Gefragter Halbedelstein Der dubiose Boom des Bernsteins

Seite 3/3

Aus der Ferne sieht die Bernsteinmine aus wie ein Braunkohletagebau

In Yantarnyi sind hingegen nicht die Steine das Problem, sondern die Verwaltung. Aus der Ferne betrachtet, sieht die große Bernsteinmine aus wie ein kleiner Braunkohletagebau. Zwei große Schaufelradbagger, Kipplader, die scheinbar geräuschlos über die Sandberge fahren und schmückende Staubwolken hinter sich herziehen. Und immer wieder Wachposten. Auf der kleinen Aussichtsplattform neben dem Gelände hat das Kombinat ein historisches Fundstück ausgestellt: den Galgen, an dem man hier früher die Bernsteindiebe aufknöpfte.

Eigentlich müsste das hier die reinste Geldmaschine für den Staat sein, der die Mine seit Sowjetzeiten betreibt. Nirgendwo sonst lässt sich der Halbedelstein so einfach abbauen, und das in bester Qualität. Die Mengen rund um Yantarnyi sind so groß, dass sich durch eine Mengensteuerung der weltweite Preis kontrollieren ließe. Doch in Yantarnyi lassen sich die Nebenwirkungen der Staatswirtschaft beobachten, wie sie seit dem Sozialismus gut bekannt sind: Wo die Löhne mickrig und die Produkte wertvoll sind, blüht der Schwarzmarkt. Und so verlassen die Bernsteine die Exklave Kaliningrad auf unterschiedlichen Wegen, aber nur in den seltensten Fällen auf legalem.

So erzählt ein litauischer Händler, wie er an seine Steine kommt: Der russische Partner werfe sie in kleinen Säcken nachts in den Grenzfluss Nemunas, da Bernstein leichter als Wasser ist, kann er die Pakete auf der anderen Seite mit Keschern aus dem Wasser fischen. Welche Wege der Bernstein sonst noch nimmt, zeigt fast täglich der Polizeibericht von Kaliningrad. Mal werden Bernsteine im doppelten Boden eines Autos geschmuggelt, mal im Handgepäck im Bus.

Chinesische Kunden kaufen Bernstein. Quelle: Laif/Saltimages/Denis Sinyakov

Vor einigen Wochen flog eine Bande auf, deren Tat direkt zum Kern des Problems führt: Die Männer hatten mithilfe einiger Mitarbeiter des Kombinats den Warenfluss in der Fabrik so manipuliert, dass sie die abgebauten Steine auf ihrem Weg vom Tagebau zur Aufbereitung in ein unterirdisches Labor abzweigen konnten.

Wer die Steine in Danzig, Hongkong oder Berlin in die Hand bekommt, der kann sich daher nur auf eines verlassen: den eigenen Augenschein. „Würde ich versuchen, nur legal erworbene Ware zu verkaufen, könnte ich das Geschäft gleich einstellen“, sagt der litauische Händler Malisauskas. Wer sich mit den Steinen etwas auskennt, der kann zumindest die Fälschungen aus Plastik leicht erkennen. Schon die Beurteilung des Farbtons und der Reinheit ist deutlich komplexer. Nur die Experten können auf einen Blick die erhitzten ukrainischen von echten baltischen unterscheiden. Querl versucht deshalb solche Risiken auszuschließen. „Bei antiken Stücken ist die Herkunftsbestimmung kein Problem, die kommen fast alle aus Königsberg“, sagt er.

Denn bis zum Zweiten Weltkrieg waren die Minen dort in der Hand einer privatwirtschaftlich organisierten Gesellschaft – entsprechend effizient lief die Produktion. Die Bernsteinmanufaktur Königsberg beschäftigte zu ihren besten Zeiten fast 3000 Mitarbeiter und unterhielt Vertriebsstellen in Paris, London, Brüssel und New York.

Zollbilanz

So konnte sie nicht nur den Markt kontrollieren, zu Kriegszeiten wurde der Kauf von Bernstein zudem als patriotischer Akt staatlich gefördert. So wurde Bernstein in Deutschland erst zum Modeschmuck – um nach dem Krieg vom Markt zu verschwinden. Nur in den Mythen vom Bernsteinzimmer lebte die alte Wertschätzung fort.

Genau auf diese Wertschätzung hoffte auch Querl, als er vor gut einem Jahr Inserate in Berliner Zeitungen schaltete. Er kaufe Bernstein, wer noch etwas zu Hause habe, der solle an seinem „Bernsteinmobil“ vorbeikommen. Und es schien, als habe eine Generation in dieser Stadt nur auf das Signal gewartet. Tagelang stand Querl mit seinem Mobil in der Hauptstadt, ohne dass der Kundenstrom abriss.

Vor allem Vertriebene aus Ostpreußen, ihre Kinder und Enkel brachten den Schmuck vorbei, für sechsstellige Beträge kaufte Querl an manchen Tagen die Ware an. Kein Wunder, dass er den Transporter inzwischen gekauft hat und regelmäßig mit seinem Mobil durch die Lande fährt.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%