Glyphosat-Klagen Sie haben das Schicksal von Bayer in der Hand

US-Richter im Bayer-Prozess: John Roberts (Chief Justice), Neil Gorsuch, Amy Coney Barrett, Brett Kavanaugh und Stephen Breyer. Quelle: Imago Images (5)

Der Oberste Gerichtshof der USA verkündet voraussichtlich am Dienstag eine wichtige Entscheidung zur Causa Glyphosat. Die Chancen für Bayer sind zuletzt wieder gestiegen. Der Konzern hofft auf wirtschaftsnahe Richter. Und hat auch schon einen Plan B.

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An dem Ort, an dem sich das Schicksal von Bayer entscheidet, bereitet man sich gerade auf das Schlimmste vor. Der Oberste Gerichtshof (Supreme Court), ein klassisches Marmorgebäude gleich gegenüber des Kapitols in Washington, ist von einem unübersehbaren Sicherheitszaun umgeben. In wenigen Wochen verabschieden sich die neun Richter in die Sommerpause – und vorher werden sie noch einige Urteile in höchst umstrittenen Fragen veröffentlichen. Das Recht auf Abtreibung dürfte fallen, womöglich werden die Waffenrechte ausgeweitet. All das zieht regelmäßig Demonstranten vor den Justizpalast. Auch um die persönliche Sicherheit der Richter stand es schon besser. In der vergangenen Woche nahm die Polizei einen bewaffneten Mann in der Nähe des Wohnhauses eines Richters fest. Angeblich hatte er geplant, den Verfassungshüter umzubringen.

Und dann ist da noch der deutsche Agrar- und Pharmakonzern Bayer. Über hunderttausend Amerikanerinnen und Amerikaner reichten Klagen gegen Bayer ein, weil der Unkrautvernichter-Wirkstoff Glyphosat angeblich Krebs auslösen soll. Durch die Übernahme des US-Konzerns Monsanto waren die Glyphosat-Produkte ins Portfolio der Leverkusener gekommen. 

Bayer kassierte mehrere Niederlagen vor Gericht, gewann aber in jüngster Zeit auch vier Prozesse in Folge, zuletzt am Freitag vergangener Woche. Insgesamt haben die Klägerinnen und Kläger bereits Milliarden von Bayer für Vergleichszahlungen erstritten. Wegen der Rechtsunsicherheit verlor die Bayer-Aktie in den vergangenen Jahren über dreißig Prozent ihres  Wertes. Nun will Bayer die Causa Glyphosat vom Obersten Gerichtshof in den USA klären lassen. Als Musterfall hat sich der Leverkusener Konzern den Fall des krebskranken Rentners Edwin Hardeman ausgewählt; Bayer ist in dem Verfahren zu Zahlungen in Millionenhöhe verurteilt worden. 

Dass die US-Richter am Supreme Court in den vergangenen Woche die Entscheidung vertagt und noch einmal neu beraten haben, werten Prozessbeobachter als gutes Zeichen.  

Auf Bayer wartet zu Wochenbeginn ein wichtiger Gerichtsentscheid im Glyphosat-Streit. Schon klar ist: Der Konzern will ab 2023 kein Glyphosat mehr an US-Hobbygärtner verkaufen. Trotzdem muss niemand darauf verzichten.
von Julian Heißler, Jürgen Salz

Zunächst einmal geht es darum, ob der Gerichtshof den Bayer-Antrag überhaupt annimmt. Vier der neun Richter müssen sich dafür aussprechen. Die Entscheidung hat Auswirkungen auf andere Verfahren: Nimmt der Gerichtshof an, könnte innerhalb eines Jahres ein Urteil folgen. Fällt das dann für Bayer positiv aus, wäre der Agrar- und Pharmakonzern die zermürbenden Glyphosat-Klagen mit einem Schlag weitgehend los. Läuft es vor dem Obersten Gerichtshof schlecht für Bayer – Annahme verweigert – dürfte die Rechtsstreitigkeiten mit den Glyphosat-Klägern noch langwieriger und teurer werden.

Kehrtwende der US-Regierung?

Mit einer Ablehnung des Antrags muss Bayer - trotz des gestiegenen Optimismus -  immer noch rechnen. Dafür spricht vor allem dass die US-Regierung dem Gericht empfohlen hat, den Bayer-Antrag nicht anzunehmen. In der Regel folgen die Richter dem Plazet des Staates – einen Automatismus gibt es allerdings nicht. Bayer hofft nun darauf, dass sich wirtschaftsnahe Richter über die Empfehlung der Regierung hinwegsetzen - völlig unberechtigt ist die Hoffnung nicht. Für alle Fälle hat das Unternehmen  jedoch bereits einen Plan B ausgearbeitet. Und vorsorglich noch einmal 4,5 Milliarden Dollar zurückgestellt.

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Gebeutelte Bayer-Investoren schauen da gerade ganz genau hin, wie die Verfahren vor dem Supreme Court ausgehen. Etwa der Sparkassen-Fondsanbieter Deka, der rund ein Prozent der Bayer-Aktien hält.  „Sollte sich der Hoffnungsanker Supreme Court zu einer Luftnummer entwickeln, wäre diese eine große Enttäuschung“, erklärte Ingo Speich. Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance der  Deka, im April.

Rund 7000 Beschwerden gehen jedes Jahr beim Supreme Court ein. Behandelt werden jedoch nur rund 100 bis 150 Fälle. Welche das sind, liegt allein bei den Richtern. Die Empfehlung der US-Regierung, den Antrag abzulehnen, kommt erschwerend hinzu. Dabei fielen die ersten Stellungnahmen aus der Washingtoner Regierung für Bayer noch positiv aus – das war allerdings unter dem früheren US-Präsidenten Donald Trump. Ein Prozessbeteiligter spricht von einer „180 Grad-Kehrtwende“.

