Es ist die wohl umstrittenste Chemikalie der Welt: Glyphosat. Wegen seiner angeblichen Krebsgefahr muss sich Bayer mit 13.400 Klagen in den USA herumschlagen. Bayer bestreitet die Vorwürfe und verweist auf zahlreiche Studien. Klar ist: Die große Zeit von Glyphosat geht zu Ende. Erst kürzlich hat Österreich seinen Ausstieg verkündet. In der EU ist das Mittel nur noch bis Ende 2022 zugelassen, eine Verlängerung ist ungewiss.
Da lohnt es sich, nach Alternativen zu suchen. Der Biologe Klaus Brilisauer und sein Team haben das an der Uni Tübingen getan und ein Zuckermolekül mit dem wissenschaftlichen Namen „7-desoxy-Sedoheptulose (7dSh)“ gefunden. Dieses Molekül ist in der Lage, das Wachstum verschiedener Pflanzen und Mikroorganismen zu hemmen. Der Wirkstoff soll für Menschen und Tiere unbedenklich sein. Er könnte damit eine Alternative zu Glyphosat sein.
Noch ist das Molekül nicht außerhalb des Labors getestet worden. Die Wirksamkeit auf dem Feld muss noch erprobt werden, dafür sollen Kooperationspartner gewonnen werden. Die Universität Tübingen bestätigt, dazu „im Gespräch mit Industriepartnern“ zu sein. Dem Vernehmen nach soll eine Entscheidung zeitnah fallen.
Schneller schlau: Glyphosat
Glyphosat ist ein sogenanntes Total-Herbizid, es wirkt auf sämtliche grüne Pflanzen und hat damit ein so breites Spektrum wie kaum ein anderer herbizider, also unkrautvernichtender, Wirkstoff. Wo Glyphosat auf Pflanzen gesprüht wird, wächst sprichwörtlich kein Gras mehr – und auch kein Kraut, Strauch oder Moos.
Der wasserlösliche Wirkstoff wird über die Blätter aufgenommen und geht in alle Pflanzenteile, auch die Wurzel – was etwa für die Verwendung an Bahngleisen wichtig ist. Glyphosat blockiert ein Enzym, das Pflanzen zur Herstellung lebenswichtiger Aminosäuren brauchen – das aber auch in Pilzen und Mikroorganismen vorkommt.
Mit der nahezu vollständigen Vernichtung aller Kräuter und Gräser auf dem Acker sinke nicht nur die Zahl der Pflanzen stark, heißt es vom Umweltbundesamt (UBA). Dies entziehe allen an Ackerlebensräume gebundenen Arten wie Insekten und Feldvögeln großflächig die Lebensgrundlage. Ganze Nahrungsnetze könnten zusammenbrechen.
Nicht auszuschließen ist, dass sich auch der Bayer-Konzern darum bewirbt: Das Unternehmen hatte Mitte Juni angekündigt, in den kommenden zehn Jahren rund fünf Milliarden Euro in zusätzliche Methoden zur Unkrautbekämpfung zu investieren. Diese Investitionen sollen darauf abzielen, „das Verständnis von Resistenzmechanismen zu verbessern, neue Wirkungsweisen zu entdecken und zu entwickeln, um so maßgeschneiderte integrierte Lösungen zur Unkrautbekämpfung weiter voranzutreiben“. Auf das Projekt der Uni Tübingen und die Möglichkeit einer Kooperation angesprochen, erklärt das Unternehmen: „Es ist jedoch zu früh, um Details bekannt zu geben, auch was Forschungskooperationen angeht.“ Ein hartes Dementi hört sich irgendwie anders an.