Nur wenige Alzheimer-Medikamente haben es bislang auf den Markt geschafft. Das Präparat Axura gegen mittlere bis schwere Demenz gehörte dazu. In guten Zeiten brachte das Mittel seinem Hersteller, dem Frankfurter Pharmaunternehmen Merz, rund 500 Millionen Euro pro Jahr ein. Hinter Bayer, Boehringer, Merck und Grünenthal ist das hessische Familienunternehmen Deutschlands fünftgrößter Pharmakonzern.
Doch die weitere Entwicklung von Alzheimer-Medikamenten ist schwierig; längst haben die Forscher noch nicht alle Grundlagen verstanden. Bei Axura, zugelassen seit 2003, liefen nun die Patente aus, die Erträge sanken, ein Nachfolgepräparat war auch nicht in Sicht. Kurzum: Die Perspektiven erschienen den Merz-Managern zunehmend aussichtslos.
Die zehn größten Akquisitionen in der Pharmabranche seit April 2014
Ursprungsland: Schweiz
Wert: 7,8 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Intermune
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: USA
Wert: 8,3 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Cubist Pharmaceuticals
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: Kanada
Wert: 11,6 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Salix
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: Deutschland
Wert: 14,2 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Merck & Co OTC
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: Schweiz
Wert: 14,5 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: GSK Onkologie
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: USA
Wert: 16,5 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Hospira
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: USA
Wert: 19,8 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Pharmacyclics
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: USA
Wert: 20,8 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Forest
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: USA
Wert: 28,9 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Perrigo
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: USA
Wert: 65,0 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Allergan
Quelle: Unternehmensangaben
Der neue Vorstandschef Philip Burchard, der vom britischen Pharmariesen AstraZeneca kam, leitete 2011 einen radikalen Strategiewechsel ein und setzte auf den Trend zur ästhetischen Medizin.
„Mit der Omnipräsenz digitaler Medien“, argumentiert Burchard „nimmt die Bedeutung von Bildern zu.“ Es gebe auch immer mehr Berufe mit repräsentativen Aspekten, so dass sich die Menschen stärker um ihr Äußeres kümmerten.
Schönheitsbehandlungen erfreuen sich in Deutschland, auch bei Männern, immer größerer Beliebtheit; im vergangenen Jahr waren die plastischen Chirurgen bei ungefähr 300 000 Schönheits-Operationen im Einsatz. Aus Sicht von Pharmakonzernen bietet die Ästhetik gleich mehrere Vorteile: Die Entwicklungs- und Zulassungsprozesse sind einfacher als bei Medikamenten; die Patienten zahlen die Behandlungen aus eigener Tasche.
Faltenfüller machen die Kasse voll
Bei Merz, bekannt vor allem für seine „Merz Spezial Dragees“ („Natürliche Schönheit kommt von innen“) macht das Geschäft mit Faltenfüllern inzwischen bereits etwa 40 Prozent des Gesamtumsatzes von rund einer Milliarden Euro aus. Merz-Mitarbeiter können sich jetzt kostenlos das Gesicht glätten lassen. Auch Burchard und die meisten seiner Vorstandskollegen haben schon kosmetische Veränderungen vornehmen lassen.
Gesichtskorrekturen
Je älter, desto mehr hängen die Wangen. Es droht das Gegenteil süßer Pausbäckchen, wie man sie aus dem Kindchenschema kennt. Wer abnimmt, verstärkt den Effekt. Die Lücken können „aufgepolstert“ werden mit Hyaluronsäure.
Böse gucken - Frontsänger von Heavymetalbands und Väter tun das häufig. Von oben nach unten zieht das Furchen. Mildere Mimik verschafft Botox. Doch Vorsicht: Chefs brauchen den bösen Gesichtsausdruck bei Verhandlungen.
Wer lacht, zieht Falten. Wer grummelt auch. Das hinterlässt Spuren. Die quer laufenden Falten kann Botox lindern. Risiko: maskenhafte Mimik.
Tränensäcke unten, Schlupflider oben - die Jugend ist um die Augen entwichen. Eine OP hilft, die Haut entfernt und Fett hinterm Auge verringert.
Am Kinn hängt das welke Fleisch. Erblich bedingt. Ein Schnitt, und das Fleisch ist weg. Was bleibt, ist eine Z-artige Narbe, wie sie Harry Potter auf der Stirn hat. Die Alternative dazu ist eine Straffung, die an den Ohren die Haut zusammenzieht. Problem: Die Narben sind sichtbar, Haare können wachsen, wo sie nicht wachsen sollen.
