Bevor Heinrich Becker Besucher verabschiedet, steigt er mit ihnen gern hinab in die Kölner Unterwelt. Ein Lächeln huscht dann über das Gesicht des Geschäftsführenden Gesellschafters der Kölsch-Brauerei Gaffel. Stolz präsentiert er dem Gast sein Biermuseum voller Devotionalien. Hier, im tiefen Keller, zeigt sich Becker als rheinische Frohnatur. Bei einem Bierdeckel schlägt dem 67-Jährigen der Puls höher. "Die Familie ist das Wichtigste im Leben", steht auf dem runden Pappuntersetzer. "Trinken Sie Brüderschaft".
Im Kölner Karneval hätte Becker dafür einen dreifachen Tusch geerntet. Denn jeder in der Domstadt weiß, dass "Familie" bei den Beckers nicht für "Brüderschaft" steht, sondern für endlose Flegeleien. Von denen gab es in den vergangenen sieben Jahren so viele, dass ihnen jetzt ein Richter Einhalt gebieten will.
Das Unternehmen vor seinen Eigentümern schützen
Am 19. Dezember, so kündigte das Kölner Oberlandesgericht im Oktober an, werde es einen Schlussstrich unter die innerfamiliäre Selbstzerfleischung ziehen, um das Unternehmen in Familienhand zu erhalten. Dazu, so hat der Vorsitzende Richter Burkhard Gehle angedeutet, werde das Gericht Heinrich Becker sowie seinen Bruder und Mitgesellschafter Johannes, 63, aus dem Management drängen. Stattdessen werde Heinrichs Sohn Heinrich Philipp, 37, an den der Senior jüngst 15 Prozent der Firmenanteile abtrat, zum operativen Gaffel-Chef ernannt. Dadurch blieben der Vater mit 47 Prozent und der Onkel mit 38 Prozent an Gaffel zwar noch Gesellschafter. Sie wären jedoch raus aus dem unternehmerischen Alltag und müssten dem Sohn beziehungsweise Neffen bei der Geschäftsführung zusehen.
Dass Justitia ein 105 Jahre altes Traditionsunternehmen vor seinen Eigentümern zu schützen versucht, kommt nicht alle Tage vor im deutschen Mittelstand. So weit gebracht haben es zwei Brüder, die schon lange kein Kölsch mehr gemeinsam trinken, sondern sich nur noch in Anwesenheit von Anwälten und in Gerichtssälen treffen. In fast zwei Dutzend Verfahren, die gelaufen oder auch noch anhängig sind, haben sie sich inzwischen so gut wie alles vorgeworfen, was das Unternehmerleben hergibt: unkorrekte Spesenabrechnungen, betrieblich verbuchte Privatausgaben, Bilanzfälschung, Betrug.
Voll auf Konfrontationskurs
Anstelle unternehmerischer Denke und Ratio regieren in dem Unternehmen am Rhein mit seinen knapp 50 Millionen Euro Umsatz und 100 Mitarbeitern nur noch die Emotionen: Kränkungen, Eitelkeiten, Neid und Rachsucht. Zum Urknall war es im Dezember 2006 gekommen, als Heinrich Becker seinen Bruder Johannes per Gesellschafterbeschluss aus der Geschäftsführung warf, weil er angeblich über die Firma private Reise-, Bewirtungs- und Tankkosten abgerechnet habe. Gegen die Vorwürfe und die Entfernung aus der Geschäftsführung wehrt sich der Beschuldigte bis heute.
Nachdem Heinrich Johannes aus der Geschäftsführung herausekelte, versucht dieser nun das Gleiche bei Heinrich und dessen Sohn. Dabei geht Johannes Becker mittlerweile voll auf Konfrontationskurs. "Die Gesellschaft gehört aufgelöst", wettert er gegenüber der WirtschaftsWoche.
Trendig und doch museumsreif
Geschadet haben die beiden Hassbrüder mit ihrer Dauerfehde jedoch nicht nur dem eigenen Ruf, sondern auch dem Unternehmen, das hinter Reissdorf den zweiten Platz im stark regionalen Kölsch-Markt belegt. Die Verfassung der Firma konterkariert arg ihr aktuell trendiges Image. Das erwarb sich die Brauerei, als sie im April 2010 das alte Getränk Fassbrause neu erfand, das mittlerweile fast alle Wettbewerber anbieten.
Gegen den jungen Durstlöscher wirken die Brau- und Abfülltechnik sowie die Standortpolitik geradezu museal. Die Betriebsstätten sind auf unnötig viele Standorte in der Stadt am Rhein verstreut. Im engen Eigelstein-Viertel unweit des Doms wird ausschließlich gebraut. Tankwagen bringen den Gerstensaft anschließend entweder ins 60 Kilometer entfernte Krefeld, wo er in Flaschen gefüllt wird. Oder aber sie karren das Bier in den benachbarten Stadtteil Bilderstöckchen, wo es in Fässer gebunden wird.
