General Electric GEscheitert in Germany

eGE-Mitarbeiter protestierten Ende Dezember in Mannheim gegen Betriebsschließungen. Quelle: imago images

Der amerikanische Mischkonzern GE steckt tief in der Krise und sucht nach Geld. Ausgerechnet deutsche Standorte sollen dran glauben.

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Die Bilanz für das abgelaufene Geschäftsjahr ist desaströs. Aber hier, im österreichischen Jenbach, stimmt die Eigenwerbung von General Electric (GE) noch: „We are a global Star“ steht in großen Buchstaben an den grasgrün lackierten Fabrikhallen, die die Amerikaner in die Alpenkulisse unweit von Innsbruck gebaut haben. GE fertigt hier mit 1500 Mitarbeitern Gasmotoren für die dezentrale Energieversorgung: kleine Anlagen mit einer Leistung zwischen 500 Kilo- und 10 Megawatt, wie sie in Deutschland immer mehr Energieversorger einsetzen, vor allem Stadtwerke.

Die Geschäfte laufen gut. Fast im Minutentakt rollen Lkws vom Werksgelände. In den Fabrikhallen werden die halb fertigen Anlagen wie am Fließband an den Arbeitsstationen vorbeigezogen. Links und rechts stehen Arbeiter und schrauben Bolzen in die Zylinder der Motoren. Gerade hat Jenbach einen großen Auftrag aus Kiel erhalten: 20 Zehn-Megawatt-Anlagen sollen die Amerikaner in den Norden liefern.

Alles in Ordnung also? Wohl kaum. Jenbach ist nur eine kleine Insel der Glückseligen im riesigen Weltreich von GE. Amerikas einstiger Stolz und bedeutendster Industriekonzern steckt in der tiefsten Krise seiner Geschichte. Der Aktienkurs des Unternehmens mit seinen weltweit fast 300.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von zuletzt 122 Milliarden Dollar hat sich in den vergangenen zwölf Monaten halbiert, ebenso der Gewinn für das Jahr 2017. Der Cashflow ist negativ – GE verbrennt Geld. Und erst kürzlich musste das Management bekannt geben, 15 Milliarden Dollar zusätzlich in die Bedienung von Versicherungen pumpen zu müssen, deren Verkauf die Amerikaner schon vor zehn Jahren eingestellt hatten.

von Henryk Hielscher, Matthias Kamp, Andreas Macho, Annina Reimann, Cornelius Welp

Dabei ist seit Monaten Hilfe versprochen. Insider wundern sich, dass der neue GE-Chef John Flannery noch immer keine Strategie für den schwer angeschlagenen Großkonzern vorgelegt hat. Seit er im Sommer vergangenen Jahres auf den glücklosen Jeff Immelt folgte, versucht Flannery aufzuräumen. Doch noch folgt Hiobsbotschaft auf Hiobsbotschaft. Von einer neuen Konzernstrategie ist nicht viel zu sehen. Stattdessen wird fieberhaft nach Cash gesucht, um die dringendsten Lücken zu schließen. Schon überlegt GE, seine österreichische Ertragsperle in Jenbach zu verkaufen. Goldman Sachs soll damit beauftragt sein. Bei GE will sich keiner zu den Plänen äußern. „Können wir nichts zu sagen“, nuscheln sie im Werk auf dem Weg in die Mittagspause. Das Management schweigt.

Es wäre wohl ohnehin nur eine Notoperation ohne großes Heilsversprechen. Längst geht man in der Branche davon aus, dass GE in seiner heutigen Form nicht überleben wird. Die Konzernzentrale in Boston könnte demnächst die Zerschlagung des Industriekonglomerats bekannt geben, sagen Insider. Für das europäische, insbesondere aber für das deutsche Geschäft, hätte eine Zerschlagung tief greifende, möglicherweise verheerende Folgen. Erste Anzeichen eines Kurswechsels gibt es: Europachef Mark Hutchinson, ein Immelt-Vertrauter, musste das Unternehmen im Januar verlassen, er weilt derzeit in Australien. Stephan Reimelt, ehemaliger Direktor für Deutschland, Österreich und die Schweiz, ging 2017 von Bord. Jetzt leitet Peter Stracar die Geschäfte auf dem alten Kontinent. Der frühere Osteuropa-CEO der Amerikaner hat seinen Dienstsitz in Prag, obwohl die Europazentrale in Paris liegt. „Die billigste Lösung“, ätzt ein GE-Manager.

Der Konzern muss sparen. Allerorten suchen Finanzfachleute nach Geldquellen, kalkulieren Werksverkäufe und Stellenstreichungen durch. Neben dem Verkauf des Werkes in Jenbach erwägt GE außerdem, sich auf der Hannover Messe, der größten Industrieschau der Welt, in diesem Jahr nicht zu präsentieren. Es wäre ein katastrophales Signal an die Branche.

Dabei hatte Flannery-Vorgänger Immelt gerade für das Deutschlandgeschäft einst so hochfliegende Pläne. GE, so versprach Immelt noch vor sechs Jahren bei einem denkwürdigen Auftritt im Münchner Nobelhotel Bayerischer Hof, werde sich daranmachen, Platzhirsch Siemens in der Heimat zu schlagen. „GE ist das Ge in Germany“ warb der bald 130 Jahre alte Konzern und investierte Milliardensummen.

Immelt wollte richtig auftrumpfen, ließ gar eigens eine Windmühle für den deutschen Markt entwickeln, die mit zwei Megawatt Leistung Siemens Marktanteile abjagen sollte. Doch der Plan scheiterte grandios – die Mühle wurde zum Ladenhüter.

