Der Staat muss es mal wieder richten. Weil die Preise für Gas explodiert sind, wird die Bundesregierung den Gaspreis für Verbraucher und Unternehmen deckeln. Die Gaskommission hat an diesem Montag ihren Abschlussbericht veröffentlicht. Ein zentrales Detail: Für Großverbraucher aus der Industrie etwa würden die Subventionen den Gas-Beschaffungspreis für die ersten 70 Prozent des Verbrauchs auf sieben Cent je Kilowattstunde (kWh) drücken. Ab Januar soll es losgehen. Die Regierung muss nun den Gesetzesweg einleiten.
Für die deutsche Wirtschaft ist das ein guter Tag. Die Subventionen gibt es zwar nur unter Bedingungen: So schlägt die „Expertenkommission Gas und Wärme“ vor, die Gaspreisbremse „nur Unternehmen zu gewähren, die die betroffenen Standorte erhalten“. Der Standorterhalt soll durch eine Vereinbarung zwischen Tarif- oder Betriebsparteien oder im paritätisch mitbestimmen Aufsichtsrat sichergestellt werden. Fehlen solche Strukturen, müssten Unternehmen den Erhalt von 90 Prozent der Arbeitsplätze mindestens ein Jahr über das Ende der staatlichen Hilfe hinaus nachweisen. Ansonsten fordert der Staat das Geld zurück.
Vertreter der Wirtschaft finden, dass die Vorgaben zu schmerzhaft seien. Die Hilfen sollten ohne Zustimmung gezahlt werden, fordert etwa der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Denn die Standortgarantie würde Unternehmen vor allem im industriellen Mittelstand „überfordern“ und damit „das Überleben dieser Betriebe gefährden“. Die Logik dahinter: Wer keine Standortgarantie abgeben könne, bekomme keine Gaspreissubvention – und gehe am Ende pleite.
Lesen Sie auch: Mehr als zwei Billionen Kubikmeter: Hier kann Deutschland Gas fracken
Doch das Prinzip von Geben und Nehmen ist das Mindeste, was der Staat von den Unternehmen erwarten kann. Ohnehin hätte es die Wirtschaft viel härter treffen können. Erstens sind sieben Cent pro Kilowattstunde Gas eine enorme Entlastung. Der Gaspreis läge damit nicht einmal dreimal so hoch wie der Durchschnittspreis für industrielle Abnehmer im zweiten Halbjahr 2019. Damals zahlten Unternehmen laut Destatis 2,5 Cent pro kWh. Zwar gelten die sieben Cent pro kWh nur für 70 Prozent der Menge. Aber Einsparungen, das zeigen die Erfahrungen der letzten Monate, sind in fast allen Firmen realisierbar.
Die Energiespar-Vorgaben der Bundesregierung
- Durchgangsbereiche wie Flure, Foyers oder Technikräume werden nicht mehr geheizt – außer, es gibt dafür sicherheitstechnische Gründe.
- Öffentliche Gebäude werden nur noch bis höchstens 19 Grad geheizt - bei körperlich leichter und überwiegend sitzender Tätigkeit. Bisher lag die empfohlene Mindesttemperatur laut Ministerium bei 20 Grad. Für Arbeitsräume, in denen Menschen leichte Tätigkeiten „überwiegend im Stehen oder Gehen” oder mittelschwere und überwiegend sitzende Tätigkeiten verrichten, gilt eine Obergrenze von 18 Grad. Für mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen oder Gehen sind es 16 Grad und für körperlich schwere Tätigkeiten 12 Grad. Für Kliniken, Pflegeeinrichtungen oder andere soziale Einrichtungen gilt die neue Regelung nicht.
- Boiler und Durchlauferhitzer dürfen nicht mehr für die Warmwasserbereitung am Waschbecken genutzt werden – es sei denn, das ist aus hygienischen Gründen vorgeschrieben.
- Die Beleuchtung von Gebäuden und Denkmälern aus rein ästhetischen oder repräsentativen Gründen wird ausgeschaltet. Ausgenommen sind kurzzeitige Beleuchtungen bei Kulturveranstaltungen und Volksfesten.
- Die Verordnung schreibt nicht vor, dass zum Beispiel in Büros die Raumtemperaturen verringert werden müssen – es werde aber ermöglicht, dass Arbeitgeber auch im gewerblichen Bereich rechtssicher weniger heizen dürfen und Gelegenheit haben, dem Beispiel der öffentlichen Hand zu folgen. Dies sei Grundlage für Selbstverpflichtungen von Betrieben und betrieblichen Vereinbarungen zur Energieeinsparung.
- Klauseln in Mietverträgen, die eine bestimmte Mindesttemperatur vorsehen, werden vorübergehend ausgesetzt.
- Private Pools, ob drinnen oder draußen, dürfen nicht mehr mit Gas und Strom geheizt werden.
- Gasversorger und Besitzer größerer Wohngebäude müssen ihre Kunden beziehungsweise Mieter frühzeitig informieren – über den erwarteten Energieverbrauch, dessen Kosten und Einsparmöglichkeiten. Das soll spätestens zum Beginn der Heizsaison passieren.
- Leuchtreklame und Werbetafeln werden von 22.00 Uhr abends bis 16.00 Uhr am Folgetag ausgeschaltet – wenn dies nicht zur Verkehrssicherheit nötig ist wie etwa an Bahnunterführungen. Der Gedanke dahinter: Weil es tagsüber ohnehin hell ist, soll die Beleuchtung erst am Nachmittag wieder für sechs Stunden eingeschaltet werden dürfen.
- Ladentüren oder sonstige „Eingangssysteme” zu beheizten Geschäftsräumen im Einzelhandel dürfen nicht mehr dauerhaft offen stehen – außer das ist für das Offenhalten eines Fluchtwegs erforderlich.
Zweitens steht die Gaspreisbremse „allen Unternehmen offen“. Die Bedürftigkeit spielt also keine Rolle. Hinzu kommt: Die geförderte Gasmenge könne der verbrauchende Betrieb für seine Zwecke nutzen „oder am Markt verwerten“, heißt es im Bericht. Dieser Passus ist nicht unumstritten, kann er doch zu erheblichen Negativfolgen führen. Unternehmen könnten sich motiviert fühlen, subventioniertes Gas teurer weiterzuverkaufen, weil es betriebswirtschaftlich lukrativ erscheint. Das wirke laut Mitautorin Isabella Weber von der University of Massachusetts Amherst wie eine „Abschaltprämie“ der Industrieproduktion – und könne zu einer beschleunigten Deindustrialisierung führen.
Drittens: Ein Verbot von Ausschüttungen von Gehaltsboni und Dividenden für subventionierte Unternehmen hat es gar nicht mehr in den Endbericht der Gaskommission geschafft, obwohl es Forderungen danach gegeben haben soll. Der Staat gewährt den Unternehmen also Unterstützung, ohne dass deren Führungsspitze selbst einen Beitrag leisten muss.
Ergo: Angesichts der ökonomischen Verwerfungen auf dem Gasmarkt hat die Bundesregierung ein üppiges Sicherheitsnetz gespannt. Die deutsche Industrie fällt weich. Sehr weich sogar.
Dieser Beitrag entstammt dem WiWo-Newsletter Daily Punch. Der Newsletter liefert Ihnen den täglichen Kommentar aus der WiWo-Redaktion ins Postfach. Immer auf den Punkt, immer mit Punch. Außerdem im Punch: der Überblick über die fünf wichtigsten Themen des Tages. Hier können Sie den Newsletter abonnieren.