EU-Kommission zu VW Brüssel zieht Konsequenzen aus Abgas-Skandal

Die EU-Kommission treibt eine Initiative zur besseren Überwachung der Typprüfung voran und will nationalen Behörden auf die Finger schauen. Ist das schon die europäische „Hyperaktivität“, die die Autobauer befürchten?

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die EU-Kommission will ein neues System zur Überwachung des Abgasausstoßes einführen. Quelle: AFP

Brüssel Nach den Unregelmäßigkeiten bei Volkswagen und Renault will die EU-Kommission offenbar ein neues System zur Überwachung des Abgasausstoßes etablieren. Das teilte die für Industrie und Binnenmarkt zuständige Kommissarin Elżbieta Bienkowska dem EU-Parlament in einem Antwortschreiben mit. „Diese Ankündigung ist positiv. Es war beschämend für die EU, dass wir auf die Mithilfe der USA angewiesen waren, um die Manipulationen bei VW festzustellen. Dies hat die Schwächen unseres EU-Systems gnadenlos offenbart", betonte der umweltpolitische Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament, der CDU-Abgeordnete Peter Liese.

Den Plänen der EU-Kommission zufolge soll die europäische Behörde den Mitgliedsstaaten bei ihrer Kontrollarbeit künftig auf die Finger schauen können. Bislang obliegt das den Mitgliedstaaten. Außerdem könnten sich die Mitgliedstaaten gegenseitig überwachen. Bei Feinstaubalarm in einer deutschen Großstadt könnten beispielsweise die deutschen Behörden kontrollieren, ob etwa in Frankreich oder Italien typgeprüfte Fahrzeuge tatsächlich die Grenzwerte einhielten, erläutert CDU-Politiker Liese die Initiative. Zudem wolle Brüssel die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Prüfunternehmen und Autoindustrie entflechten.

Nach dem Skandal um die Manipulation von Messwerten schädlicher Stickoxide bei Dieselfahrzeugen von Volkswagen war die Debatte um Abgastests in Europa neu entbrannt. Seit Jahren ist bekannt, dass der Ausstoß im Straßenverkehr deutlich höher ist als bei den Labortests.

Die Pläne der EU-Kommission sind auch eine Reaktion auf ein Votum des Umweltausschusses im EU-Parlament. Dieser hatte neue europaweite Vorgaben für verbesserte Abgastests unter Realbedingungen auf der Straße im Dezember als zu schwach zurückgewiesen. Eine für diese Woche geplante Abstimmung im Plenum des Parlaments über die „Real Driving Emissions“ (RDE) wurde kurzfristig auf Februar verschoben.

Im Herbst 2015 hatten sich die Experten des Technischen Ausschusses von EU-Kommission und Mitgliedstaaten auf neue Vorgaben für die Abgastests von Autos in der Gemeinschaft geeinigt. Demnach soll das Testverfahren die tatsächlichen Emissionen unter realen Fahrbedingungen auf der Straße berücksichtigen. Der Rahmen für die Grenzwerte fiel jedoch nicht so strikt aus wie von der EU-Kommission vorgeschlagen. Vor allem die Bundesregierung und deutsche Autohersteller hatten auf eine Abschwächung gedrängt.


Müller muss zum Rapport

Der derzeitige Grenzwert für Stickoxid-Emissionen liegt bei 80 Milligramm pro Kilometer. Für eine Übergangsphase von etwa zwei Jahren hatte die Kommission für den Test unter Realbedingungen Abweichungen in Höhe eines Faktors von 1,6 tolerieren wollen, das heißt 128 Milligramm. Tatsächlich haben sich die technischen Experten der Mitgliedstaaten aber auf einen Faktor von 2,1 für neue Fahrzeugmodelle ab 2017 und für die Zulassung von Neuwagen ab 2019 geeinigt – damit sind bis zu 168 Milligramm erlaubt. Ab 2020 beziehungsweise 2021 soll dann ein Faktor von 1,5 gelten. Diese Regeln sind nun unter Druck.

„Es darf es keine neuen Hintertüren oder Spielräume zur Abweichung geben", betonte Matthias Groote, umweltpolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament. Vielmehr sei sicherzustellen, dass neue Dieselfahrzeuge auf Europas Straßen endlich die vor fast zehn Jahren beschlossenen Euro-6-Grenzwerte erfüllten. „Der Ball liegt nun bei der EU-Kommission“, sagte Groote: Sie müsse ein handfestes Regelpaket für realistische Abgastests in Europa zu entwickeln.

CDU-Umweltpolitiker Liese warnt indes davor, die vorgeschlagenen RDS-Neuerungen in Bausch und Bogen zu verdammen, das brächte überhaupt keine Verbesserungen für die Umwelt. Ein Kompromiss müsse schnellstmöglich her. „Die Initiative der EU-Kommission für eine bessere Überwachung der Typprüfung ist da sehr hilfreich“, sagte Liese. Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht warnte vor zu strengen Regeln auf EU-Ebene als Konsequenz aus der Abgas-Affäre bei Volkswagen. „Wir versuchen, mit Brüssel in Kontakt zu bleiben, damit keine Hyperaktivität entsteht, die uns vor unlösbare Probleme stellt“, sagte Brecht.

Am Donnerstag wird VW-Konzernchef Matthias Müller in Brüssel erwartet, um Industriekommissarin Bienkowska über den Stand der internen Ermittlungen zur Affäre um manipulierte Abgaswerte bei Dieselfahrzeugen zu informieren. Die Behörde erwartet Aufschluss über die Beseitigung der Probleme und eine faire Entschädigung der Verbraucher, wie es heißt. Volkswagen hatte die Kommission mehrfach um mehr Zeit für die Aufklärung gebeten.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%