Erdoğan in Deutschland Werte gegen Wirtschaftshilfe

Recep Tayip Erdoğan erreicht Deutschland Quelle: REUTERS

Der türkische Präsident wirbt um einen Neustart der Beziehungen zu Deutschland. Die deutsche Seite sollte aufgeschlossen sein – und es ihm nicht zu leicht machen.

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Ziemlich genau 14 Jahre ist es her, da erhielt Recep Tayyip Erdoğan – damals noch türkischer Premierminister – den Quadriga-Preis als „Europäer des Jahres“. Die Laudatio hielt Gerhard Schröder. Gäbe es heute einen Preis für den „Despoten des Jahres“, viele Europäer würden ihn wohl gern an Erdoğan verleihen. Kaum ein anderer Staatschef hat in den vergangenen Jahren so viel Missmut, Ärger und Verachtung auf sich gezogen. Spätestens seit den Gezi-Protesten 2013 und dem brutalen Vorgehen der türkischen Polizei gegen die Demonstranten hat sich das Bild des türkischen Staatschefs gewandelt.

Das beruht durchaus auf Gegenseitigkeit: Vor knapp einem Jahr warf der türkische Staatschef Deutschland „Nazi-Methoden“ vor, weil man ihn nicht in Deutschland für sein umstrittenes Präsidialsystem werben lassen wollte. Damals saßen noch die mittlerweile prominenten Journalisten Deniz Yücel und Meşale Tolu in Haft. Sie wurden inzwischen frei gelassen, noch immer aber sind rund zwei Dutzend Deutsche in türkischen Gefängnissen.

Kein Wunder, dass Angela Merkel es vorzieht, dem Staatsbankett mit Erdoğan nicht beizuwohnen. Denn, was die Person Erdoğan betrifft, gibt es in Deutschland eine Querfront von Rechts- bis Linksaußen. Während der rechte Rand die große Islamisierungsgefahr beschwört, stellt man links die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen kombiniert mit neoliberaler Wirtschaftspolitik in den Fokus der Kritik.

Während Erdogan Deutschland besucht, ist die Lage in der Türkei angespannt: Fleisch und selbst Kartoffeln und Zwiebeln werden knapp. Und Familien zerstreiten sich über Politik. Eine Innenansicht.

Leise dagegen sind die Stimmen deutscher Wirtschaftsvertreter - vor allem die vor Ort. Der Präsident der deutschen Handelskammer in Istanbul, Markus Slevogt, gab kürzlich ein Interview in der englischsprachigen Hurriyet-Zeitung. Darin sagte dieser, die türkische Wirtschaft und die deutsche würden sich „auf perfekte Weise ergänzen.“ Er wies – nicht zu Unrecht – auf die bald 200-jährige Geschichte der deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen hin. Er meinte – eher zu Unrecht – Medienberichten über fehlende Rechtsstaatlichkeit müsse man nur bedingt Glauben schenken, und sich als Unternehmer lieber ein eigenes Bild machen.

Natürlich liegt es nicht im Interesse der 7000 deutschen Unternehmen in der Türkei, dass die türkische Wirtschaft weiter in die Krise gerät. „Wir hoffen auf das Beste“, sagt ein deutscher Unternehmensberater, der seit bald zwei Jahrzehnten im Land lebt. „Außerdem darf man nicht vergessen, wie krisenerfahren die Leute hier sind.“

Doch Euphemismus dürfte ebenso wenig weiterhelfen. Tatsächlich scheuen vor allem kleinere Mittelständler das Land. Großunternehmen wie Siemens, Bosch oder ThyssenKrupp planen zwar langfristig, tendieren aber im Moment auch dazu, Investitionen zu verschieben. Vor allem treibt sie die Sorge um ihre Mitarbeiter um. Expats in das Land zu entsenden, ist schwierig geworden. Dabei galt Istanbul lange als begehrter Top-Standort.

