Evonik Klares Ziel: Nummer eins werden

Der künftige Chef Christian Kullmann will Evonik zum „besten Spezialchemiekonzern der Welt“ machen. Das neue Vorstandsteam soll diese nächste Entwicklungsstufe ab Juni zünden. Was steckt hinter der neuen Strategie?

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Der künftige Chef Christian Kullmann hat große Pläne für den Konzern. Quelle: Sepp Spiegl

Essen Klaus Engel konnte sich einen Seitenhieb auf die gerade beliebte Schelte von Managern und deren Gehältern nicht verkneifen. „Es heißt ja immer, die Wirtschaftselite verdiene zu viel und mache sich ein schönes Leben“, sagte der Chef des Chemiekonzerns Evonik bei der Bilanzvorlage in Essen. Dabei würden Verantwortung und Einsatz verkannt, die Chefs von globalen Unternehmen für die Belegschaft und deren Zukunftsperspektive zeigten. „Die gibt man schließlich nicht am Abend oder am Wochenende an der Garderobe ab“, sagte Engel.

Die Entbehrungen, die der Job eines Vorstandsvorsitzenden mit sich bringt, muss der Evonik-Chef nicht mehr lange tragen. Nach der Hauptversammlung am 23. Mai wird er den Chefposten an seinen Stellvertreter Christian Kullmann abgeben. Am Donnerstag präsentierte er zum letzten Mal die Bilanz von Evonik. Er wolle den Weg für eine frühzeitige Nachfolge freimachen, sagte Engel, dessen Vertrag eigentlich noch bis 2018 läuft.

„Es war keine leichte Entscheidung für mich“, sagte der 60-jährige Engel, konkretisierte aber die Beweggründe für seinen Rückzug nicht weiter. Seit acht Jahren steht er an der Evonik-Spitze, hat den ursprünglichen Mischkonzern auf Chemie fokussiert und 2013 an die Börse gebracht. Mitte 2016 gelang ihm der lang erwartete größere Zukauf mit dem Spezialchemiegeschäft von Air Products für 3,8 Milliarden Dollar.

Die Feier zum zehnjährigen Geburtstag des Evonik-Konzerns im September wird Kullmann als Chef gestalten. Der künftige Vorstandsvorsitzende hielt sich mit Ankündigungen und Kommentaren am Donnerstag in Essen bewusst zurück. „Erwarten Sie nicht, dass ich im Juni die Weltrevolution ausrufen werde“, sagte der 47-Jährige. Aber er hat ein klares Ziel: „Wir wollen aus Evonik den besten Spezialchemiekonzern der Welt machen.“ Kullmann strebt einen „evolutionären Prozess an, der die Überschrift Wachstum und Balance tragen wird“.

Absehbar ist, dass der künftige Vorstandschef die internationale Ausrichtung und Verstärkung von Evonik weiter forcieren wird – also beispielsweise durch mehr lokale Produktion in den Wachstumsregionen. Evonik soll stärker als Weltunternehmen verankert werden. Das gilt nicht nur operativ, sondern auch fürs Image und in Fragen der Arbeitgeberattraktivität. Dazu soll auch eine neue Firmenkultur gehören, die die Organisation und die Entscheidungswege beschleunigen soll, wie es in Firmenkreisen heißt. Diese nächste Entwicklungsstufe von Evonik soll schnellstmöglich von einem neuen Vorstandsteam umgesetzt werden. Das sei der Grund für den vorgezogenen Wechsel an der Spitze, heißt es in den Kreisen weiter. Engel hatte keine neue Amtszeit angestrebt. Für die höheren internationalen Ambitionen spricht auch die Verpflichtung des langjährigen BASF-Vorstandsmitglieds Harald Schwager. Er wird Stellvertreter von Kullmann und ist ab September zuständig für Chemie und Innovation.

Das neue Führungsduo wird auch die Suche nach weiteren Zukäufen vorantreiben. Kullmann wollte dazu am Mittwoch nichts sagen. Er steht aber für einen expansiveren Kurs von Evonik und hat zuletzt schon die beiden Übernahmen des Spezialchemiegeschäfts von Air Products und der Silicasparte von JM Huber  in den USA maßgeblich gestaltet. Luft dazu hätte Evonik: Die Nettofinanzschulden sind trotz der Übernahmen 2016 kaum gestiegen, der Cashflow blieb trotz leichtem Rückgang auf hohem Niveau.

Klar ist: Ohne weitere Zukäufe würde Evonik die im Jahr 2013 ausgegebenen Wachstumsziele nicht erreichen. Danach sollen der Umsatz im Jahr 2018 auf 18 Milliarden Euro und der bereinigte Betriebsgewinn auf drei Milliarden steigen. 2016 sank der Umsatz infolge von Preisrückgängen auf 12,6 Milliarden Euro, der Gewinn ging auf 2,16 Milliarden Euro zurück. Evonik traf damit die Erwartungen der Analysten.


Vorstand plant „keine Harakiri-Aktionen“

Engel wollte am Donnerstag diese Ziele von 2013 noch nicht ganz aufgeben. „Aber es ist unwahrscheinlich, dass wir sie allein mit internem Wachstum erreichen werden - selbst wenn 2017 ein tolles Jahr wird“, sagte der scheidende Konzernchef. Er sei sich aber sicher, dass der neue Vorstand „keine Harakiri-Aktionen“ bei Übernahmen machen werde. Dass Evonik in komplett neue Chemiesegmente einsteigen wird, könne er sich nicht vorstellen.

Mit den jüngsten Zukäufen soll vor allem die Abhängigkeit von dem Geschäft mit Tierfutterzusätzen verringert werden. Evonik ist weltweit führend bei der Herstellung von Aminosäuren wie Methionin, diese Nahrungsergänzungsmittel für Nutztiere verbessern deren Proteinhaushalt.  Der Erfolg des Methionins beeinflusst den Gewinn von Evonik ganz besonders: 2015 ging der Preis durch die Decke und bescherte den Essenern ein Rekordjahr. Doch die hohe Nachfrage lockte viele Konkurrenten auf den Markt. Folge: Die Preise sanken kräftig.

Das war einer der wesentlichen Gründe für den Gewinnrückgang von zwölf  Prozent im vergangenen Jahr. Und auch im laufenden Geschäftsjahr häng viel von dem Futtermittelzusatz ab: Evonik sieht Anzeichen dafür, dass der Preisverfall gestoppt ist, ein Anstieg ist aber nicht in Sicht. Für das Konzernsegment Nutrition & Care wird daher ein weiterer Rückgang beim Gewinn prognostiziert. Die anderen beiden Segmente sollen 2017 zulegen.

Dabei profitiert Evonik bereits deutlich von der Übernahme der Spezialchemie von Air Products. Diese neuen Additiv-Geschäfte könnten 2017 einen Ergebnisbeitrag bis zu 250 Millionen Euro liefern. Damit wären sie hauptverantwortlich für die Gewinnsteigerung, die Evonik insgesamt anstrebt: Das bereinigte operative Ergebnis soll 2017 zwischen 2,2 und 2,4 Milliarden Euro erreichen.

Analysten erwarten ein gutes Jahr bei Evonik: Gunter Zechmann von Bernstein Research geht davon aus, dass Evonik 2017 von einer starken Nachfrage profitieren wird. Er hält die Aktie für derzeit günstig bewertet. Sie notierte am Nachmittag fast unverändert bei 30,90 Euro.

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