Der wirtschaftliche Erfolg des Strategiewechsels steht freilich noch aus. Unternehmenschef Philip Burchard spricht von einer „Transitionsphase“. Umsatz und Gewinn machten im gerade abgelaufenen Geschäftsjahr 2014/15 (30. Juni) keine großen Sprünge.
Immerhin: Beim Jahresumsatz liegt Merz erstmals oberhalb der Milliarde, verrät Burchard schon mal vorab. Der Gewinn nach Steuern blieb aber nur auf dem Vorjahresniveau von 163 Millionen Euro, so Burchard. Weitere Zahlen will das Unternehmen erst im September veröffentlichen.
Millioneninvestitionen für straffe Haut
Der ausbleibende Gewinnschub liegt vor allem darin begründet, das Merz reichlich in sein neues Geschäftsfeld investiert hat. Rund eine Milliarde Dollar hat Merz in den vergangenen Jahren für entsprechende Zukäufe ausgegeben – dazu zählen die Schweizer Unternehmen Neocutis (Hautpflege) und Anteis (Spritzen) sowie das US-Unternehmen Ulthera. Die Amerikaner stellen medizinische Geräte her, die Ultraschallwellen unter die Haut schicken. Dabei entstehen kleine Hitzepunkte – die Haut wird so angeregt, sich zu erneuern.
Allein Ulthera hat 600 Millionen Dollar gekostet. Das Geschäft wachse, sagt Burchard. Nachteilig ist allerdings, wie ein Schönheitsmediziner erzählt, dass die Ultraschallbehandlungen zwei Sitzungen im Abstand von drei Monaten braucht: „Meine Kundinnen wollen aber zügig Ergebnisse sehen.“ Viele greifen dann lieber doch zur Botox-Spritze.
Für weitere Akquisitionen, deutete Burchard an, könnte Merz noch einige hundert Millionen Euro investieren. In vier, fünf Jahren könnten dann auch eigene Entwicklungen auf den Markt kommen.
Preis der Schönheit: Diese Eingriffe sind bei Männern beliebt
Preis: ab 2100 Euro
Zeitraum, nach dem der Patient wieder gesellschaftsfähig ist : sofort
Quelle: Medical One
Preis: 3000 bis 6000 Euro
Zeitraum, nach dem der Patient wieder gesellschaftsfähig ist: nach 10 bis 14 Tagen
Preis: ab 3500 Euro
Zeitraum, nach dem der Patient wieder gesellschaftsfähig ist: nach etwa 14 Tagen
Preis: ab 2500 Euro
Zeitraum, nach dem der Patient wieder gesellschaftsfähig ist: nach zwei Tagen
Preis: ab 2500 Euro
Zeitraum, nach dem der Patient wieder gesellschaftsfähig ist: nach etwa 14 Tagen
Merz hat es in den vergangenen Jahren geschafft, sich zur globalen Nummer drei im Ästhetikgeschäft zu entwickeln – hinter Botoxhersteller Allergan (USA) sowie der Schweizer Galderma, die zu Nestlé gehört. Allergan mit einem Umsatz von mehr als sieben Milliarden Dollar liegt dabei allerdings weit vorne. Erst kürzlich hat das US-Unternehmen angekündigt, für 2,1 Milliarden Dollar den Konkurrenten Kythera, der sich auf Fettabsaugung spezialisiert hat, zu kaufen.
Der Strategiewechsel führt auch dazu, dass Burchard künftig stärker auf die betuchte Kundschaft in den Schönheitsmärkten in Nord- und Lateinamerika und der Region Asien/Pazifik setzt. Der Umsatzanteil Deutschlands, der derzeit ohnehin nur noch bei 15 Prozent liegt, wird demnach weiter zurückgehen. Das schürt Ängste unter den etwa 1000 Mitarbeitern in Deutschland - in der Frankfurter Zentrale oder an den Produktionsstandorten bei Darmstadt sowie in Dessau.
In Reinheim bei Darmstadt stellt Merz etwa den Badezusatz Tetesept her, der laut Burchard „nicht Teil der globalen Strategie“ ist; im Odenwald fertigt Merz sogar noch Kugelschreiber der Marke „Senator“ . Erst Ende vergangenen Jahres hatte Merz in Deutschland kurz vor Weihnachten rund fünfzig Kündigungen ausgesprochen.
Und völlig beruhigend klingt es denn auch nicht, wenn sich der Merz-Chef nur mit Einschränkung zum Stammsitz bekennt: „Die Zentrale bleibt bis auf Weiteres in Frankfurt.“