässern gerade einmal ein paar Dutzend Windmühlen mit einer Kapazität von etwa drei Gigawatt, werden es in zehn Jahren hunderte Windräder mit einer Kapazität von 46 Gigawatt sein. Die gesamte Offshore-Industrie soll laut Make bis 2025 im Schnitt um 16 Prozent pro Jahr wachsen. Hauptgrund für den beispiellosen Boom sind die enormen Kostensenkungspotenziale, die sich bei Offshore-Windenergie noch immer heben lassen.

„Vor fünf Jahren war die Industrie noch in der Steinzeit“, erklärt Roland-Berger-Fachmann Hader. Durch technische Innovationen, optimierte Prozesse, größere und leistungsstärkere Turbinen sowie mehr Wettbewerb unter den Zulieferern habe sich die Branche professionalisiert und konnte die Kosten enorm drücken. Dennoch mangle es vielen in der Industrie noch an Erfahrung.

„Offshore-Windparks sind ein extrem komplexes Gewerk. Derzeit werden häufig noch vier bis fünf Generalunternehmen engagiert, die den Bau abwickeln. Das hat seinen Preis“, erklärt Hader. Alleine durch die Reduktion auf einen Generalunternehmer würden sich künftig bei vielen Projekten noch erhebliche Kostenreduktionen erzielen lassen. Insgesamt werden die Kosten durch die Lernkurve der Unternehmen und zusätzliche Skaleneffekte aber ohnehin „deutlich sinken“, erwartet Hader.

Die europäische Offshore-Windkraftindustrie setzte 2015 etwa elf Milliarden Euro um. Alleine in Deutschland hat die Branche 20.000 Arbeitsplätze bei Herstellern, Zulieferern und Dienstleistern geschaffen. Roland Berger prophezeit der Industrie nun eine rosige Zukunft. Bis 2030 soll die europäische Meerwindbranche ihren Umsatz fast vervierfachen – auf Erlöse von 40 Milliarden Euro pro Jahr. Damit wäre die Offshore-Windbranche in etwa so groß wie die europäische Eisenbahnindustrie.  

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