Freytags-Frage
Quelle: dpa

Wie werden Lieferketten nachhaltig?

Die Gesellschaft in Deutschland erwartet, dass die Wirtschaft im In- und Ausland Menschenrechte und Ziele für nachhaltige Entwicklung in den Einklang bringt. Doch der Einfluss im Ausland ist oft nur begrenzt.

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Zur Zeit wird in Deutschland stark über die Rolle der deutschen Wirtschaft bei der Durchsetzung von Nachhaltigkeitszielen und Menschenrechten im Außenhandel beziehungsweise bei ausländischen Direktinvestitionen diskutiert. Aus Sicht der Gesellschaft ist es unzweifelhaft zentral, dass der Beitrag der Wirtschaft in der Gesellschaft (im In- und Ausland) mit den Menschenrechten und anderen Zielen nachhaltiger Entwicklung in Einklang zu bringen ist. Dies ist auf nationaler Ebene auf verschiedene Weise sichergestellt, und wurde durch die Abfassung des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) im Dezember 2016 noch einmal untermauert.

Gleichzeitig kann man feststellen, dass die deutsche Wirtschaft sich auch an ihren ausländischen Standorten oder bei ausländischen Zulieferern um Nachhaltigkeit und um die Einhaltung der Menschrechte sorgt. Allerdings haben deutsche Unternehmen eine relativ geringe Handhabe gegen ausländische Regierungen, die Menschenrechte nicht einhalten; man denke nur an China.

Vor diesem Hintergrund muss das Engagement der sogenannten Zivilgesellschaft überraschen. Obwohl der NAP im Konsens zwischen der Bundesregierung (vertreten durch sechs Ministerien), der Wirtschaft, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Experten erstellt wurde und eine klaren Fahrplan aufweist – in einem Monitoring-Prozess bis Ende 2020 soll geprüft, ob es eines Gesetzes bedarf oder ob die Wirtschaft genügend Maßnahmen zur Sicherung der Nachhaltigkeit ergreift – , gibt es seit Ende 2018 erheblichen Druck auf die Bundesregierung, ein Gesetz über nachhaltige Lieferketten zu verabschieden. Die Bundesregierung reagierte prompt.

Bereits im letzten Jahr legte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) einen Gesetzentwurf eines „Stammgesetzes zur Regelung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten in globalen Wertschöpfungsketten“ (Stand 1. Februar 2019) vor. Es ist wert, die wesentlichen Bestandteile vorzustellen, obwohl man davon ausgehen kann, dass der vorliegende Gesetzentwurf so nicht Realität wird – er zeigt aber die Haltung von Teilen der Bundesregierung – in diesem Fall der Minister Heil und Müller, die erst im Herbst 2019 die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes betonten.

Die Initiative ist als solche zunächst dubios, da die Unternehmen keine Gelegenheit bekommen, ihre Bereitschaft zur Umsetzung des NAP zu beweisen. Dies zeigt erstens ein großes Misstrauen gegenüber der Wirtschaft in Teilen der Bundesregierung und kann zweitens das Vertrauen der privaten Wirtschaft in die Bundesregierung nur schwächen.

Es kommen eklatante Schwächen im Gesetzentwurf hinzu. So ist die Verantwortung der Unternehmen nicht auf sich selber und eigene Niederlassungen beschränkt, sondern soll auf weitestmögliche Teile der Lieferkette angewendet werden. Der Gesetzentwurf spricht in Paragraph 3 (Begriffsbestimmungen), Absatz 2, von der Wertschöpfungskette als „die den gesamten Lebenszyklus eines Produktes oder einer Dienstleistung umfassende Wertschöpfung, d.h. alle Stadien, einschließlich der durchzuführenden Forschung und Entwicklung, der Produktion, des Handels und der damit verbundenen Bedingungen, des Transports, der Nutzung und Wartung, während der Lebensdauer des Produktes, des Bauwerkes oder der Dienstleistung, angefangen von der Beschaffung der Rohstoffe oder Erzeugung von Ressourcen bis hin zur Entsorgung.“

