Hat er? Hat er nicht? Bei ThyssenKrupp war der Jurist Thomas Kremer Chef aller Rechtsangelegenheiten. Von Rechtshändeln, Gutachten und juristischen Persilscheinen gab es beim Essener Revierkonzern eine ganze Menge. Beispiele gibt es genügend: Der Aufsichtsrat soll seine Pflichten verletzt haben, als er zwei Stahlwerke in Übersee genehmigte, deren Kosten unkontrolliert ins Astronomische hochschnellten. Der Vorstandsvorsitzende soll den Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Cromme nicht immer sachgerecht informiert haben.
Gutachten über Gutachten wurden von ThyssenKrupp zur Entlastung von Cromme bei renommierten Rechtsanwaltskanzleien in Auftrag gegeben. Thomas Kremer hatte mehr zu tun als normale Dax-Chefjustitiare. Und dann kam noch das Schienenkartell hinzu, der Club der „Schienenfreunde“, an dem ThyssenKrupp beteiligt war. Kremer soll Hinweise, so wabert es gerüchteweise durch das Revier, auf das Kartell im Konzern übersehen haben.
Eigentlich war Kremer fein heraus. 2012 wechselte er als Vorstand zur Telekom. Telekom-Aufsichtsratschef Ulrich Lehner warb Kremer von Essen nach Bonn ab. Zuvor war Kremer bei ThyssenKrupp karrieremäßig übergangen worden. Der Starjurist, solide und vertrauenserweckend im Auftritt, hatte die vielen externen und internen Rechtshändel der Spitzengremien unter Gerhard Cromme und dem damaligen ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz juristisch elegant über die Bühne gebracht, und viele Konzernmanager bei ThyssenKrupp sahen ihn schon als Compliance-Vorstand im Konzern.
Doch dann wurde er offenbar übergangen, der Pressechef Jürgen Claassen wurde Compliance-Chef. Claassen ist kein Jurist und so wunderten sich viele, warum ausgerechnet der Kommunikationsmeister, die Stimme Crommes und das Ohr des verstorbenen Berthold Beitz die Vorstandsposition einnahm, die normalerweise für Rechtskundige reserviert ist. Doch Kremer bekam das Vorstandsangebot woanders. Es kam von der Telekom.
Anfragen von der WirtschaftsWoche beschied Kremer stets negativ. Die Vergangenheit bei ThyssenKrupp interessierte Kremer nach Berichten seines Umfeldes nicht mehr. Innerhalb des Konzerns ThyssenKrupp heißt es noch heute, Kremer fühlte sich von Cromme nicht gerade fair behandelt. Einen Kommentar dazu hat Kremer bisher nicht abgegeben.
Was wusste Cromme eigentlich?
Eigentlich alles Vergangenheit. Doch nun passiert das, was ein Compliance-Chef natürlich erwartet. Denjenigen Topmanager, die damals Vorgesetzte der Kartellanten waren, wurden und werden von der Staatsanwaltschaft vernommen. Und was machen diese Manager? Sie berichten von Warnungen, die sie an den Chefjuristen gerichtet haben. Das ist zumindest für Vorstände eine billige Ausrede. Denn der Chefjurist, sofern er nicht als Vorstandsmitglied rangiert, ist weisungsgebunden und ein Hinweis aus dem Vorstand wäre für ihn wie eine interne Anzeige behandelt worden.
Schwer vorstellbar, dass Chefjustitiare solches Wissen für sich behalten. Noch schwerer vorstellbar, dass Vorstände nicht nachhaken, wenn sie von ihrem Justitiar lange nichts mehr in der Sache gehört haben. Ganz und gar nicht vorstellbar aber ist, dass ein Vorstand, der den Verdacht eines Schienenkartells hegt, lediglich den Chefjustitiar von seinen brisanten Informationen erzählt und damit seinen Verdacht ad acta legt.
Solches Wissen geben in Dax-Konzernen betroffene Vorstände grundsätzlich an den Vorstandschef weiter. Kremer scheint eine Art Sündenbock zu sein. Solche Leute werden von denen gesucht, die den Staatsanwälten Rede und Antwort stehen müssen. Das wissen Compliance-Vorstände und Chefjuristen in der Regel aus alltäglicher Erfahrung. Oder der Hinweis auf Kremer dient als Ablenkungsmanöver für jemanden, der sich mit Gerhard Cromme nicht anlegen will. Denn was wusste Cromme in der Kartellangelegenheit eigentlich?