Die veraltete Technik und umständlichen Transportwege verursachen schmerzhafte Mehrkosten, und das in einer Branche, die eher als margenschwach gilt. Gaffel will sich dazu nicht äußern und veröffentlicht keine Zahlen. Auch Heinrich Becker und sein Sohn verweigern dazu die Stellungnahme. Besserung brächte eine Zusammenfassung der Standorte auf dem Gelände der stillgelegten Richmodis- Brauerei in Köln, die Gaffel 1998 für 8,3 Millionen Euro übernommen hatte.
Kein Ende ohne Intervention
Allerdings müsste dazu nach Meinung eines Insiders eine zweistellige Summe investiert werden. Johannes Becker aber denkt nicht daran, Geld lockerzumachen, aus Sorge, das Investment könnte schiefgehen. "Ich habe keine Lust, hinterher zu bluten", sagte er der WirtschaftsWoche. Heinrich Becker und sein Sohn wollen sich dazu nicht äußern.
Ob vor diesem Hintergrund der Versuch gelingt, Gaffel per Gerichtsbeschluss als Familienunternehmen zu erhalten, ist zweifelhaft. "Die Streithähne von dem Unternehmen abzuspalten ist sicherlich ein interessanter Ansatz, aber er taugt in diesem Fall nicht", glaubt Tom Rüsen, geschäftsführender Direktor des Instituts für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke. "In der Gaffel-Brauerei wird der Familienknatsch ohne radikale Intervention vermutlich niemals aufhören, denn beide Brüder sitzen als Eigentümer nach wie vor in einem Boot."
Einen weiteren Grund für geringe Erfolgsaussichten sieht Rüsen in der gerichtlich erzwungenen Nachfolge an der Spitze. Dadurch würden Feindbilder der Eltern automatisch auf die nachfolgende Generation übertragen. Zudem könnte der Richterbeschluss neue Brandherde auslösen. "Vater Heinrich Becker fühlt sich möglicherweise von seinem Sohn zwangsweise abgelöst und als Hauptanteilseigner übervorteilt", meint Rüsen. "Und sein Bruder Johannes wird sich sagen, toll, jetzt hat der seinen Sohn installiert und die Richtung der nächsten 30 Jahre vorgezeichnet."
Regime von Heinrichs Ganden
Die Skepsis scheint mehr als bloß akademisch. So könnte Heinrich Becker mit der Installation seines Filius an der Gaffel-Spitze vermutlich ganz gut leben. "Meinen Sohn habe ich ohnehin als meinen Nachfolger in Stellung gebracht", sagte er nach der Verhandlung im Oktober auf dem Gerichtsflur. Zwar müsste der Senior auf sein Geschäftsführergehalt von 230 000 Euro im Jahr verzichten. Aber die ihn kennen, wissen, dass er sich trotzdem weiter wie auf der Kommandobrücke fühlt. "Man kann mit meinem Sohn reden, aber entscheiden tue nur ich", habe er einmal gesagt, berichten Eingeweihte aus seinem Umfeld. Heinrich Becker wollte sich dazu nicht äußern.
Dass Bruder Johannes ein solches Regime von Heinrichs Gnaden akzeptiert, scheint ausgeschlossen. Allein beim Gedanken daran gärt es in ihm wie die Hefe im Braukessel. "Ich hafte als Gesellschafter mit meinem gesamten Vermögen, obwohl ich nichts mehr zu sagen habe", schimpft er. Grund ist die Rechtsform der Offenen Handelsgesellschaft (OHG), unter der Gaffel firmiert. Diese schreibt vor, dass jeder Gesellschafter für Verbindlichkeiten des Unternehmens mit seinem gesamten Privatvermögen haften muss, egal, ob er mitreden darf oder nicht.
Die übliche Methode, Unternehmen in Familienhand zu erhalten, ist eigentlich der Verkauf der Anteile unter den Gesellschaftern. Doch bei Gaffel scheiterten alle Anläufe dazu kläglich. Heinrich Becker und sein Sohn Heinrich Philipp lehnten auf Anfrage der WirtschaftsWoche eine Stellungnahme dazu rundherum ab. "Ich bin, ebenso wie mein Vater, der Auffassung, dass solche Auseinandersetzungen nicht über die Presse geführt werden sollten", erklärte Heinrich Philipp Becker gegenüber der WirtschaftsWoche. Eine Stellungnahme wolle er daher nicht abgeben.
Bei solch einem Zerwürfnis plagen auch Richter Gehle Zweifel, ob er Gaffel befrieden kann. "Wir wissen auch nicht, was wir Anderes, Besseres machen sollen", sagte er am letzten Verhandlungstag. Sollte er wie angekündigt am 19. Dezember entscheiden, woran alle Beobachter glauben, muss er damit rechnen, dass die Streithähne Revision beim Bundesgerichtshof einlegen. Das sei so sicher wie der Start der Karnevalssession am 11.11., behaupten Kenner des Umfelds.