Das anatolische Wirtschaftswunder, das der AKP seit bald 16 Jahren jede Wiederwahl sicherte, geht zu Ende. Die türkische Wirtschaft steht vor einer Rezession. Das Wirtschaftswachstum dürfte kommendes Jahr wenn überhaupt, dann nur noch knapp positiv ausfallen. 2017 waren es noch 7,1 Prozent. Das hat globale Faktoren wie die Zinswende in den USA zur Ursache. Dadurch fließt Geld aus Schwellenländern wie Argentinien, Vietnam und Indien ab. All diese Länder mussten in den vergangenen Monate teils massive Verluste der eigenen Währung hinnehmen.

Die wahren Gründe der Türkei-Krise
Streit Trump Erdogan Lirakrise Quelle: dpa
US-Pastor Andrew Brunson Quelle: AP
Niedrigzinsen der Notenbanken Quelle: dpa
Die türkische Handelsbilanz: Der Hafen in Izmir Quelle: dpa
Türkischer Finanzminister Berat Albayrak Quelle: dpa
Andrea Nahles, SPD Quelle: dpa
Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Quelle: dpa

Andere Faktoren aber sind hausgemacht. Immer wieder hat der Präsident in den vergangenen Monaten die Unabhängigkeit der Zentralbank in Frage gestellt. Er hat sich offen gegen Zinserhöhungen ausgesprochen. Er hat seinen Schwiegersohn zum Finanzminister, und sich selbst zum Chef des Nationalfonds gemacht. All das führte dazu, dass die Märkte das Vertrauen in die Türkei verloren. Die Lira hat seit Jahresbeginn um 40 Prozent ihres Wertes verloren.

Türkische Unternehmen leiden darunter. Importe haben sich massiv verteuert, vor allem aber steigt die Zinslast. Denn viele Firmen haben sich in den vergangenen Jahren massiv in US-Dollar und Euro verschuldet. Bei rund 230 Milliarden liegt die Schuldenlast aktuell.

Nicht zuletzt aus diesem Grund gibt sich Erdoğan auf seinem Staatsbesuch dieses Mal eher kleinlaut und verzichtet auf Großkundgebungen. (Auf einem Deutschland-Besuch 2008 sagte er 16.000 Deutsch-Türken, „Assimilierung sei ein Verbrechen“.)

Auch außenpolitisch brennt es: Die Schlacht um die letzte Rebellenhochburg in Syrien konnte gerade noch abgewendet werden. Doch der Friede mit Assad und Putin ist brüchig. Sollte es zum militärischen Konflikt kommen, dürften sich ein paar tausend gewaltbereite Islamisten und Hunderttausende Zivilisten Richtung Türkei bewegen.

Wäre Deutschland bloß Katar. Möglich, dass solche Gedanken gerade im Kopf des türkischen Staatschefs herumschwirren. Das kleine, aber stinkreiche Emirat am Persischen Golf gilt als einer der engsten Verbündeten der Türkei. Als die Lira-Krise Ende Juli an Fahrt aufnahm, war der Emir auch einer der ersten, der der türkischen Regierung zur Seite sprang: 14 Milliarden Dollar werde das Emirat in den kommenden Jahren in der Türkei investieren.

Eine Investitionszusicherung oder gar einen Blanko-Scheck kann es von deutscher Seite nicht geben. Am wahrscheinlichsten – und sinnvollsten – ist es, Verhandlungen über eine Vertiefung der Zollunion wieder in Aussicht zu stellen. Von einer Ausweitung des Abkommens auf Dienstleistungen und Agrarprodukte würden deutsche wie türkische Unternehmen profitieren. Das wäre ein realistischer Anreiz für den türkischen Präsidenten, sich in Sachen Menschenrechte, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit wieder ein Stückchen in Richtung europäische Werte zuzubewegen. Den Preis dafür hat er ja schon bekommen.

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