Die Klägerinnen und Kläger berufen sich vor allem auf eine Einschätzung der internationalen Krebsforschungsagentur IARC, wonach Glyphosat „wahrscheinlich krebserregend“ sei. Nahezu alle anderen Studien und Regulierungsbehörden kommen zu gegenteiligen Ergebnissen, wie Bayer betont. Die US-Umweltbehörde EPA lehnt daher auch eine Warnung vor potenziellen Krebsrisiken ab. Allerdings hat ein Gericht am Wochenende die EPA angewiesen, ihr positives Glyphosat-Urteil zu überprüfen; die Analyse sei fehlerhaft gewesen. Bayer ist zuversichtlich, dass die EPA auch bei einer neuerlichen Überprüfung keine Krebsgefahren findet.  

Ansonsten ruht die Hoffnung von Bayer vor allem auf den Richtern. Immerhin:  Der heutige Supreme Court ist so wirtschaftsfreundlich wie noch nie in seiner jüngeren Vergangenheit; viele Richter wurden von Donald Trump eingesetzt. Unter Chief Justice John Roberts, der dem Gericht seit 2006 vorsitzt, haben die wirtschaftsfreundlichen Urteile rasant zugenommen. Rund 70 Prozent aller betroffenen Fälle wurden seitdem im Sinne von Unternehmen und Wirtschaft entschieden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Auswertung des liberalen Think Tanks Constitutional Accountability Center. Im letzten vollen Gerichtsjahr 2020/2021 fielen die Urteile gar zu 83 Prozent zu Gunsten der Wirtschaftsvertreter aus. Zum Vergleich: Unter Roberts‘ ebenfalls konservativem Vorgänger William Rehnquist gewannen Unternehmensinteressen in 56 Prozent der Fälle.

Hoffen auf Trumps Erbe

Es ist auch das Erbe von Ex-Präsident Donald Trump, das die Wirtschaftsfreundlichkeit des Supreme Court so gestärkt hat. In seinen nur vier Jahren im Amt nominierte er drei Richter für die höchste juristische Instanz der Vereinigten Staaten – mehr als sein Vorgänger Barack Obama in acht. Ein Drittel der insgesamt neun Mitglieder des Supreme Courts verdanken ihren Job Trump. Damit hat seine kurze Regierungszeit das Zentrum des seit Jahrzehnten ohnehin von konservativen Juristen dominierten Obersten Gerichts weiter nach rechts verschoben.  Derzeit stehen sechs als konservativ geltenden Richtern nur noch drei Liberale gegenüber – daran ändert auch der Umstand nichts,  dass US-Präsident Joe Biden im Frühjahr seine erste Kandidatin für das Gericht erfolgreich nominierte. Ketanji Brown Jackson, die erste Schwarze, die am Gericht dienen wird, nimmt ihren Platz erst nach dem Sommer ein. Sie ersetzt Stephen Breyer, einen ebenfalls liberalen Richter, der sich in den Ruhestand verabschiedet. Die Mehrheitsverhältnissen am Obersten Gerichtshof bleiben also gleich.

Der Kurs des höchsten Gerichts dürfte damit auf Jahre von den Trump-Nominierungen geprägt sein. 2017 schickte der Ex-Präsident Neil Gorsuch an den Supreme Court, einen ehemaligen Wirtschaftsanwalt, der vor seiner Zeit am höchsten Gericht als Richter an einem Bundesberufungsgericht strenge Regeln für Massenklagen durchsetze. 2018 nominierte Trump Brett Kavanaugh, der sich einen Namen als Kritiker staatlicher Regulierungsbehörden gemacht hatte. Und kurz vor der Wahl 2020 folgte Amy Coney Barrett, die vor ihrer Zeit am Supreme Court einer Auswertung der Website „RocketLawyer“ zufolge als Berufungsrichterin in mehr als 80 Prozent aller Fälle im Interesse von Unternehmen geurteilt hatte.

Bayer kann also noch etwas hoffen. Zudem hat der Konzern in einem weiteren Fall eine Berufung vor dem Obersten Gerichtshof beantragt. Über den Fall Pilliod wollen die Richter bald auch beraten.

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Und wenn das alles nichts hilft und Bayer vor dem Supreme Court nicht weiterkommt? Auch für den Fall sieht sich Bayer gerüstet. Im vergangenen Jahr hat das Agrar- und Pharmaunternehmen dazu einen „Fünf-Punkte-Plan“ zur Handhabung aktueller Klagen und künftiger Ansprüche entworfen. Dafür hat Bayer noch einmal 4,5 Milliarden Dollar (3,8 Milliarden Euro) zurückgestellt. Zu den zusätzlichen Maßnahmen zählt etwa eine seit 2021 freigeschaltete Webseite, die  über Glyphosat-Studien informiert. Und ab 2023 will Bayer in den USA  die Glyphosat-Mixtur nur noch an professionelle Landwirte und nicht mehr an Privatanwender wie etwa Hobbygärtner verkaufen. Dahinter dürfte eine einfache Überlegung stecken: Der Umsatz mit den Glyphosat-Privatanwendern ist begrenzt; das Gros der Klagen stammt jedoch aus dieser Gruppe. Als Eingeständnis von Sicherheitsbedenken will Bayer den Teil-Rückzug jedoch nicht verstanden wissen.

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