Studie zur Luftfahrt Exklusive Karte beweist: Deutschland hebt einfach nicht ab

Warten auf den Neustart: Flugzeuge der Lufthansa am Flughafen Berlin Brandenburg Quelle: dpa

Nach dem Start der Coronaimpfungen bereitet sich die Luftfahrtindustrie weltweit auf neues Wachstum vor und reaktiviert eingemottete Flugzeuge. Doch eine exklusive Studie zeigt: Deutschland hinkt hinterher. Wo noch viele Flieger stehen.

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Alexandre de Juniac hat zum Ende seiner Zeit als Chef der Weltluftfahrtorganisation IATA noch eine halbwegs gute Nachricht. „Nach dem größten Krisenjahr der Branche seit dem Zweiten Weltkrieg beginnt endlich eine, wenn auch länger dauernde Erholung“, bejubelte frühere Chef von Air France-KLM die weltweit wieder steigenden Verkehrszahlen.

Zwar lagen im Dezember wichtige Kenngrößen der Branche wie Passagierzahlen oder die Zahl der angebotenen Flugsitze noch um mehr als 40 Prozent unter den Vorjahreswerten. Doch bis zum Jahresende erwarten Analysten wie Andrew Lobbenberg von der Investmentbank HSBC wieder rund drei Viertel des Vorkrisenverkehrs.

Eine wichtige Größe ist bereits deutlich besser: Weltweit sind laut einer Studie des Schweizer Datendienstleisters CH-Aviation rund 80 Prozent der vor der Krise aktiven Maschinen wieder in der Luft. „Das ist eine gute Dosis Optimismus“, so Studien-Autorin Marija Verovic. Doch die CH-Zahlen offenbaren auch: Dieser Teil des Aufschwungs geht weitgehend an Europa und vor allem an Deutschland vorbei. Eine Übersicht über die wichtigsten deutschen Flughäfen zeigt: Vor allem die Lufthansa-Gruppe hat einen überdurchschnittlichen Teil ihrer Flotte noch geparkt.

Mit dem Plus, das erstmals im Osterreiseverkehr sichtbar sein dürfte, endet der wohl längste Abschwung der Branche. Der war nirgendwo so sichtbar wie auf den großen Flugzeugparkplätzen der Welt. Als das Coronavirus im Januar 2020 noch weitgehend auf China begrenzt war, hatten die Fluglinien rund elf Prozent ihrer weltweit gut 28.000 Maschinen am Boden. Als immer mehr Länder vor allem Auslandsreisen praktisch verboten, waren zum Tiefpunkt im Mai mehr als 60 Prozent der Jets eingemottet.

Viele Airlines parkten zwar in der Hoffnung auf eine rasch anspringende Sommersaison 2020 ihre bis zu 300 Millionen Euro teuren Maschinen zunächst vor allem an großen Flughäfen in Europa oder Nordamerika. Doch jede Woche zogen mehr von ihnen um – auf die in der Branche Boneyards genannten Stellplätzen wie Roswell in New Mexico, Victorville in Kalifornien oder Teruel in Spanien. Dort ist das Parken nicht nur bis zu gut 90 Prozent billiger. Das trockene Klima verhindert Korrosion an der Mechanik. Die ansässigen Spezialfirmen können nicht mehr benötigtes Gerät auch zerlegen und recyclen.

Besonders hoch ist die Zahl der abgestellten und der verschrotteten Jets auch in Moskau, wo an den sieben Airports der russischen Metropole fast 180 Jets stehen und 230 verschrottet wurden. An den Mehrabad und Imam Khomeini genannten Airports der iranischen Hauptstadt Teheran ruhen 230 der 370 Jets des Landes. Die Vereinigten Arabischen Emirate verteilen die 213 pausierenden ihrer 560 Jets zwischen dem neuen World Central Airport in Dubai und weniger gefragten Landeplätzen, etwa im benachbarten Schardscha.



Auch wenn der Flugverkehr während der Lockdowns in der zweiten Coronawelle wieder sank, stieg dennoch der Anteil der aktiven Flugzeuge. Nach dem ersten Hoch von 60 Prozent im vergangenen August liegt er nun mit dem Start der ersten Corona-Schutzimpfungen bei 75 Prozent. Das ist ein deutlich stärkeres Plus als bei den Passagierzahlen.

Dass die Jets früher zurückkommen als die Passagiere, hat unter anderem steuerliche Gründe. Zudem müssen die oft von Leasingunternehmen gemieteten Maschinen laut den Leihverträgen aktiv gehalten oder regelmäßig gewartet werden. Viele Airlines wollen aber schlicht auf das erwartete Anziehen der Nachfrage vorbereitet sein.

Abhängig von der Nachfrage ist der Anteil der wiederbelebten Jets je nach Region der Welt sehr unterschiedlich. In Nordamerika und Asien befördern bereits wieder fast 90 Prozent der vor einem Jahr aktiven Maschinen Passagiere. Den höchsten Wert hat dabei Japan, wo mit 94 Prozent der Flotten fast alle Jets wieder aktiv sind. In China sind es 93 Prozent. Hier ist derzeit die Zahl der Corona-Infektionen gering. Dazu sind – wie in anderen Staaten mit großen Flächen oder vielen Inseln – einige Landesteile nur per Inlandsflug gut erreichbar.

Am Schluss der Aktiv-Liste liegt Europa. Nur zwei von drei Maschinen sind wieder im Dienst. Kein Wunder: Fast alle Grenzen sind de facto zu. Und Privatleute im Land reisen vor allem per Auto oder Zug. Das trifft besonders auf Deutschland zu. Hier sind auch derzeit nur gut 40 Prozent der Flieger aktiv. Das Flugangebot liegt gar bei nur 18 Prozent des Vorjahreswerts. In den Niederlanden sind beide Werte doppelt so hoch.

Der Grund hierfür ist, dass die drei verbliebenen deutschen Fluglinien – Lufthansa mit ihrer Billigtochter Eurowings, Condor und German Airways – besonders viele Flieger am Boden halten. „Wir machen nur Flüge, die zumindest ihre Betriebskosten decken“, so Lufthansa-Chef Carsten Spohr, „das sieht mancher Wettbewerber anders.“ So hat laut CH-Aviation die Kernmarke Lufthansa 104 aktive Flieger und 167 geparkte. KLM aus den Niederlanden hingegen hat von ihren 161 Fluggeräten nur zwölf nicht in der Luft.

Auch wenn die Lufthansa einen Großteil der Flotte ruhen lässt, will sie offenbar flexibel bleiben und schnell reagieren können. Das zeigt ein Blick auf die an den deutschen Flughäfen abgestellten Maschinen. Mit Ausnahme großer und älterer Langstreckenjets wie dem Superjumbo A380 oder dem Airbus A340 hat die Linie ihre Jets in meist relativ kleinen Stückzahlen auf rund zwei Dutzend Flugplätzen innerhalb Deutschlands verteilt. Dort können sie schneller wieder reaktiviert werden als auf reinen Ruhe-Airports wie Lourdes. Anders als auf den größeren Stellplätzen hat sie zudem bislang nur sehr wenige in der Heimat abgestellte Maschinen verschrottet.

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