Das älteste Unternehmen Deutschlands ist Krupp beileibe nicht. Allerdings liest sich die Firmengeschichte doch ziemlich altvordern. Am 20. November 1811 gründete Alfred Krupp mit dem ererbten Geld seiner Großmutter eine Schmiede in Essen. Am kommenden Sonntag, es ist im Jubiläumsjahr ausgerechnet der Totensonntag, begeht der ThyssenKrupp-Vorstand nun seinen Firmengeburtstag, gemäßigt pompös und trotzdem mit politischer Begleitmusik.
Bundespräsident Christian Wulff hat sein Kommen angesagt. Wenn er erscheint, wäre dies eine Art Versöhnung zwischen dem deutschesten aller deutschen Unternehmen und dem Staatsoberhaupt. Denn als der Konzern vor einigen Monaten in Brasilien sein neues Stahlwerk eröffnete, da fehlte Wulff, weil die Kommunikation zwischen dem Bundespräsidialamt und dem Konzernvorstand versagt hatte. Am Tag vor dem damaligen Besuchstermin gab ThyssenKrupp in Essen eine Pressemitteilung heraus, in der die Verkaufsabsichten ganzer Konzernteile angekündigt wurde, einhergehend zwar nicht mit dem Verlust, aber mit der Verabschiedung tausender von Arbeitsplätzen in Beteiligungen, für die neue Eigentümer gesucht werden. Wulff war nicht richtig informiert und wollte nicht das präsidiale Deckmäntelchen für einen derartigen Ausverkauf abgeben.
Auch Schattenseiten zum Jubiläum
Am Geburtstag ist zwar noch keines dieser Verkaufsabsichten realisiert, über dem Konzern schwebt aber eine Ausverkaufsmentalität, die fast schon an Zerschlagungsphantasien erinnert. Auch das traditionsreiche Edelstahlgeschäft, 1912 von Krupp erfunden („Nirosta“), soll nach dem Willen von Vorstandschef Heinrich Hiesinger und Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Cromme vom Konzern abgetrennt werden. Nichtrostenden Stahl und Titan will ThyssenKrupp in Zukunft nicht mehr schmelzen - und verabschiedet sich damit von einem Geschäft, das hundert Jahre zum Kern des Konzerns gehört hat.
Das Jubiläum hat also auch Schattenseiten. Spektakulär ist aber eine Fotoausstellung, eine Dokumentation der Krupp-Werke und ihrer Arbeiter, die in Deutschland einzigartig ist. Ansonsten ist das Geburtstagfest auf der Villa Hügel, dem früheren Wohnhaus der Krupps, eher ein Langweiler. Das älteste Unternehmen Deutschlands? Das ist die Freisinger Brauerei Weihenstephan, die 971 Jahre alt ist. Die Hamburger Feuerkasse bestand schon 140 Jahre, als Alfred Krupp seine Schmiede eröffnete. Selbst als Stahlunternehmen wird Krupp noch von einem anderen Verarbeitern übertroffen. Bereits in diesem Frühsommer, am 24. Juni, wurde der 200. Geburtstag der Friedrichs-Wilhelms-Hütte in Mülheim gefeiert, inklusive Auftritt des Betriebschors. Das Unternehmen gehört seit zehn Jahren zum Stahlreich des RWE-Chefs Jürgen Großmann, der ThyssenKrupp gern spüren lässt, dass es auch bei der Tradition im Ruhrgebiet noch Steigerungsmöglichkeiten gibt. Krupp kam nach der Großmann-Hütte, wenn auch nur wenige Monate. Großmann zelebrierte sein Jubiläum als großes Familienfest, nicht nur mit Kunden und Politikern, sondern mit Kindern und Angehörigen der Beschäftigten.
Konzern in Zeiten des Umbruchs
Anders bei ThyssenKrupp. Dort wird Familiäres kaum eine Rolle spielen. Die sonntägliche Einladung an die wichtigsten Kunden und Lieferanten der Krupp-Stahlwerke findet ohne Ehefrauen statt. Die müssen am Sonntag zuhause bleiben, weil sie schichtweg nicht dazugehören. Es wird also eine ziemlich männliche Veranstaltung, im Stahlsektor sind Managerinnen Mangelware. Dass die Jubiläumsgäste sonntags ohne Begleitung bei dem früheren Krupp-Testamentsvollstrecker und Vorsitzenden der Krupp-Stiftung, Berthold Beitz, erscheinen müssen, wird unter den Gästen vielfach als altvorderer Zopf angesehen, der aus Zeiten stammt, in denen Reden vor Krupp-Versammlungen mit der Anrede „Meine Herren“ begannen. So schwebt am Sonntag etwas Fossiles im Protokoll über der Hügel-Villa, von der immer auch etwas Muffiges altgewordener Eichenhölzer ausgeht.
Den Konzern erwischt das Jubiläumsjahr in Zeiten des Umbruchs und der offenen Fragen. Was soll an die Stelle der verkauften Krupp-Unternehmen im Automobilsektor und beim Edelstahl treten? Oder wird sich ThyssenKrupp ganz auf die Herstellung von Flachstahl konzentrieren? Die neuen Werke in Alabama (USA) und Brasilien sind erst seit diesem Jahr in Betrieb und fahren bedrohlich hohe Verluste ein, die die geplanten und normalen Anlaufverluste deutlich übersteigen. Das Milliarden-Investment in Übersee schliddert direkt in eine neue Stahlkrise, fürchten Brancheninsider. Bisher hat der seit Januar amtierende ThyssenKrupp-Vorstandschef Heinrich Hiesinger noch keine Antworten auf die drängensten strategischen Fragen von ThyssenKrupp gegeben.
Kritisch wird vor allem von vielen Konzernmitarbeitern die Rolle von Berthold Beitz gesehen. Der 97-jährige Alttestamentsvollstrecker mische sich zu stark in Tagesfragen des Konzerns ein. Sein Verdikt, dass ThyssenKrupp auch in ferner Zukunft „nicht umgemodelt“ werden darf, quittierten viele Kruppianer mit Kopfschütteln. Denn was ist der Ausverkauf des Edelstahls anderes als ein Ummodeln ganz großen Stils? Der sehr zentralistisch geführte Konzern wartet zudem noch auf einen Innovationsschub der Firmenkultur. Die Forschungsaufwenden im Unternehmen sind im Vergleich aller Daxwerte noch immer sehr gering. Man hält allzu gern an Altem und nicht immer Bewährten fest.