Es gibt keine Deutschlandstrategie mehr

Das Scheitern hierzulande hat Belegschaft, Geschäftspartner und Kunden tief verunsichert. Will man mit einem Unternehmen langjährige Zukunftspläne schmieden, von dem man gar nicht weiß, ob es die digitale Revolution überlebt?

Insgesamt 1600 Arbeitsplätze, so die bisherige Planung, will GE in Deutschland streichen. In Europa sollen es rund 4500 Stellen sein – zumeist hoch bezahlte Fachkräfte werden da freigesetzt, die mit ihrem Industriearbeiterlohn bislang ganze Familien allein ernähren konnten. Nun aber sehen viele von ihnen im Konzern keine Zukunft mehr.

An einem ungemütlich windigen Freitagnachmittag sitzt Martin Ruess in seinem Büro in Berlin-Marienfelde. Nebenan, in den hell getünchten Fabrikhallen, baut GE Umrichter für Solar- und Windparks. Die Geräte sitzen beispielsweise zwischen Windkraftanlagen und dem Stromnetz und wandeln Gleichstrom in Wechselstrom um. Das Berliner Werk gehört zur Sparte Power Conversion des Konzerns.

„Es gibt keine Deutschlandstrategie mehr“, sagt Ruess, der seit vielen Jahren bei GE arbeitet und im Betriebsrat sitzt. Schon im vergangenen Jahr hat der Konzern in dem Berliner Werk 130 Arbeitsplätze abgebaut. Jetzt beschäftigen die Amerikaner an dem Standort noch rund 600 Mitarbeiter. Doch auch die könnten bald ihre Jobs verlieren – GE erwägt, das Werk komplett zu schließen und die Sparte zu verkaufen. Die Probleme in Berlin sind ein krasses Beispiel für das Missmanagement von GE. Vor sieben Jahren kauften die Amerikaner das Werk von einem Private-Equity-Fonds. Davor hatte es zum französischen Alstom-Konzern gehört, ursprünglich der früheren AEG. Mithilfe seiner Akquisition in Berlin wollte Immelt im Wind- und Solargeschäft richtig Gas geben. Die Europazentrale in Paris befahl den Ausbau der Massenfertigung von Umrichtern. Vernachlässigen sollten die Berliner dagegen das Spezialgeschäft mit Motoren, etwa für Warm- und Kaltwalzwerke in der Stahlindustrie. Dabei hatte sich gerade das Geschäft in der Vergangenheit als wenig schwankungsanfällig und margenträchtig erwiesen. Immelt aber wollte es anders. Als dann vor vier Jahren die Preise für Solar- und Windstrom in den Keller rauschten, begannen die Probleme – und GE fing an, die Aktivitäten nach Indien und China zu verlagern.

So ist der Frust groß. Nicht nur in Berlin-Marienfelde. Auch andernorts herrscht Panik. Im niedersächsischen Salzbergen etwa, dort, wo GE seine Windkraftanlagen baut, sieht man sich führungslos dem Schicksal überlassen. Gerade erst hat das Werk seine Eigenständigkeit verloren, wird jetzt aus der Europazentrale in Paris mitgesteuert.

Die größte Baustelle aber tut sich in Mannheim auf, wo GE große Gasturbinen für Kraftwerke baut. Das Werk war ins Portfolio der Amerikaner gewandert, als Immelt vor drei Jahren für rund zwölf Milliarden Euro das Kraftwerksgeschäft des Konkurrenten Alstom übernommen hatte – der wohl folgenschwerste Fehler des ehemaligen Chefs. Denn der Markt ist inzwischen komplett zusammengebrochen. Rund 1200 Arbeitsplätze sind in Mannheim bis heute weggefallen, jetzt fürchten auch die 600 noch verbliebenen Mitarbeiter um ihre Jobs. Von einer „katastrophalen Stimmung“ spricht ein Arbeitnehmervertreter, „keiner weiß, wie es in den Projekten weitergeht“. Derzeit lässt GE in Mannheim immerhin noch Wartung und Service von Turbinen erledigen. Fraglich ist, wie lange das noch reicht, um den Standort zu erhalten.

Wie ein Treppenwitz der Geschichte erscheint es da vielen, dass es ausgerechnet Joe Kaeser war, Chef des Konkurrenten Siemens, der Immelt in sein Verderben trieb. Auch der Siemens-Chef hatte 2014 um Alstom und die Gasturbinenproduktion geboten – allerdings wohl nur zum Schein, wie es heißt. Wirklich haben wollte Kaeser Alstom nie. Sein ärgster Konkurrent, so Kaesers Strategie, sollte nur einen möglichst hohen Preis für das französische Unternehmen zahlen und reichlich Zugeständnisse machen. Das gelang auch. Bei der Übernahme 2015 versprach GE der französischen Regierung, in Frankreich keine Jobs zu streichen, sondern noch 1000 Stellen zu schaffen.

Heute leiden darunter die deutschen Standorte. Und mehr noch: Die Krise, heißt es bei GE, habe zur Entscheidung geführt, das Jobversprechen nicht einzuhalten, sondern stattdessen die Vertragsstrafe zu zahlen. Das Kraftwerksgeschäft wird über kurz oder lang wohl ganz dran glauben müssen.

In seiner Not dürfte GEs neuer Direktor Flannery nun neidisch nach München schauen. So wie Kaeser dort Siemens durch Abspaltungen und Börsengänge in kleine Einheiten zerlegt, will Flannery das Konglomerat aufspalten, um es zu retten. In den kommenden Wochen soll er Pläne vorlegen. Bis die konkret werden, könnte das Werk im österreichischen Jenbach aber schon verkauft sein.

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