Glyphosat-Prozesse Monsanto, Bayers völlig unterschätzte Gefahr

Bayer: Monsanto – die völlig unterschätzte Gefahr Quelle: AP

Nach der dritten Niederlage vor einem US-Gericht ist klar: Bayer hat die Prozessrisiken in den USA massiv unterschätzt. Konzernchef Werner Baumann gerät zunehmend in Erklärungsnot.

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Zuerst mal die gute Nachricht: Bayer kommt beim angekündigten Verkauf von einigen seiner Geschäfte gut voran. 550 Millionen Dollar zahlt der Nivea-Hersteller Beiersdorf nach Leverkusen, um das Sonnenschutzmittel Coppertone zu erwerben. Am Montagabend meldete Bayer Vollzug.

Nur wenige Stunden später interessierte der Deal allerdings kaum noch. Da hatte ein Gericht in Oakland bei San Francisco Bayer zur Zahlung von insgesamt zwei Milliarden Dollar an ein krebskrankes Rentnerpaar verurteilt. Die Eheleute machen den Monsanto-Pflanzenwirkstoff Glyphosat für ihre Krebserkrankung verantwortlich. Bayer, der Eigentümer von Monsanto, bestreitet einen Zusammenhang und belegt dies mit zahlreichen Studien. Der Konzern kündigte an, Rechtsmittel einzulegen.

Dabei hatte Bayer durchaus Argumente auf seiner Seite: Die US-Umweltbehörde EPA hatte Glyphosat kürzlich noch einmal bei sachgemäßer Anwendung für sicher und nicht krebserregend erklärt. Das Rentnerpaar Pilliod weist eine lange Krankengeschichte auf; die Vorerkrankungen könnten das Krebsleiden befördert haben. „Wir haben großes Mitgefühl für Herrn und Frau Pilliod“, erklärt Bayer, um dann im Stile eines Richters zu argumentieren: „Die Beweislage ist in diesem Fall jedoch eindeutig.“

Es hilft aber nichts. Für Bayer ist es schon das dritte Desaster vor einem US-Gericht. Bereits zwei andere Fälle hat Bayer in den vergangenen Monaten erstinstanzlich verloren – und wurde zu Millionenzahlungen verurteilt. Auch hierzu verweist Bayer auf Studien, die Glyphosat für sicher erachten und legte Berufung ein.

Immer klarer wird, wie sehr der Bayer-Vorstand um Konzernchef Werner Baumann die Prozessrisiken unterschätzt hat. Bereits 2016, als sich Bayer Monsanto bereits näherte, gab es Studien, die einen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs nahelegten – auch wenn diese Studien nicht über jeden wissenschaftlichen Zweifel erhaben sind. Und bei Abschluss der Übernahme im Juni 2018 waren bereits Tausende Klagen anhängig. Bayer hätte damals – gegen einen finanziellen Obolus – noch aus dem Vertrag aussteigen können.

Die schlechte Reputation von Monsanto war auch damals schon bekannt – ebenso, dass die Amerikaner zuweilen zu groben Methoden greifen. Nun tauchen, zunächst in Frankreich, geheime Listen auf, in denen Monsanto Wissenschaftler und Journalisten klassifiziert – inklusive Persönlichkeitsdetails, wie französische Medien berichten. Die französische Justiz ermittelt. Bayer-Manager Matthias Berninger, zuständig für Öffentlichkeit und Nachhaltigkeit, hält es für wahrscheinlich, dass es solche Listen auch in anderen EU-Ländern gab – inklusive Deutschland. Bayer-Chef Werner Baumann fliegen nun Interview-Zitate um die Ohren, in denen er Monsanto bescheinigte, „hervorragend und nach höchsten Standards“ geführt zu sein. Bayer sind die Vorwürfe seit Freitag vergangener Woche bekannt; der Konzern hat sich inzwischen entschuldigt.

Es scheint kaum vorstellbar, dass in Leverkusen niemand all diese Risiken gesehen hat; einige Führungskräfte warnten ja auch durchaus vor Problemen durch eine Monsanto-Übernahme. Baumann selbst hat den 63-Milliarden-Dollar-Kauf vorangetrieben. Augen zu und durch, hieß wohl eher das Motto. Der Blick war dabei vor allem auf Finanzdaten und Innovationspotenziale gerichtet. Bayer verweist dazu auf zwei Rechtsgutachten, nach denen Bayer bei der Monsanto-Übernahme seine Sorgfaltspflichten mustergültig erfüllt habe.

Die Folgen: Der Aktienkurs ist in jüngster Zeit um mehr als vierzig Prozent gesunken. Auf der Hauptversammlung Ende April verweigerten die Aktionäre dem Bayer-Vorstand die Entlastung – einmalig in der deutschen Wirtschaftsgeschichte.

An der Börse kam Bayer heute sogar eher glimpflich davon: Die Aktie verlor nach dem Milliarden-Urteil lediglich gut zwei Prozent; die schlechten Nachrichten sind offensichtlich eingepreist. Auch das ist schon mal eine gute Nachricht für Bayer.

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