Getränkekonzerne Abgesang auf den Mythos Coca-Cola

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Der Verlust von Wurzeln

Was folgt ist die Geschichte vom Verschwinden der einst besten Vertriebsorganisation der Welt. Seit 130 Jahren beherrscht es Coca-Cola wie keine andere Firma, seine Kundenwünsche zu Geld zu machen. Fanta etwa war eine europäische Erfindung – funktioniert aber heute rund um den Globus. Smoothies und Energy-Drinks sind flüssige Antworten auf gehetzte Großstädter und den Stress der Leistungsgesellschaft.

Coca-Cola bietet all das heute. Aber keiner dieser Trends wurde von Coke entdeckt.

Kurt Haberl will zeigen, wie es so weit kommen konnte. Es geht zu verlassenen Hallen und vor geschlossene Werkstore. In jedem Kaff hier hatte Coke früher einen Standort, Abfüllanlagen, Laster, Vertriebsmitarbeiter, auch Service für die Tausenden Cola-Automaten im Land. So waren die Wege nicht nur kürzer, man bekam auch mit, was lief und was nicht. Eine ständige Marktforschung in der Fläche. Mittlerweile ist das meiste davon weg: Landshut, 70 Mitarbeiter, Schließung 2017. Obertraubling, 160 Jobs, Schließung 2016. Deggendorf, 25 Stellen, Schließung 2016, Baar-Ebenhausen, 70 Angestellte, Schließung 2014. Auch Hof, Traunreuth, Erlangen, Herrieden und Straubing – alles zu. Und das war nur Bayern. Filialen werden ebenso in Weimar und Berlin, in Bremen und Nörten-Hardenberg geschlossen.

„Das ist ein groß angelegter Rückzug aus der Fläche“, sagt Haberl. „Früher zahlten die Gastwirte im bayrischen Wald für eine Kiste Cola 17, 18 Euro. Da sind unsere Leute teilweise wegen fünf Kisten zum Großen Arber hinaufgefahren.“ Heute mache der Großhandel das Geschäft. Coca-Cola, glaubt Haberl, wolle am liebsten nur noch Plastikrohlinge zu Flaschen aufpusten, befüllen – und vom Großhändler oder Handelspartner abholen lassen. „Der Kontakt zur Gastronomie und damit zu den Wünschen der Kunden geht komplett verloren. Ob diese Rechnung aufgeht, wage ich zu bezweifeln.“

Coca-Cola in Berlin und Atlanta lehnen Interviewanfragen zur Strategie ab. Aber es lassen sich andere Konzerninsider sprechen, jener Mann etwa, der sich an einem Herbsttag in einer europäischen Großstadt zum Mittagessen verabredet und ganz bewusst lokale Limonade bestellt. Mehrere Jahre hat er einem Vorstand zugearbeitet, später dem Direktor. Vor Kurzem schied er aus. Sein Urteil über den alten Arbeitgeber: „Coke ist viel weniger innovativ als der Rest des Marktes. Die sind träge, ruhen sich aus, riskieren nichts mehr“, sagt er. So habe es zwar in den vergangenen Jahren immer wieder Versuche gegeben, den Konzern und die Produktpalette zu erneuern, einen eigenen Start-up-Inkubator etwa oder auch das von Coke finanzierte Unternehmen Home eat Home, das in großen Städten „intelligente Frische-Automaten“ mit fertig gepackten Einkaufskörben aufstellen wollte. Alles wieder verschwunden.

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Zielgruppe: "dick und doof"

„Die haben da ein bisschen experimentiert. Aber alles, was nicht in sechs Monaten funktionierte, wurde wieder vom Markt genommen“, sagt der Exmanager. Er glaubt nicht, dass sich so gegen die immer beliebter werdenden, kleinen, hippen und lokalen Konkurrenten wie Fritz Limo oder Club-Mate punkten lässt. Zumal Coca-Cola mit dem Einstieg in den Discounter, ins Regal von Lidl oder Aldi, auch noch den Premiumanspruch aufgegeben habe. „Die neue Zielgruppe ist, überspitzt gesagt: dick und doof. Je niedriger der soziale Status des Kunden, desto besser für Coca-Cola.“

Tatsächlich scheint diese Gleichung in vielen Teilen der Welt noch aufzugehen: Je niedriger ein Land im Weltgesundheits- oder Entwicklungsindex steht, desto besser ist es für Coke. Und solange dieses Geschäft läuft, gibt es offenbar wenig Interesse, sich etwas wirklich Neues einfallen zu lassen.

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