Flugsitzhersteller Recaro „Die First Class wird verschwinden“

Aus dem 2016 erschienenen Buch:

Die Coronakrise hat den Hersteller von Flugzeugsitzen aus Schwäbisch-Hall hart getroffen. Unternehmenschef Mark Hiller hofft nun, dass die Airlines ihre bestehenden Flotten umrüsten – und noch mehr auf die Business Class setzen.

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In gewisser Weise hatte Recaro auch etwas Glück im Unglück. Die Coronakrise hat den Hersteller von Flugzeugsitzen zwar hart getroffen. Bis Jahresende erwartet der Mittelständler aus Schwäbisch-Hall ein Umsatzminus von rund 60 Prozent. Doch der Einbruch klingt dramatischer, als er ist. Recaro schwebte in das 20er-Jahrzehnt aus einem Rekordjahr 2019, ist also finanziell gut gepolstert – und hatte für 2020 ohnehin „mit einem Rückgang von 25 Prozent geplant“, sagt Unternehmenschef Mark Hiller im Podcast „Chefgespräch“ mit WirtschaftsWoche-Chefredakteur Beat Balzli.

Das Coronajahr 2020 bleibt dennoch eine Herausforderung. Ein Großteil der Recaro-Angestellten in Deutschland arbeitet kurz, im Ausland wurden zahlreiche Arbeitnehmer entlassen. Weltweit haben Airlines Aufträge für neue Flugzeuge storniert oder verschoben und in der Folge auch Aufträge für die Ausrüstung der Innenausstattung reduziert. Nun hofft das Unternehmen darauf, dass die Airlines wenigstens ihre bestehenden Flotten umrüsten: alte Sitze raus, neue rein. „In Krisen nutzen Fluggesellschaften die Zeit, um ihre bestehende Flotte effizienter und nachhaltiger zu machen“, sagte Hiller im WirtschaftsWoche-Podcast.

Aber wird die Luftfahrt jemals an alte Zeiten anknüpfen können? „Ich bin Optimist“, sagt Hiller, der seit 2012 an der Spitze des Zulieferers steht und inzwischen auch Anteile hält. Das Geschäft für Recaro werde sich auf 70 bis 80 Prozent des 2019er Niveaus einpendeln und damit wieder im langfristigen Wachstum liegen. Trotz Homeoffice und veränderter Reiseaktivität erwartet er bald eine Normalisierung des Airlinegeschäfts. In China läge die Zahl der geflogenen Flugkilometer bereits auf Vorkrisenniveau.

Strukturell werde sich aber einiges ändern. Die Luftfahrt sei systemrelevant. Aber innerhalb der Branche werde es Gewinner und Verlierer geben. „Fluggesellschaften wie WizzAir besetzen jetzt Slots, die frei werden, und rüsten sich für die Zeit nach der Krise“, sagte Hiller im Podcast. Der ungarische Billigflieger mit Sitz in Budapest gehöre zu den starken Unternehmen im Markt, die die Krise für neues Wachstum nutzen werden. Gerade hat die Airline zusammen mit den Schwestergesellschaften bei Recaro bis zu 100.000 Sitze bestellt.

Und die etablierten Fluggesellschaften? Hiller glaubt an ein Comeback. Die Langstrecke werde mittelfristig zurückkommen - und damit auch die Nachfrage nach Recaro-Sitzen. Technisch laufe der Trend in eine eindeutige Richtung: Sitze werden immer leichter. Derzeit wiegt ein Eco-Sitz von Recaro rund acht Kilogramm. „Fünf Kilogramm pro Sitz ist mit den heutigen Materialien machbar.“ Dieser Zielmarke werde man sich „annähern“.

Der First Class traut er aber keine große Zukunft mehr zu. „Wir sehen, dass die First Class zunehmend kleiner wird“, sagt der Unternehmer, „und zunehmend verschwindet“. Warum? Weil auch die Business Class zunehmend auf Luxus setzt und Rückzugsräume bietet. Asiatische und arabische haben früh damit begonnen, den Geschäftsreisen geschlossene Kabinen anzubieten. Hiller: „Mittlerweile bestellen auch europäische Airlines Business-Class-Sitze mit Türen.“

Zum Hören: Hier geht's zum vollständigen Podcast mit Recaro-Chef Hiller.

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