Faltenmittel statt Alzheimer-Medikament Wie sich Merz zum Schönheitskonzern wandelt

Statt das Leid dementer Patienten zu lindern, verhilft Merz jetzt wohlhabenden Menschen zu einem besseren Aussehen. Faltenfüller statt Alzheimer-Präparat: Ein Strategiewechsel dessen Erfolg noch aussteht.

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Das Geschäft mit der Ästhetik: Bei Merz macht das Geschäft mit Faltenfüllern inzwischen etwa 40 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Quelle: Getty Images

Nur wenige Alzheimer-Medikamente haben es bislang auf den Markt geschafft. Das Präparat Axura gegen mittlere bis schwere Demenz gehörte dazu. In guten Zeiten brachte das Mittel seinem Hersteller, dem Frankfurter Pharmaunternehmen Merz, rund 500 Millionen Euro pro Jahr ein. Hinter Bayer, Boehringer, Merck und Grünenthal ist das hessische Familienunternehmen Deutschlands fünftgrößter Pharmakonzern.

Doch die weitere Entwicklung von Alzheimer-Medikamenten ist schwierig; längst haben die Forscher noch nicht alle Grundlagen verstanden. Bei Axura, zugelassen seit 2003, liefen nun die Patente aus, die Erträge sanken, ein Nachfolgepräparat war auch nicht in Sicht. Kurzum: Die Perspektiven erschienen den Merz-Managern zunehmend aussichtslos.

Die zehn größten Akquisitionen in der Pharmabranche seit April 2014

Der neue Vorstandschef Philip Burchard, der vom britischen Pharmariesen AstraZeneca kam, leitete 2011 einen radikalen Strategiewechsel ein und setzte auf den Trend zur ästhetischen Medizin.

„Mit der Omnipräsenz digitaler Medien“, argumentiert Burchard „nimmt die Bedeutung von Bildern zu.“ Es gebe auch immer mehr Berufe mit repräsentativen Aspekten, so dass sich die Menschen stärker um ihr Äußeres kümmerten.

Schönheitsbehandlungen erfreuen sich in Deutschland, auch bei Männern, immer größerer Beliebtheit; im vergangenen Jahr waren die plastischen Chirurgen bei ungefähr 300 000 Schönheits-Operationen im Einsatz. Aus Sicht von Pharmakonzernen bietet die Ästhetik gleich mehrere Vorteile: Die Entwicklungs- und Zulassungsprozesse sind einfacher als bei Medikamenten; die Patienten zahlen die Behandlungen aus eigener Tasche.

Faltenfüller machen die Kasse voll

Bei Merz, bekannt vor allem für seine „Merz Spezial Dragees“ („Natürliche Schönheit kommt von innen“) macht das Geschäft mit Faltenfüllern inzwischen bereits etwa 40 Prozent des Gesamtumsatzes von rund einer Milliarden Euro aus. Merz-Mitarbeiter können sich jetzt kostenlos das Gesicht glätten lassen. Auch Burchard und die meisten seiner Vorstandskollegen haben schon kosmetische Veränderungen vornehmen lassen.

Gesichtskorrekturen

Der wirtschaftliche Erfolg des Strategiewechsels steht freilich noch aus. Unternehmenschef Philip Burchard spricht von einer „Transitionsphase“. Umsatz und Gewinn machten im gerade abgelaufenen Geschäftsjahr 2014/15 (30. Juni)  keine großen Sprünge.

Immerhin: Beim Jahresumsatz liegt Merz erstmals oberhalb der Milliarde, verrät Burchard schon mal vorab. Der Gewinn nach Steuern blieb  aber nur auf dem Vorjahresniveau von 163 Millionen Euro, so Burchard. Weitere Zahlen will das Unternehmen erst im September veröffentlichen.

Millioneninvestitionen für straffe Haut

Der ausbleibende Gewinnschub liegt vor allem darin begründet, das Merz reichlich in sein neues Geschäftsfeld investiert hat. Rund eine Milliarde Dollar hat Merz in den vergangenen Jahren für entsprechende Zukäufe ausgegeben – dazu zählen die Schweizer Unternehmen Neocutis (Hautpflege) und Anteis (Spritzen) sowie das US-Unternehmen Ulthera. Die Amerikaner stellen medizinische Geräte her, die Ultraschallwellen unter die Haut schicken. Dabei entstehen kleine Hitzepunkte – die Haut wird so angeregt, sich zu erneuern.

Allein Ulthera hat 600 Millionen Dollar gekostet. Das Geschäft wachse, sagt Burchard. Nachteilig ist allerdings, wie ein Schönheitsmediziner erzählt, dass die Ultraschallbehandlungen zwei Sitzungen im Abstand von drei Monaten braucht: „Meine Kundinnen wollen aber zügig Ergebnisse sehen.“ Viele greifen dann lieber doch zur Botox-Spritze.  

Für weitere Akquisitionen, deutete Burchard an, könnte Merz noch einige hundert Millionen Euro investieren. In vier, fünf Jahren könnten dann auch eigene Entwicklungen auf den Markt kommen.    

Preis der Schönheit: Diese Eingriffe sind bei Männern beliebt

Merz hat es in den vergangenen Jahren geschafft, sich  zur globalen Nummer drei im Ästhetikgeschäft zu entwickeln  – hinter Botoxhersteller Allergan (USA) sowie der Schweizer Galderma, die zu Nestlé gehört. Allergan mit einem Umsatz von mehr als sieben Milliarden Dollar liegt dabei allerdings weit vorne. Erst kürzlich hat das US-Unternehmen angekündigt, für 2,1 Milliarden Dollar den Konkurrenten Kythera, der sich auf Fettabsaugung spezialisiert hat, zu kaufen.

Der Strategiewechsel führt auch dazu, dass  Burchard künftig stärker auf die betuchte Kundschaft in den  Schönheitsmärkten in Nord- und Lateinamerika und der Region Asien/Pazifik setzt.  Der Umsatzanteil Deutschlands, der derzeit ohnehin nur noch bei 15 Prozent liegt, wird demnach weiter zurückgehen.  Das schürt Ängste unter den etwa 1000 Mitarbeitern in Deutschland -  in der Frankfurter Zentrale oder an den Produktionsstandorten bei Darmstadt sowie in Dessau.

In Reinheim bei Darmstadt stellt Merz etwa den Badezusatz Tetesept her, der laut Burchard „nicht Teil der globalen Strategie“  ist; im Odenwald fertigt Merz sogar noch Kugelschreiber der Marke „Senator“ . Erst Ende vergangenen Jahres hatte Merz in Deutschland kurz vor Weihnachten  rund fünfzig Kündigungen ausgesprochen.

Und völlig beruhigend klingt es denn auch nicht, wenn sich der Merz-Chef nur mit Einschränkung zum Stammsitz bekennt: „Die Zentrale bleibt bis auf Weiteres in Frankfurt.“

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