Gefälschte Medikamente Apotheken im Visier der Pillen-Mafia

Seite 5/5

Die Tricks der Arzneifälscher

Marcus Redanz, 42 Jahre alt, Kurzhaarschnitt, ist Spezialist für Arzneimittel beim Frankfurter Zollamt. Deshalb surft er regelmäßig auf dubiosen Internet-Seiten mit Namen wie „Medikamente ohne Rezept“ oder „Cialis 20 mg kaufen“. Redanz ist seit 20 Jahren beim Zoll und kennt die Tricks der Arzneifälscher. „Derzeit ist etwa Oral Jelly sehr gefragt“, sagt er. „Das soll flüssiges Viagra sein, erhältlich etwa in den Geschmacksrichtungen Orange und Banane.“ Redanz weiß genau: Flüssiges Viagra gibt es in der Realität so wenig wie Viagra für Frauen, was ebenfalls häufig von fragwürdigen Internet-Apotheken angeboten wird.

Redanz hat die Aufgabe zu verhindern, dass illegale oder gefälschte Medikamente, die häufig aus asiatischen Ländern wie China, Indien, Pakistan, Singapur oder Thailand stammen, ihre Empfänger in Deutschland erreichen. Sein Büro liegt ganz in der Nähe des Frankfurter Flughafens, im Internationalen Postzentrum. Zwei Stockwerke höher treffen gerade Luftfrachtsendungen aus aller Welt ein.

Insgesamt 84 Zöllner in drei Schichten wachen gemeinsam mit Redanz darüber, dass keine illegalen Medikamente in Deutschland in Umlauf kommen. Keine leichte Aufgabe, mehr als Stichproben sind nicht drin bei täglich gut 10.000 Luftfracht-Sendungen.

Redanz verlässt sich auf seine Erfahrung – er weiß, wie verdächtige Päckchen aussehen und auf welche Herkunftsländer er achten muss. „Pillen werden gerne in Kohlepapier, Alufolien oder Dosen versteckt, bei Ampullen sind auch ausgehöhlte Bücher sehr beliebt.“ In Zweifelsfällen lässt Redanz, wie bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen, verdächtige Päckchen durch ein Röntgengerät laufen. Etwa 150 illegale Sendungen spürt Redanz jede Woche auf – meist Potenz-, Schmerz- und Dopingmittel.

Schlankheitsmittel und Potenzpillen aus der "Männerapotheke"

400.000 Tabletten und Ampullen beschlagnahmten die Frankfurter Zöllner 2007 – inzwischen sind es jährlich mehr als eine Million.

Hinter den Empfängern der zweifelhaften Präparate aus Asien stecken häufig kriminelle Dealer, die hierzulande einen schwunghaften Handel mit den dubiosen Mitteln aufgezogen haben und sie über eigene Internet-Seiten weiterverkaufen. 2013 flog in Berlin etwa die „Männerapotheke“ auf – eine siebenköpfige Bande aus Berlin und Brandenburg mit Hunderten Helfern, die sich auf Schlankheitsmittel und Potenzpillen spezialisiert hatte.

„Das sind Netzwerke mit hoher OK-Relevanz“, sagt der Essener Zollfahnder R. OK steht für organisierte Kriminalität. Der Ermittler kennt die Mitglieder des Milieus: „Pfiffige Leute, Männer zwischen Anfang 20 und Anfang 50. Akademiker, die sich mit dem Internet auskennen. Betriebswirte sind darunter, auch mal ein Physiotherapeut.“ Die Arzneifälscher- und Schiebernetzwerke arbeiteten wie ein Konzern, so der Fahnder. Es gebe Spezialisten für Vertrieb, Logistik und Buchhaltung bis hin zu Kurieren und Grafikdesignern, die die Web-Seiten der dubiosen Anbieter gestalten. Häufig enthalten diese Internet-Seiten zu Unrecht Logos von TÜV und Stiftung Warentest, um bei den Kunden Vertrauen zu schaffen. Die Dreistigkeit, gefälschte Arzneien an die Frau und den Mann zu bringen, kennt keine Grenzen. Klaus Gritschneder ist Gründer des Internet-Versenders Europa Apotheek im holländischen Venlo, die lange Jahre mit der Drogeriekette dm kooperierte und über jeden Zweifel erhaben ist. Er fand schon eine dubiose Internet-Seite, die das Impressum seiner Europa Apotheek als ihr eigenes verwendete.

Positivliste für legale Versandapotheken gefordert

Gritschneder engagiert sich bei der europäischen Anti-Fälscher-Initiative Asop und fordert eine sogenannte Positivliste für legale Versandapotheken. Wer nicht auf der Liste steht, soll bei Google und anderen Suchmaschinen nicht mehr gefunden werden können. Über den Vorschlag wird gerade auf europäischer Ebene verhandelt. Frühestens Mitte 2015 könnte es so weit sein, hofft Gritschneder.

Um den Fälschern das Handwerk zu legen, hat sich Roche-Manager Pfundner für eine in der Branche noch eher unübliche Maßnahme entschieden. Im Fall mehrerer gefälschter Medikamente hat Pfundner Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt, direkt beim Bundeskriminalamt. „Das sind wir unseren Patienten schuldig“, sagt Pfundner, „die haben schließlich vor allem den Schaden.“

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%