General Electric Hat der Mischkonzern ausgedient?

General Electric Quelle: dpa

Getrieben von aggressiven Investoren spalten sich immer mehr Konzerne auf. Das soll Wert schaffen. Aber nicht jede Aufspaltung geht gut.

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Für den Bruch der mehr als 100-jährigen Unternehmenstradition brauchte General-Electric-Chef John Flannery nur wenige Minuten: Vor Analysten erklärte Flannery diese Woche, dass GE eine Holdingstruktur annehmen könnte und Sparten wie Gasturbinen oder den Flugzeugbau selbstständig an die Börse bringen könnte. Nach 126-jährigem Aufbau zum mächtigen US-Mischkonzern möchte das derzeitige Management nun offenbar den Konzern in seine Einzelteile zerlegen.  

GE, der Konzern, der 2017 das Schlusslicht im Dow Jones war und zuletzt über Probleme im Versicherungsgeschäft stolperte, ist längst nicht der einzige, der in Abspaltungen die Genesung wittert. Auch in Deutschland waren in jüngster Vergangenheit mehrere Abspaltungen zu beobachten. Die Energieversorger RWE und E.On spalteten große Teile des bisherigen Geschäfts unter den Namen Innogy beziehungsweise Uniper ab. Bayer brachte sein Covestro getauftes Kunststoffgeschäft an die Börse. Mit der Stahlsparte verabschiedet Thyssenkrupp sogar die Wurzel des Konzerns in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem indischen Wettbewerber Tata.

Weltweit bauen Manager Unternehmen radikal um, schneiden und zerlegen, lösen Teile aus Konzernen heraus, verkaufen sie oder bringen sie an die Börse. Mit den Operationen folgen sie dem Druck ihrer Aktionäre, die eine stärkere Konzentration aufs Kerngeschäft fordern und immer öfter meinen, dass die Summe der Einzelteile mehr wert sei als das Ganze. Aber nicht für jedes Unternehmen wird sich der Umbau lohnen.

"Die Komplexität großer Unternehmen mit mehreren Geschäftsbereichen verursacht häufig Kosten und Ineffizienzen. Kleinere Einheiten versprechen dagegen mehr Schlagkraft und Flexibilität. Zudem kann sich das Management besser fokussieren", sagt Berthold Fürst, der bei der Deutschen Bank das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen in Deutschland leitet. Nach acht Jahren Börsenboom seien zudem viele Möglichkeiten zur operativen Steigerung des Unternehmenswerts weitgehend ausgeschöpft. Umbauten rückten deshalb häufig in den Vordergrund.

"Viele Manager überprüfen aktuell die strategische Ausrichtung ihres Portfolios", sagt auch Jens Kengelbach, der für die Boston Consulting Group Konzerne bei Umbaumaßnahmen berät. In Krisenzeiten sei eher eine breite Aufstellung gefragt, weil sich dadurch Schwächen in einer Sparte durch Stärken anderer leichter ausgleichen ließen. In Boomphasen dagegen schätzten Investoren klare Geschäftsmodelle.

"Wenn die Einheiten getrennt sind, können Aktionäre Chancen besser erfassen und mit anderen Unternehmen vergleichen", sagt Kengelbach. Auch neue Technologien treiben den Trend. Mit Abspaltungen könnten Unternehmen ihr Geschäftsmodell an den Wandel anpassen und sich Kapital für oft enorme erforderliche Investitionen beschaffen.

Besonders forsch bei Abspaltungen sind Topmanager in den USA unterwegs.  Hewlett-Packard hat sich ebenso in zwei Hälften zerlegt wie der Aluminiumkonzern Alcoa. Honeywell hat gerade erst angekündigt, sich von den Sparten für Haustechnik und Turboladern zu trennen. Nun kann sich selbst der einstige Vorzeige-Mischkonzern General Electric dem Trend nicht widersetzen.  Sein neuer Chef John Flannery will Teile im Wert von 20 Milliarden Dollar abspalten.

Das Spaltfieber infiziert ganze Branchen

Das Spaltfieber hat ganze Branchen infiziert - wie die Pharmahersteller. Der Darmstädter Konzern Merck plant gerade die Trennung von seinen rezeptfreien Medikamenten. Beim US-Konzern Pfizer steht das gleiche Thema auf der Agenda, während die Schweizer Novartis über einen Abschied von der Augenheilsparte Alcon nachdenkt.

Ähnliche Wellen hat es bereits in vergangenen Boomphasen gegeben. Vor der Finanzkrise 2007 trennten in Deutschland etwa Bayer und Henkel unter den Namen Lanxess und Cognis Teile ihres Chemiegeschäfts ab. Linde verkaufte seine Gabelstaplersparte Kion.

Nicht alle damaligen Operationen waren erfolgreich. Die 2005 aus der Metro gelöste Baumarktkette Praktiker kriselte dahin, bis sie 2013 pleiteging. Beim Halbleiterhersteller Qimonda vergingen nach der Trennung von Infineon nur gut zwei Jahre bis zur Insolvenz Anfang 2009.

