
Handelsblatt: Herr Mulally, Sie haben diese Woche für mehr als 100 Millionen Euro eine neue Fabrik in Köln eröffnet, während Europa um das Überleben des Euros kämpft. Wie ernst ist die Lage?
Alan Mulally: Die ganze Welt befasst sich derzeit mit dem entscheidenden Thema – wirtschaftlichem Wachstum. Die USA erholen sich sehr langsam von der Rezession. In Europa verlangsamt sich die Wirtschaft. Und auch im asiatisch-pazifischen Raum geht das Wachstum zurück, vor allem in China, selbst wenn dort die Raten immer noch beträchtlich sind. Der politische Fokus muss deshalb darauf liegen, was nötig ist, um die wirtschaftliche Entwicklung wieder zu beschleunigen. Das ist das allerwichtigste Thema.
Wir sieht Ihr Szenario für die Autoindustrie 2012 aus?
Wir bereiten uns auf ein schwächeres Wachstum weltweit vor…
…aber nicht auf eine Rezession?
Nein. Wir glauben, dass die Weltwirtschaft auch nächstes Jahr zulegen wird. Natürlich werden die Wachstumsraten nicht mehr so hoch sein wie in der Vergangenheit. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir aus dieser Situation wieder herausfinden werden. Die Tatsache, dass wir unser Geschäft weiter ausweiten und hier in Köln eine neue Fabrik gebaut haben, zeigt am besten, was zu tun ist: Wir müssen das Geschäft am Laufen halten.
Wie wichtig ist Europa für Ihre Strategie?
Das Europa-Geschäft ist wirklich ein fundamentaler Baustein unserer Strategie. Schon die Vision von Firmengründer Henry Ford war es, mit Produktionsstätten im Ausland jeden Kunden rund um die Welt mit den besten Autos und Lastwagen zu versorgen. Zugleich wollte er so von der Konjunktur im Ausland profitieren. Bis heute verfolgen wir diese Strategie. Darum sitzen wir seit 1925 in Köln und haben allein in Deutschland und Belgien rund 40 Millionen Autos gebaut. Das Bekenntnis zu Deutschland und natürlich die Expertise in Design und Entwicklung macht Europa zu einem ganz wichtigen Bestandteil des globalen Konzerns. Wir sind sehr zufrieden mit unserem Europa-Geschäft.
"Der Verbrauch wird immer wichtiger"
Das Comeback von Ford ist viel gerühmt. Doch jetzt müssen Sie aus einer Restrukturierungs- eine Wachstumsgeschichte machen. Wie wird das gehen?
Die Prioritäten sehen so aus: Qualität und Produktivität müssen wir kontinuierlich weiter steigern. Dazu kommt: Wir müssen uns weiter auf die Kernmarke Ford und unsere Edelmarke Lincoln in den USA konzentrieren. Dritte Priorität: Wir wollen bei Wert und Design unserer Fahrzeuge schneller zulegen. Und wir wollen den Kunden diese Autos so früh wie möglich zu bezahlbaren Preisen liefern.
Welche konkreten Ziele setzen Sie sich?
Jedes Jahr wollen wir besser werden. Wenn Sie unsere Zahlen im laufenden Jahr anschauen, merken Sie, dass es uns gelungen ist, die neuen Autos zu entwickeln und dabei weniger für Forschung und Entwicklung auszugeben. Wir arbeiten weiter daran, unsere Produktivität zu verbessern. Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass wir unsere Fahrzeugplattformen weiter globalisieren. Modelle wie der neue Focus werden bereits weltweit auf einer Plattform gebaut – in diese Richtung werden wir weitergehen.
Konkurrenten wie Volkswagen, General Motors und Toyota sind Ihnen bei den Stückzahlen deutlich voraus. Welche Rolle spielt Größe in der Autoindustrie?
Größe ist sehr wichtig. Alle großen globalen Wettbewerber setzen als weltweite Marken auf Skaleneffekte. Ich bin überzeugt, dass sich der Trend zu Kooperationen in Zukunft fortsetzen wird. Ford hat jüngst mit Toyota eine Vereinbarung zur Entwicklung von Hybridmotoren für Pick-ups und Allradantriebe geschlossen. Davon profitieren beide Seiten: Der Verbrauch wird für die Kunden immer wichtiger werden. Zusammen mit Toyota werden wir große Fahrzeuge mit spritsparender Technologie günstiger und schneller auf den Markt bringen.
Aber an VW und GM reichen Sie so schnell nicht heran...
Wenn ich etwas in meiner Managerkarriere gelernt habe, dann dies: Das Wichtigste sind gute Produkte, ein gesundes Geschäft und das glaubhafte Ziel, die Welt damit zu verbessern. Die Kunden zufriedenzustellen und profitabel zu wachsen, darauf kommt es an. Nicht auf Marktanteile oder ähnliche Messgrößen.
"Viele Parallelen zwischen Ford und Boeing
Sie wollen in den nächsten Jahren dennoch deutlich wachsen. Wo steht Ford bis Ende des Jahrzehnts?
Unser Plan ist, bis zur Mitte der Dekade den Absatz auf acht Millionen Fahrzeuge weltweit zu steigern. Wir wollen zudem unsere operative Marge, die im vergangenen Jahr bei rund sechs Prozent lag, auf acht bis zehn Prozent steigern. Aber wir zielen nicht darauf ab, die Nummer eins, zwei oder drei der Welt zu werden. Unser Fokus liegt darauf, die Kunden richtig zu bedienen und die besten Autos in ihrer jeweiligen Klasse zu bauen.
Sie haben vor Ford 30 Jahre lang bei Boeing gearbeitet. Wie hilfreich ist die Erfahrung aus der Flugzeugindustrie?
Sie hilft sehr. Es gibt viele Parallelen zwischen Ford und Boeing. Beide befassen sich mit hochkultivierten Produkten. Aerodynamik, Elektronik, neue Materialien stehen im Mittelpunkt, dazu kommt die Bedeutung von Produktionstechnik, Qualität, Sicherheit, Verbrauchseffizienz und weltweiter Teamarbeit – es gibt viele Überschneidungen zwischen beiden Branchen.
Sie kamen 2006 als Branchenfremder zu Ford. Reizt es Sie, noch einmal die Branche zu wechseln?
Mulally (lacht): Also die Zugbranche sehe ich nicht in meiner Zukunft. Aber wenn ich Ihnen noch eine Anekdote erzählen darf: Als ich frisch bei Ford anfing, wurde ich gefragt, ob es nicht riskant sei, keinen Automann an die Spitze zu setzen. Ich stimmte zu, dass Autos hochkomplexe Produkte seien: In Bezug auf Qualität, Material, Formen, Sicherheit und Verbrauchseffizienz zum Beispiel. Aber dann sagte ich: Eine Boeing 777 ist ebenfalls sehr kompliziert. Ein Auto besteht aus rund 10 000 Teilen. Eine Boeing 777 aus vier Millionen Teilen – und sie bleibt dabei auch noch in der Luft.
Herr Mulally, vielen Dank für das Interview.