Wie schwer es wird, allein dem Zuckerproblem Herr zu werden, zeigte sich gerade erst in Großbritannien. Eine von Starkoch Jamie Oliver und der Organisation Sustain ins Leben gerufene Initiative mit dem Namen Sugar Smart forderte Coca-Cola auf, bei der Christmas Truck Tour mit 42 Stationen doch lieber Wasser statt der zuckerhaltigen Cola auszuschenken. Sie schrieben einen Protestbrief, den Politiker aus 28 Kommunen unterzeichneten. „Ein Drittel der britischen Kinder im Vorschulalter sind diabetesgefährdet“, sagt Ben Reynolds, Vizechef von Sustain. „Ein Großteil der Erkrankungen geht auf zu viel Zucker zurück, den die Kinder essen und vor allem trinken.“
Die Aktion war nicht einfach ein kleiner Aufstand mit ein bisschen schlechter PR. Kein anderer Konzern der Welt steht so im Fokus der Lebensmittelwächter – weil kein anderer Konzern eine solche Macht hat. Coke war immer mehr als ein Getränk. Es ist ein Versprechen: der amerikanische Traum. In allen Ländern der Welt ist Coke erhältlich, sogar auf Kuba und in Nordkorea. Coca-Cola ist heute der größte Limofabrikant des Globus, mit einem Jahresausstoß von über 36 Millionen Hektolitern gar der führende Getränkehersteller Deutschlands – noch vor den Bierbrauern und Mineralbrunnen.
Doch längst gilt der Konzern vielen Aktivisten, Forschern und Gesundheitspolitikern als Inbegriff der bösen Firma, die Kinder dick, dumm und süchtig macht. In Großbritannien gilt eine Sonderabgabe für zu süße Getränke, auch in den USA und Europa wird Zucker zusehends reguliert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO forderte gerade erst, Werbung für Süßwaren einzuschränken, angesichts zunehmender Fettleibigkeit bei Kindern. Coke, so scheint es, ist das neue Rauchen.
Auch in Deutschland wächst der Protest, angeführt von den Aktivisten bei Foodwatch, jener NGO, die regelmäßig versucht, die Versprechen der Nahrungsmittelindustrie zu entzaubern. In deren Berliner Büro, zweites Hinterhaus, vierter Stock, bittet kurz vor Weihnachten Dario Sarmadi in einen kleinen Konferenzraum. Er könnte hoch zufrieden sein, schließlich ist die Krise von Coke auch das Ergebnis seiner Arbeit. Doch er ist noch lange nicht fertig. Gerade erst ist er mit seinen Kollegen aus Magdeburg zurück, wo auch sie gegen den Coke-Truck demonstriert haben. „Was mich überrascht hat“, sagt Sarmadi, „ist, dass die Menschen zu uns kamen und fragten, warum wir gegen Cola demonstrieren – und nicht gegen McDonald’s. Coke hat hierzulande immer noch einen unglaublich guten Ruf.“
Jugendsender CokeTV
Sarmadi beschäftigt sich derzeit intensiv mit Coca-Cola, wertet Bilanzen aus, wälzt Pressemitteilungen und Aktionärsinformationen. Zum Gespräch hat er einen Stapel Unterlagen mitgebracht. Darin findet sich etwa eine Aufstellung der Coke-Werbegelder über Jahrzehnte hinweg, die Bilanz der erfolgreichsten Marketingmaschine der Welt: Investierte der Konzern 1985 noch rund 750 Millionen Dollar für Marketing, waren es 2013 schon 3,3 Milliarden, 2015 schließlich vier. „Selbst inflationsbereinigt ist das in den 30 Jahren immer noch eine Steigerung um 250 Prozent“, sagt Sarmadi.
Dieses Geld fließt etwa in „CokeTV“, eine aufwendig produzierte YouTube-Sendung, in der regelmäßig Moderatoren durch Deutschland geschickt werden, um Sportvereine zu treffen, Zuschauerfragen zu beantworten oder den neuen „Star Wars“-Film zu testen. Dabei immer im Bild: prickelnde Coke – und das Logo des Konzerns. „CokeTV gilt in Marketingkreisen als höchst vorbildlich“, sagt Sarmadi. Für ihn ist der YouTube-Kanal ein klarer Beleg dafür, dass Coca-Cola versuche, sich mit jungen Themen in Verbindung zu bringen und so vor allem Kinder und Jugendliche immer früher an Zucker zu gewöhnen.
Zwischen 30 und 35 Kilogramm Zucker nimmt jeder Deutsche im Jahr zu sich. Laut dem staatlichen Max Rubner-Institut (MRI) konsumieren Frauen gut 60 Gramm, Männer 80 – täglich. Fast doppelt so viel, wie die WHO empfiehlt. Noch wichtiger aber, so die staatlichen Forscher: Es gibt deutliche Unterschiede bei den sozialen Gruppen. Limos wie Coca-Cola sind demnach für bildungs- und einkommensschwache Bevölkerungsgruppen viel attraktiver.
Aktivisten fordern deswegen neue gesetzliche Regelungen. Nur so, meinen sie, würden Firmen wie Coca-Cola tatsächlich ernsthafte Anstrengungen unternehmen, gesündere Produkte anzubieten.