 

Diesmal sei alles anders, prophezeien Akteure der Spaltungswelle. Der Veränderungsdruck in vielen Branchen sei enorm, sagt etwa Hans-Ulrich Wilsing, der für die Kanzlei Linklaters große Unternehmen bei Transaktionen berät. Die Aufspaltungen folgten keiner Mode, sondern "knüppelharten Zwängen". Auch Wilsing sieht die Aktionäre als maßgebliche Treiber der Selbstfiletierungen.  "Viele sind unsicher und verlangen hohe Transparenz. Bei kleineren Einheiten fällt die Bewertung leichter", sagt er.

Manche Konzernlenker schneiden dabei so tief ins eigene Fleisch, dass sich die Frage stellt, was am Ende übrig bleibt.

Beispiel Siemens: Seit vielen Jahren ist das fränkische Erlangen die Hochburg der Medizintechnik im Reich des Konzerns, gut 10 000 Menschen arbeiten hier für die Sparte. Im kommenden Jahr soll das "Healthineers"-Geschäft an die Börse gehen. Damit entlässt Siemens-Chef Joe Kaeser eine weitere Sparte in die Freiheit. Im vergangenen Jahr hat er bereits das Geschäft mit Antrieben für E-Autos in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Autozulieferer Valeo eingebracht. Die Windkraft hat Kaeser in einem Unternehmen mit dem spanischen Hersteller Gamesa zusammengelegt. Und das Geschäft mit Schienenfahrzeugen fusioniert er gerade mit dem französischen Konkurrenten Alstom. Anders als bei der Abspaltung der Lichtsparte Osram vor gut vier Jahren behält Siemens bei allen neuen Unternehmen die Mehrheit.

Kaeser setzt darauf, dass sich die Einheiten durch passende Kooperationen stärken lassen und unabhängiger und flexibler werden. Er wolle einen "wendigen Flottenverband statt eines schwerfälligen Tankers", erklärt er im schönsten Floskel-Deutsch. Mittlerweile hat er die Umbauten so weit getrieben, dass sich viele schon fragen, ob von Siemens am Ende mehr als eine Holding-Gesellschaft bleibt.

Andere säbeln mit einem Schlag gleich richtig fette Stücke ab. "Wir bieten hier eine Erlebniswelt", tönte Metro-Chef Olaf Koch, als er Mitte September sein Projekt Metro unboxed vorstellte. Mit Millionenaufwand und für den überschaubaren Zeitraum von 20 Tagen hatte seine Crew eine 48 mal 30 Meter breite Holz-Glas-Konstruktion am Düsseldorfer Rheinufer errichten lassen.  Promigastronomen wie Tim Raue durften dort rund 30 000 Gäste bekochen, Musiker spielten auf, Vorstände tingelten mit Besuchergruppen durch den Pop-up-Bau. Die große Schau sollte dem Publikum erstmals den neu formierten Konzern präsentieren, einen fokussierten Lebensmittel-Player rund um den Großhandel und die Warenhauskette Real. Schlanker, schlagkräftiger - und ohne die Elektronikketten Media Markt und Saturn, die Jahrzehnte zum Konzern gehörten.

Unter dem Projektnamen 2Morrow hatte Koch die Selbstzerlegung in zwei autarke Aktiengesellschaften Ende März 2016 eingeleitet. Fortan dröselten Heerscharen von Bankern, Anwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Immobilienexperten das Konzerngeflecht auf, gliederten das Lebensmittelgeschäft aus und verpassten dem Elektronikbusiness den neuen Namen Ceconomy. Mehr als 100 Millionen Euro dürfte die Zweiteilung am Ende gekostet haben.

Der Wert der Einzelteile ist niedriger als vor der Aufspaltung

Durch sie sind nun zwei sortenreine MDax-Gesellschaften entstanden, Investoren müssen sich nicht mehr an einem "Gemischtwarenladen" beteiligen. Das Management der Einzelfirmen soll nun ohne Rücksicht auf übergeordnete Konzerninteressen agieren und expandieren können. "Das Lebensmittel- und das Elektronikgeschäft hatten in Wahrheit nie viele Gemeinsamkeiten", sagte Ceconomy-Chef Pieter Haas kurz vor der Aufspaltung der WirtschaftsWoche. Mittelfristiges Ziel sei es, dass "die beiden Aktien zusammen wertvoller sind als vorher".

Davon sind die Unternehmen allerdings weit entfernt. Der Wert der Einzelteile liegt heute zusammen rund fünf Prozent niedriger als vor der Aufspaltung. Denn an den operativen Problemen der Händler ändert der organisatorische Reset kurzfristig kaum etwas. Die Warenhauskette Real schwächelt, bei Ceconomy sorgt der Wettbewerb mit Amazon für Gegenwind.