Dies ist insofern problematisch, als dass

  • erstens Unternehmen nur mäßigen Einfluss auf das Verhalten von Zulieferern und fast gar keinen Zugriff auf das Verhalten der nachgelagerten Unternehmen haben, zumal im Ausland und erst recht in fragilen Ländern;
  • zweitens Unternehmen Menschenrechte nicht im Ausland durchsetzen können;
  • drittens das Gesetz es aber unter Umständen sogar Diktatoren in Entwicklungsländern erleichtert, ihre Verantwortung auf ausländische Unternehmen abzuwälzen;
  • viertens derartige Initiativen nicht zuletzt aufgrund von international divergierenden Vorstellungen einer angemessenen Beachtung der Menschenrechte sowohl Interpretationsspielräume haben als auch Gefahr laufen, den Partnern gegenüber paternalistisch aufzutreten (mit schwindenden unternehmerischen Erfolgschancen),
  • fünftens die bürokratischen Erfordernisse extrem hoch sein können (schon allein durch die Berufung eines Compliance-Beauftragten für mittlere Unternehmen),
  • und sechstens es gerade im Verhältnis zu Entwicklungsländern dazu kommen könnte, dass sich deutsche Firmen weniger engagieren, als sie es ohne diese Anforderung tun würden.

Gerade das letzte Argument verdient etwas mehr Beachtung. Seit Jahren bemüht sich die deutsche Wirtschaft darum, zum Beispiel in Afrika besser Fuß zu fassen. Ein Grund für die geringe Präsenz deutscher mittelständischer Unternehmen ist die im Vergleich zu anderen Ländern – sowohl aus der OECD als auch China – relativ vorsichtige Unterstützung der deutschen Unternehmen durch die Politik. Die Bundesregierung hat dieses Problem durchaus erkannt und arbeitet an der zielgenaueren Außenwirtschaftsförderung mittelständischer deutscher Unternehmen.

Darüber hinaus ist der Beschwerdemechanismus beunruhigend. Denn Paragraph 9 (3) des Gesetzesentwurfs öffnet den Beschwerdemechanismus „ … jeder Person …, die geltend macht, dass sie selbst, ein anderer oder die Umwelt von der Geschäftstätigkeit des Unternehmens direkt oder indirekt, insbesondere in der Wertschöpfungskette des Unternehmens, negativ betroffen ist.“

Damit eröffnet sich ein neues Feld für das in jüngster Zeit häufig im Bereich des Datenschutzes oder des Umweltschutzes ausufernde Abmahnwesen. Dies erzeugt für Unternehmen hohe Transaktionskosten, ohne regelmäßig die Situation der Betroffenen bzw. der Umwelt zu verbessern.

Gut und gut gemeint - immer wieder ein Widerspruch

Allerdings hat man noch wenig darüber gehört, dass deutsche Unternehmen viel mit China handeln. Eigentlich gehört doch dieses Land ganz oben auf die Tagesordnung, wenn es um Schwächen zum Themenkomplex Nachhaltigkeit und Menschrechte geht. Insgesamt sind die Diskussionsstränge nicht schlüssig.

Es wäre vor diesem Hintergrund somit kontraproduktiv, deutschen mittelständischen Unternehmen enorme bürokratische Hürden aufzubauen, ohne dass wirklich klar ist, ob den Menschenrechten gedient wäre und die Nachhaltigkeit gesteigert würde. Gut und gut gemeint stehen immer wieder im Widerspruch zueinander.

Besser wäre es, die deutschen Unternehmen auf ihrem Weg in die Entwicklungsländer zu unterstützen. Die durch das Gesetz zu befürchtende noch weitgehendere Abwesenheit deutscher Unternehmen in Afrika – und anderen Entwicklungsregionen – wird die Menschenrechtslage dort eher verschlechtern als verbessern. Denn Unternehmen aus anderen Ländern halten sich regelmäßig weniger an Regeln zugunsten der Nachhaltigkeit als die deutschen; dies gilt nicht nur aber in besonderem Maße für chinesische Unternehmen. Insofern kann man festhalten, dass ein Gesetz zu nachhaltigen Lieferketten – wie restriktiv auch immer formuliert – keineswegs sicher die Nachhaltigkeit erhöht.

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