General Electric GEscheitert in Germany

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Es gibt keine Deutschlandstrategie mehr

Das Scheitern hierzulande hat Belegschaft, Geschäftspartner und Kunden tief verunsichert. Will man mit einem Unternehmen langjährige Zukunftspläne schmieden, von dem man gar nicht weiß, ob es die digitale Revolution überlebt?

Insgesamt 1600 Arbeitsplätze, so die bisherige Planung, will GE in Deutschland streichen. In Europa sollen es rund 4500 Stellen sein – zumeist hoch bezahlte Fachkräfte werden da freigesetzt, die mit ihrem Industriearbeiterlohn bislang ganze Familien allein ernähren konnten. Nun aber sehen viele von ihnen im Konzern keine Zukunft mehr.

An einem ungemütlich windigen Freitagnachmittag sitzt Martin Ruess in seinem Büro in Berlin-Marienfelde. Nebenan, in den hell getünchten Fabrikhallen, baut GE Umrichter für Solar- und Windparks. Die Geräte sitzen beispielsweise zwischen Windkraftanlagen und dem Stromnetz und wandeln Gleichstrom in Wechselstrom um. Das Berliner Werk gehört zur Sparte Power Conversion des Konzerns.

„Es gibt keine Deutschlandstrategie mehr“, sagt Ruess, der seit vielen Jahren bei GE arbeitet und im Betriebsrat sitzt. Schon im vergangenen Jahr hat der Konzern in dem Berliner Werk 130 Arbeitsplätze abgebaut. Jetzt beschäftigen die Amerikaner an dem Standort noch rund 600 Mitarbeiter. Doch auch die könnten bald ihre Jobs verlieren – GE erwägt, das Werk komplett zu schließen und die Sparte zu verkaufen. Die Probleme in Berlin sind ein krasses Beispiel für das Missmanagement von GE. Vor sieben Jahren kauften die Amerikaner das Werk von einem Private-Equity-Fonds. Davor hatte es zum französischen Alstom-Konzern gehört, ursprünglich der früheren AEG. Mithilfe seiner Akquisition in Berlin wollte Immelt im Wind- und Solargeschäft richtig Gas geben. Die Europazentrale in Paris befahl den Ausbau der Massenfertigung von Umrichtern. Vernachlässigen sollten die Berliner dagegen das Spezialgeschäft mit Motoren, etwa für Warm- und Kaltwalzwerke in der Stahlindustrie. Dabei hatte sich gerade das Geschäft in der Vergangenheit als wenig schwankungsanfällig und margenträchtig erwiesen. Immelt aber wollte es anders. Als dann vor vier Jahren die Preise für Solar- und Windstrom in den Keller rauschten, begannen die Probleme – und GE fing an, die Aktivitäten nach Indien und China zu verlagern.

So ist der Frust groß. Nicht nur in Berlin-Marienfelde. Auch andernorts herrscht Panik. Im niedersächsischen Salzbergen etwa, dort, wo GE seine Windkraftanlagen baut, sieht man sich führungslos dem Schicksal überlassen. Gerade erst hat das Werk seine Eigenständigkeit verloren, wird jetzt aus der Europazentrale in Paris mitgesteuert.

Die größte Baustelle aber tut sich in Mannheim auf, wo GE große Gasturbinen für Kraftwerke baut. Das Werk war ins Portfolio der Amerikaner gewandert, als Immelt vor drei Jahren für rund zwölf Milliarden Euro das Kraftwerksgeschäft des Konkurrenten Alstom übernommen hatte – der wohl folgenschwerste Fehler des ehemaligen Chefs. Denn der Markt ist inzwischen komplett zusammengebrochen. Rund 1200 Arbeitsplätze sind in Mannheim bis heute weggefallen, jetzt fürchten auch die 600 noch verbliebenen Mitarbeiter um ihre Jobs. Von einer „katastrophalen Stimmung“ spricht ein Arbeitnehmervertreter, „keiner weiß, wie es in den Projekten weitergeht“. Derzeit lässt GE in Mannheim immerhin noch Wartung und Service von Turbinen erledigen. Fraglich ist, wie lange das noch reicht, um den Standort zu erhalten.

Wie ein Treppenwitz der Geschichte erscheint es da vielen, dass es ausgerechnet Joe Kaeser war, Chef des Konkurrenten Siemens, der Immelt in sein Verderben trieb. Auch der Siemens-Chef hatte 2014 um Alstom und die Gasturbinenproduktion geboten – allerdings wohl nur zum Schein, wie es heißt. Wirklich haben wollte Kaeser Alstom nie. Sein ärgster Konkurrent, so Kaesers Strategie, sollte nur einen möglichst hohen Preis für das französische Unternehmen zahlen und reichlich Zugeständnisse machen. Das gelang auch. Bei der Übernahme 2015 versprach GE der französischen Regierung, in Frankreich keine Jobs zu streichen, sondern noch 1000 Stellen zu schaffen.

Heute leiden darunter die deutschen Standorte. Und mehr noch: Die Krise, heißt es bei GE, habe zur Entscheidung geführt, das Jobversprechen nicht einzuhalten, sondern stattdessen die Vertragsstrafe zu zahlen. Das Kraftwerksgeschäft wird über kurz oder lang wohl ganz dran glauben müssen.

In seiner Not dürfte GEs neuer Direktor Flannery nun neidisch nach München schauen. So wie Kaeser dort Siemens durch Abspaltungen und Börsengänge in kleine Einheiten zerlegt, will Flannery das Konglomerat aufspalten, um es zu retten. In den kommenden Wochen soll er Pläne vorlegen. Bis die konkret werden, könnte das Werk im österreichischen Jenbach aber schon verkauft sein.

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