Auch wenn sich einzelne Erwartungen nicht erfüllen, ist ein Ende der Scheidungswelle nicht in Sicht - zumal sich in vielen Fällen der Wert der Konzernteile nach der Freilassung tatsächlich überdurchschnittlich entwickelt.  Mit einem Wertzuwachs von 24 Prozent hat in den USA ein eigener "Spin-off-Index" mehr als vier Prozentpunkte besser abgeschnitten als der Durchschnitt der Unternehmen. Entsprechend nervös sind die Investoren. Als etwa der Düngemittelkonzern K+S vor wenigen Wochen seine neue Strategie vorstellte und dabei nicht wie erwartet die Trennung vom Salzgeschäft ankündigte, brach prompt der Aktienkurs ein.

Besonders rabiat preschen derzeit aktivistische Investoren vor. "Sie sind ein wichtiger Treiber des Trends", sagt Banker Fürst. Die Fonds kaufen sich mit kleinen Anteilen bei Unternehmen ein, um dann oft lautstark radikale Schwenks zu fordern, die den Wert schnell nach oben treiben sollen. Die Abspaltung von Geschäftssparten steht oft ganz oben auf ihrer Agenda.

Aktuell verlangt der Investor RBR etwa, dass sich die Schweizer Großbank Credit Suisse in gleich drei Teile zerlegt. Bei der kanadischen Kaufhof-Mutter Hudson's Bay (siehe Seite 48) will Land & Buildings den Verkauf der Immobilien durchsetzen. Der Investor Cevian, der auch an Thyssenkrupp beteiligt ist, hat beim Mannheimer Industriedienstleister Bilfinger durchgesetzt, dass der mit dem Gebäudemanagement ausgerechnet seinen profitabelsten Geschäftszweig abgibt. Mit ähnlichen Vorschlägen ist Cevian beim Schweizer Mischkonzern ABB eingestiegen.  Und bei Nestlé fordert der Aktivist Third Point den Verkauf der Beteiligung am Kosmetikunternehmen L'Oréal. Die Trennung wäre jetzt attraktiv, weil die Bewertungen hoch sind.

Davon profitieren auch Konzerne, die Teile an die Börse bringen. Und wenn sie ihre vorhandenen Aktionäre über einen Spin-off an dem neuen Unternehmen beteiligen, ihnen also einfach Aktien zusätzlich ins Depot buchen, bringt ihnen das zwar erst mal keine zusätzlichen Mittel. Wenn sie aber später ihre übrigen Anteile verkaufen, profitieren sie von Wertsteigerungen. Als Siemens kürzlich seine restlichen Osram-Aktien abgab, hatte sich deren Kurs seit der Trennung 2013 fast verdreifacht.

 

Zudem stehen auch Finanzinvestoren Schlange, um Abspaltungen aufzusammeln.  Nachdem etwa die Private-Equity-Gesellschaft Advent bei der Parfümeriekette Douglas eingestiegen war, verkaufte sie nach und nach fast sämtliche Beteiligungen der früheren Holding an andere Fonds. Die namensgebende Parfümeriekette übernahm Finanzinvestor CVC, den Juwelier Christ kaufte 3i, die Süßwarenläden Hussel gingen an Emeram und die Modekette AppelrathCüpper an Opcapita. Nur die Buchhandelskette Thalia fand mit dem Herder-Verlag einen strategischen Käufer. Die Deutsche Telekom wurde die Mehrheit an Scout24 an den Investor Hellman & Friedman los, einen Teil von Bilfinger schnappte sich die schwedische Gesellschaft EQT.

Trotzdem bleibt hinter jeder Transaktion ein Fragezeichen. Genauso wie Manager oft die Synergien zwischen einzelnen Sparten überschätzen, unterschätzen sie, dass die Auflösung eines über die Jahre gewachsenen Verbunds "sehr aufwendig ist und viel Unruhe schafft", sagt Anwalt Wilsing. Der Aufwand sei ähnlich groß wie bei einer Übernahme, weniger als ein Jahr dauere eine Transaktion kaum. Und teuer ist sie auch noch. So veranschlagt Daimler für die ersten Schritte des Umbaus 100 Millionen Euro. Zudem gibt es viel Erklärungsbedarf bei Kunden, Steuerbehörden, Aktionären und vor allem auch den Arbeitnehmern.

Die hat Daimler auf seiner Seite. Betriebsrat Lümali verknüpft mit dem Umbau die Hoffnung, dass der Wandel hin zur Elektromobilität für ihn und seine Kollegen glimpflich ausgeht. "Wir wollen Arbeitsplätze sichern, indem wir Aufträge von Zulieferern wieder ins Haus holen", sagt er. Auch Entwicklungsdienstleistungen, die der Konzern teilweise einkaufe, sollen künftig wieder die eigenen Beschäftigten übernehmen. Und so den Umbau zum Aufbau machen.

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